Was bringt die Zukunft der Mobilität für die Stäfte und zu wie viel Veränderung sind die Menschen überhaupt bereit? Christoph Dahl von der Baden-Württemberg Stiftung diskutiert mit Marianne Reeb von Daimler.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Baden-Württemberg-Stiftung hat Furore mit einer Studie zum Stadtverkehr der Zukunft gemacht. Ihr Geschäftsführer Christoph Dahl diskutiert mit Marianne Reeb, der Chefin des Daimler-Teams „Future, Life, Mobility“ über Chancen und Risiken des Wandels in der Mobilität.

 
Frau Reeb, in der Stadt der Zukunft sollen laut einer Studie der Baden-Württemberg- Stiftung bis 2030 um 30 Prozent und bis 2050 um 85 Prozent weniger Autos unterwegs sein. Das ist doch ein Frontalangriff auf das Geschäftsmodell Ihres Arbeitgebers.
Marianne Reeb Das ist vielleicht ein Frontalangriff auf das alte Geschäftsmodell. Wir arbeiten längst an neuen Modellen. Ich finde es spannend, so etwas gedanklich durchzuspielen, aber es gab ja in der Studie drei verschiedene Szenarien, und die kamen nicht alle zu dem gleichen Schluss.
Das heißt Herr Dahl muss sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, einer vom Automobilbau überdurchschnittlich abhängigen Region das Totenglöcklein zu läuten?
Christoph Dahl Den Vorwurf kann ich ertragen, weil er nicht richtig ist. Wir haben eine Studie vorgelegt, die Szenarien aufzeigt. Und eines davon würde am ehesten die Klimaziele erreichen, nämlich das, in dem der Autoverkehr am stärksten zurückgeht. Das sind aber nur unterschiedliche Modelle. Die Politik muss entscheiden, was geschieht. Und sie muss sich dann vielleicht dem Vorwurf aussetzen, ein Totenglöckchen zu läuten oder dass sie es versäumt, Maßnahmen zu ergreifen, die auch konkrete Vorgaben für die Wirtschaft enthalten können.
Dass bei dem Wandel Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen könnten, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Gibt es Zahlen, wie viele das sein könnten?
Reeb Das Geschäftsmodell der Automobilindustrie wird sich wandeln vom Hersteller zum Mobilitätsanbieter. Da kommen neue Arbeitsplätze mit ganz anderen Anforderungen dazu. Es gab immer schon wirtschaftliche Transformationen, von denen man annahm, sie würden Arbeitsplätze kosten. Aber in der Rückschau wird deutlich, dass neue Arbeitsplätze durch Veränderungen entstanden sind. Das was Sie sagen, gilt nur, wenn es keine Veränderungen in der Automobilindustrie gibt. Natürlich müssen wir darüber reden, ob wir jede Kompetenz in der Automobilindustrie genauso auch in den kommenden 30 Jahren noch benötigen. Aber da war auch schon in den zurückliegenden 30 Jahren vieles im Fluss.

Außerdem im Video: Was E-Mobilität für Arbeitsplätze in Baden-Württemberg bedeutet.

Herr Dahl, Sie haben aber doch sicherlich nach der Veröffentlichung Ihrer Studie Reaktionen bekommen, die nicht so erfreulich gewesen sind.
Dahl Ich war zunächst auch skeptisch. Ich bin ein Autofan, ich bin Oldtimerfan, ich bin Motorradfahrer. Die Brisanz der Studie ergibt sich aber doch aus realen Problemen wie dem Feinstaub oder den Klimazielen. Die rücken die Studie ins Interesse der Öffentlichkeit. Ich glaube, wir haben da eine wissenschaftliche Faktenbasis geschaffen, die es in keinem anderen Bundesland gibt und die eine gute Diskussionsgrundlage ist. Was Vorwürfe angeht, wir würden einen möglichen Arbeitsplatzabbau in der Industrie befördern, dem halte ich entgegen: Es war doch die Autoindustrie, die viele Jahre lang gepennt hat. Sie hat es versäumt, sich mit den neuen Technologien ernsthaft auseinanderzusetzen und die Forschung voranzutreiben. Dass Daimler ein Zukunftslabor mit einer exzellenten Wissenschaftlerin wie Frau Reeb unterhält, ist aber ein gutes Zeichen und zeigt, dass die Herausforderungen in den Fokus rücken. Ich habe schon den Eindruck, dass Politik, Wirtschaft und Forschung nun etwas im Innovationsland Nummer eins erreichen wollen. In einem Land der Tüftler und Erfinder muss man den Herausforderungen positiv begegnen. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen Arbeitsplatzabbau geben kann – ohnehin bedingt durch Automatisierung und Digitalisierung. Gleichzeitig entstehen aber neue Jobs durch die neuen Techniken.
Und die Wirtschaft hat verstanden?
Dahl Als CDUler war ich lange der Meinung, dass man die Wirtschaft machen lassen sollte, die wissen schon selbst, was sie tun müssen. Inzwischen bin ich durchaus der Ansicht, dass man Regularien treffen und gesetzliche Vorgaben machen muss. Dazu gehört sicherlich auch, dass man endlich die Blaue Plakette einführen muss, die am bisherigen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gescheitert ist, und dass Nachrüstungen für Dieselmotoren von der Automobilindustrie gezahlt werden müssen.
Frau Reeb, welche Rahmenbedingungen müsste denn aus Ihrer Sicht die Politik schaffen?
Reeb Was ich nicht sehr produktiv finde, ist, wenn man sich gegenseitig sagt, was man tun und lassen sollte. Die Politik kennt die Szenarien, sie kennt die Zukunftsbilder. Darüber kommen wir vermehrt ins Gespräch, sei es mit dem Städtetag, sei es mit Stiftungen. Das ist, was zählt: Dass man sich zusammensetzt und über Szenarien konstruktiv diskutiert mit dem Ziel, eine gemeinsame, vertretbare Lösung zu finden. Das ist deren Sinn und nicht, dass man sagt: „Genau so wird es kommen.“ Ganz wichtig ist aber: Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen. Wenn wir über Elektromobilität sprechen, zeigt sich auch, dass manche noch nicht dazu bereit sind.
Da würde ich gerne einhaken. Kann es sein, dass die Realität noch an Ihre Zukunftsvisionen angepasst werden muss? Denn statt zu sinken steigen die Zulassungszahlen.
Reeb Als wir vor 20 Jahren über mehr Umweltbewusstsein diskutiert haben, sind wir auf etwas gekommen, dass wir painlessly green genannt haben. Menschen sind dann bereit, sich umweltbewusst zu verhalten, wenn sie daraus Vorteile ziehen und keine Nachteile erleiden. Nachteile können sein: ein höherer Preis, eine schlechtere Qualität, mehr Zeitbedarf. Mülltrennung funktioniert, seit sie finanziell incentiviert wird, und nicht unbedingt, weil die Menschen sagen, ich wollte schon immer fünf verschiedene Tüten bestücken. Ökomode funktioniert, seit sie nicht mehr kratzt und unvorteilhaft aussieht. Wenn wir uns diese Beispiele ansehen, dann wird das beim Verkehr auch so sein. Mit Erziehungsmaßnahmen hingegen kommen wir nicht weiter.
In der Studie der Landesstiftung war die Rede davon, dass im Hinblick aufs eigene Auto oder das Mobilitätsverhalten „Verzicht als Gewinn erlebbar“ gemacht werden müsse. Sollen da Leute zu ihrem Glück gezwungen werden?
Dahl Diese Formulierung mache ich mir nicht zu eigen. Man muss Anreize schaffen, und das gelingt nur, wenn ich Leute überzeuge. Manchmal reicht es aber auch schon, wenn ich gesetzliche Vorgaben einhalte, siehe Feinstaubkonzentration. Die Messstellen werden ja nicht aufgestellt, weil wir das Auto weghaben wollen. Da geht es doch um Gesundheits- und Klimaschutz und zudem um drohende Strafzahlungen in Millionenhöhe. Ich werde fuchsteufelswild, wenn man nicht sehen will, welche katastrophalen Folgen die Missachtung des Klimaschutzes hat. Ja, wir müssen die Leute mitnehmen. Aber es gibt auch Grenzen: Wenn mal etwas demokratisch beschlossen ist, dann muss es auch umgesetzt werden. Am einfachsten lassen sich Menschen überzeugen, wenn sie sich ansehen können, was Veränderungen für sie bedeuten können. Deswegen müssen wir so etwas visualisieren. Im Grunde bräuchten wir in Stuttgart ein Quartier, einen Experimentierraum, wo sich die Menschen ansehen können, wie ein Zukunftsmodell aussieht und wie sich etwa Einfahrverbote auswirken.
Teilen sei das neue Haben lautete ein strapaziertes Motto. Doch mit dem Teilen ist es nicht so weit her. Car2go hat jüngst erst in Stuttgart sein Geschäftsgebiet reduziert. Sind wir noch in der Phase von Versuch und Irrtum?
Reeb Als Car2go startete, war noch Trial and Error an der Tagesordnung. Mit der Anpassung des Geschäftsgebiets in Stuttgart verteilen sich die Autos dank moderner Algorithmen viel besser im Stadtgebiet, wovon die Kunden täglich profitieren. Das Geschäftsmodell wird sich wieder stark verändern, wenn wir autonome Fahrzeuge haben. Davon wird das Carsharing massiv profitieren. Ein weit draußen abgestelltes Fahrzeug fährt dann eben selbstständig wieder zurück ins Hauptgeschäftsgebiet. Durch die Vernetzung brauchen Sie viel weniger Fahrzeuge, um die gleiche Anzahl an Fahrten anzubieten.
Dahl Ich bin auch ein fleißiger Nutzer von Car2go. Ich halte das Signal, das von der Reduzierung des Geschäftsgebiets ausgeht, für verheerend. Klar muss es sich rechnen, aber ich hätte als politisch Verantwortlicher alles darangesetzt, darüber mit Daimler nochmals zu verhandeln. Ich kenne so viele, die sich darüber ärgern. Wenn man zeigen will, dass Elektromobilität und Carsharing funktionieren, dann darf so etwas nicht passieren. Und das ist ja kein Einzelfall: Dass es den deutschen Autobauern nicht möglich gewesen ist, der Deutschen Post einen E-Transporter zu liefern, lässt einen schon daran zweifeln, wie ernst wir es mit der Elektromobilität nehmen.
Selbst Pioniere der E-Mobilität wie etwa Tesla haben mit den Mühen des Alltags zu kämpfen, wenn man sich etwa die Produktionszahlen des Models 3 ansieht, die hinter den Erwartungen zurückblieben. War man zu euphorisch im Hinblick auf die Elektrifizierung des Autos?
Reeb Bei vielen Entwicklungen können Sie den Gartner-Hype-Cycle beobachten.
Den bitte was?
Reeb Es gibt eine neue Technologie, die viel Aufmerksamkeit erfährt. Die Welt ist begeistert, und alle Berater machen Studien dazu. Das führt zu überzogenen Erwartungen und ist ein typisches Merkmal unserer Aufmerksamkeitsökonomie. Und dann beginnt das Rechnen, ob sich die Idee auch rentiert. Darauf folgt eine Ernüchterungsphase, die schließlich auf ein relativ gesundes Niveau führt. Und das erleben wir eben auch bei der Elektromobilität.
In der Diskussion wird immer wieder das Begriffspaar autogerechte und menschengerechte Stadt aufgerufen. Lässt das nicht außer Acht, dass auch in den Autos Menschen sitzen?
Reeb Wir haben das eher verkehrsgerecht genannt. Aber Sie haben recht: Auch das hat etwas mit Menschen zu tun. Die beiden Begriffe bringen unterschiedliche Prioritäten zum Ausdruck. Es gibt Menschen, die nehmen täglich Staus in Kauf, um am einen Ort leben zu können und am anderen das Geld zu verdienen, das sie für das Leben brauchen. Oder es gibt den Durchgangs- und Lieferverkehr, der sich durch die Stadt wälzt. Und da ist die Frage: Gestalte ich den öffentlichen Raum verkehrsgerecht, damit die Autos gut durchkommen. Das lässt aber außer Acht, wie es sich beidseits solcher Schneisen leben lässt.
Dahl Man muss doch dabei auch berücksichtigen, dass es einen Zuzug in die Metropolen gibt. Heute leben dort 50 Prozent der Bevölkerung, bis zum Ende des Jahrhunderts könnte das auf 75 bis 80 Prozent anwachsen. Da müssen neue Konzepte her, die mit anderen Ordnungen und anderen Prioritäten einhergehen. In den Städten wird man dem Auto nicht mehr den Raum einräumen können, den man ihm heute einräumt. In Städten wie Tübingen und Freiburg kann man in Ansätzen sehen, wohin die Reise gehen kann. Dort gibt es Viertel der kurzen Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen.
Klar ist also, wir alle müssen auf Wandel gefasst sein. Aber wie wird der vonstattengehen? Schleichend oder schlagartig, evolutionär oder disruptiv?
Reeb Momentan spricht man viel vom disruptiven Wandel. Aber der Wandel betrifft vor allem Menschen, und Menschen ändern sich nicht disruptiv. Menschen brauchen ein wenig, um ihre Routinen zu verändern. Das Disruptive steckt vielleicht darin, dass gerade viele Themen zusammenkommen, also etwa die Notwendigkeit, Klimaschutzziele zu erreichen, und neu aufkommende Technologien. Nichtsdestotrotz stößt die Veränderungsgeschwindigkeit von Menschen an Grenzen.
Dahl Der Mensch verändert sich nicht auf einen Schlag. Der Mensch ist bequem. Der eine will etwas Neues entdecken, der andere eher weniger. Ich glaube, dass wir eine Evolution erleben, mit Rückschlägen, aber auch mit interessanten Sprüngen im Fortschritt. Die Herausforderungen sind bewältigbar, aber man muss sie gestalten. Jetzt zu warten und sich treiben zu lassen wäre der größte Fehler in der Politik, aber auch in der Wirtschaft.