Die Stuttgarter Pop- und Jazz-Studenten haben im Sommer 2013 erfahren, dass Ihr Studiengang geschlossen werden soll. Mit Demonstrationen, einer Petition und viel Engagement wehrten sie sich gegen die Pläne der Landesregierung.

Stuttgart - Die Pop- und Jazz Studenten an der Musikhochschule Stuttgart bangten im Sommer 2013 um ihre Studienplätze. Über Facebook hatten sie erfahren, dass Ihr Studiengang in Stuttgart geschlossen werden soll. Mit Demonstrationen, einer Petition und viel Engagement wehrten sich die Musikstudenten erfolgreich gegen die Pläne der Landesregierung.

 

Philip Braun war einer der betroffenen Studenten. Zusammen mit der Initiative „Stuttgart braucht jungen Jazz“ engagierte er sich für den Erhalt des Studiengangs. Eine der Schirmherrinnen der Initiative ist Anne Czichowsky, die früher selbst in Stuttgart an der Musikhochschule studierte und mittlerweile Lehrbeauftragte für Jazz- und Popgesang ist. Ein Gespräch über studentischen Einsatzwillen, Zusammenhalt, lokale Kulturpolitik und Tipps für Studenten.

Herr Braun, Frau Czichowsky, der Rechnungshof hatte ausgerechnet, dass an den Musikhochschulen des Landes Baden-Württemberg fünf Millionen Euro gespart werden müssen und der Jazz- und Pop-Studiengang in Stuttgart geschlossen werden soll. Wie haben Sie davon erfahren?

Philip Braun: Ich habe es damals über Facebook erfahren. Da wurde von einem Kommilitonen einen Zeitungsartikel von der Stuttgarter Zeitung gepostet. Wir waren alle geschockt, dass wir das über die Zeitung erfahren haben und nicht über die Hochschule.

Anne Czichowsky: Ich habe es in der App der Stuttgarter Zeitung gelesen. Ich war ziemlich schockiert. Phillip und ich kommen aus dem gleichen Heimatort und wir haben uns dann gleich zusammen getan. Ich hab sofort die Facebook-Gruppe zum Erhalt des Studiengangs gegründet und Philip hat sich um die offizielle Facebook-Seite gekümmert. Wir haben gesagt, wir müssen jetzt einfach was tun. Wir haben dann einen Aufruf gestartet, sich am nächsten Tag um zwölf Uhr an der Hochschule zu treffen, um zu besprechen was wir jetzt machen können.

Wie haben die Studenten auf den Zeitungsartikel und die mögliche Schließung ihres Studiengangs reagiert?

Braun: Für uns Studenten war nicht klar, von wem das ausgeht. Als erstes überlegst du natürlich, ob das in der Hochschule jemand wusste und warum die Dozenten nichts gesagt haben. Dann stellst du dir auch die Fragen, ob dein Studienplatz wirklich weg ist. Du hast in dem Moment echt Angst um deinen Studienplatz. Du fühlst dich auch machtlos und total übergangen. Es fällt dann auch ganz schwer, wieder Vertrauen zu fassen. Du fragst dich, kommt das jetzt von ganz oben, hat die Hochschulleitung was damit zu tun?

Czichowsky: Wir wussten nicht konkret, von wo es ausgeht. Der Hochschule oder dem Ministerium, oder ob das überhaupt stimmt, was in der Zeitung stand.

Was waren die ersten Ideen, als Sie sich am Tag nach dem Bekanntwerden der Sparpläne getroffen haben? Wie wollten Sie vorgehen?

Czichowsky: Wir haben sofort gebrainstormt und haben gesagt, wir brauchen ein Motto, ein Logo, wir müssen Flyer machen, Demos organisieren und die Öffentlichkeit informieren. Wir haben uns dann in der Gruppe auf das Motto „Stuttgart braucht jungen Jazz“ geeinigt. Wir haben sofort Geld zusammengeworfen. Eine Gruppe ist in den Baumarkt gefahren und hat Plakate gebastelt und Philip und ich haben uns um die Grafik gekümmert.

Braun: Das musste alles schnell gehen, weil abends in der Hochschule noch eine Veranstaltung war, während der wir schon bereit stehen wollten um Unterschriften zu sammeln. Und während wir das gemacht haben, ging der Blick immer aufs Handy, ob es was Neues gibt.

Ihre Resignation war also nicht von langer Dauer?

Czichowsky: Es musste sofort losgehen. Es war überhaupt keine Zeit zu verlieren. In zwei Stunden musste alles stehen. Ich werde den Nachmittag nie vergessen.

Braun: In der Zeit fand ich es echt stark, wie viel Feuer da rauskam. Man hat wirklich gemerkt, wer dafür brennt und was es einem auch bedeutet, Musik zu machen. Es wird einem erst wieder bewusst, wie wichtig einem es wirklich ist, trotz der Einbußen, weil es sicherlich nicht der einfachste Job ist.

Czichowsky: Unter so einer Bedrohung mobilisiert man unfassbar viele Kräfte. Das ist ein gutes Beispiel. Wenn man diese Energie in etwas Positives kanalisieren kann, dann ist viel erreicht. In dem Beruf des Jazz-/Pop-Musikers braucht man genau diese Selbstinitiative.

"Ohne Bundestagswahlen hätten wir keine Chance gehabt"

Was haben Sie unternommen, um Ihren Studiengang in Stuttgart zu behalten?

Czichowsky: Damit haben viele nicht gerechnet. Viele waren überrascht von der Breite an Aktionen. Eigentlich unglaublich, was in der kurzen Zeit alles lief. Jürgen Bothner, Wolfgang Fuhr und ich haben Gespräche mit vielen Landtagsmitgliedern und Fraktionen geführt, offene Briefe geschrieben. Ich glaube, wenn am 22. September keine Bundestagswahlen gewesen wären, dann hätten wir keine Chance gehabt. Ich bin bis heute davon überzeugt, dass das eine große Rolle gespielt hat. Es haben sich aber auch viele Fraktionen wirklich eingesetzt und uns zugehört. Wir haben Straßenmusikaktionen in der Stadt gemacht, Flyer verteilt, in stillen Protesten demonstriert, ein Image-Video gedreht. Bei sämtlichen politischen Vertretern angeklopft. Wir haben uns bei diversen Wahlveranstaltungen versammelt und Flyer verteilt. Wir haben im September zwei große Konzerte organisiert: Das große Solidaritätskonzert im Theaterhaus und das Festival „Stuttgart liebt Jazz & Pop“ im LKA, welches allein von den Studierenden organisiert wurde. And.Y von den Fantastischen Vier hat im LKA gespielt und Florian König von Cro.

Welche Argumente haben Sie aufgeführt?

Braun: Kulturelle Vielfalt stand ganz oben auf der Liste. Was für uns ein weiteres Argument war, war die Kommunikation zwischen den Fakultäten. Bei uns in den Bands gibt es eben nicht nur Jazzer, sondern es ist immer bunt gemischt. Es findet ein kultureller Austausch zwischen den verschiedenen Musikrichtungen statt und das ist was ganz Neues. Es gibt eine gute Jazz-Szene in Stuttgart und die Studenten tragen diese mit.

Czichowsky: Im Prinzip entzieht man dieser Jazz-Szene seine Kinder. Die Existenz eines Studiengangs sorgt dafür, dass immer neue interessante Projekte entstehen und der Jazz mit Nachwuchs versorgt ist. Wenn man den Studiengang in Stuttgart geschlossen hätte, wäre die Jazz-Szene in Stuttgart über kurz oder lang ausgetrocknet. Das ist dann nur eine Frage der Zeit, aber in zehn bis 20 Jahren ist Stuttgart durch so einen Beschluss nicht mehr Jazz-Metropole.

Wie war der Zusammenhalt der Studenten in der schwierigen Zeit? Sind sie zusammengewachsen?

Braun: Zu einem großen Teil schon. Es war allerdings sehr unterschiedlich. Viele mussten schon auch schauen, wo sie selber bleiben. Viele waren auch einfach nicht da, weil eben Semesterferien waren. Viele Konzerte kannst du als Studenten nicht einfach absagen.

Czichowsky: Musiker sind Teamplayer. Wir werden in dem Kontext einer Band erzogen, in dem alle eine solistische, aber auch eine begleitende Funktion haben. Das große Ganze muss funktionieren. Diese Fähigkeit hat diesen Aktionen insgeheim geholfen. Das alles hat die Aufgabenverteilung einfacher gemacht.

Wie haben Ihnen die Politiker konkret geholfen?

Czichowsky: Zum Beispiel durch ihre Anwesenheit beim Solidaritätskonzert im Theaterhaus. Durch verschiedene Äußerungen in der Presse, weshalb der Studiengang wichtig ist für das Kulturleben in der Landeshauptstadt. OB Kuhn hat sich auch öffentlich positioniert und die Kulturbürgermeisterin Eisenmann hat sich in unserem Video zu der Thematik geäußert und sich von den Plänen distanziert und gesagt, dass der Jazz-/Pop-Studiengang in Stuttgart bleiben muss. Das war natürlich eine Aussage, die uns sehr gefreut hat.

2.500 Likes in ein paar Wochen

Wie hilfreich waren bei Ihrer Organisation und bei Ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit die sozialen Medien wie Facebook?

Braun: Das hat total mitgewirkt. Vom ersten Tag an hatten wir unsere eigene Facebook-Seite, innerhalb von ein paar Wochen hatten wir über 2.500 Likes. Die Vernetzung hat einfach super geklappt. Die Fans in der Freundesliste und die Fans der einzelnen Bands haben wir natürlich ausgenutzt und auch teilweise als Druckmittel verwendet.

Czichowsky: Jeder Musiker, der heute nicht mit den Netzwerken umgehen kann, ist verloren. Von daher war das ein guter Crashkurs in Sachen Networking. Es hat gut funktioniert, darüber Leute zu mobilisieren. Über Facebook haben wir auch die Leidensgenossen und Mitstreiter der anderen Standorte in Mannheim und Trossingen angeschrieben und uns vernetzt.

Sie haben eine Petition gestartet und Unterschriften gesammelt. Auf wie viele Unterschriften sind Sie gekommen und wie lief der Prozess ab?

Czichowsky: Ich habe die Petition ins Internet eingestellt und mit 20.000 Unterschriften relativ hoch angesetzt, aber es zählen auch die nicht digitalen Unterschriften. Im Internet hatten wir ca. 3.700 und insgesamt waren es über 10.000 Unterschriften. Wir haben die Petition eingereicht und im Januar habe ich einen Brief vom Petitionsausschuss des Landtages bekommen, dass sich die Petition erledigt hätte, weil das Thema ja dann vom Tisch war. Die Hochschulleitung der Stuttgarter Musikhochschule gab am 2. September 2013 via Pressemeldung Entwarnung und hat sich ganz offiziell zum Studiengang bekannt.

Theresia Bauer, die Kultusministerin der aktuellen Landesregierung, hat mit Ihnen bei einer Demonstration gesprochen. Wie waren der Kontakt und das Gespräch mit ihr?

Czichowsky: Die Gesprächsbereitschaft in so einer Situation war sehr anständig. Wir waren bei einer Demo auf dem Kronprinzplatz. Es hat geregnet, alle hatten Regenschirme und sie hat sich trotzdem eine Stunde lang mit uns unterhalten – das macht auch nicht jeder Politiker.

Braun: Vor allem wenn da noch 50 Studenten mit zugeklebtem Mund stehen. Ich glaube schon, dass das bedrohlich gewirkt hat. Die Drummer hatten gefesselte Hände.

Czichowsky: Die Idee war der stille Protest. Wenn der Jazz-/Pop-Studiengang geschlossen wird, dann verstummen der Jazz und der Pop in der Stadt.

Was wäre Ihr Tipp für Studenten, die politisch etwas verändern wollen?

Czichowsky: So viele Leute wie möglich mobilisieren. Sich verantwortlich fühlen, nicht nur für die Dauer des eigenen Studiums. Sich über die Konsequenzen für die nächsten Generationen bewusst sein. Man sollte sich nicht alles gefallen lassen und es gibt immer einen Weg, wenn man wirklich etwas erreichen will. Und in der heutigen Zeit ist es ein Leichtes, über die Netzwerke und das Internet viele Menschen zu mobilisieren. Wenn du dich kulturpolitisch engagierst, kommst du nicht umhin, dich mit politischen Strukturen zu befassen und dich darüber zu informieren, wer in diesem Land für was zuständig ist.

Braun: Man darf die Leidenschaft nicht verlieren. Viele haben mich gefragt, warum mache ich das eigentlich? Was bringt’s dir selber? Für mich war das aber gar keine Frage. Es geht im Leben generell nicht nur um mich. Das ist eine Gemeinschaft und es geht um die Zukunft. Ich habe mich dann in die Situation versetzt, was wäre gewesen wenn das vor 20 Jahren passiert wäre. Ich bin dankbar, dass es den Studiengang überhaupt gibt und ich hier studieren kann.

Dieser Text ist im Rahmen eines Projekts zum Thema "Studieren in Stuttgart" in Zusammenarbeit mit der Macromedia-Hochschule in Stuttgart entstanden. Alle Beiträge der Journalistik-Studenten gibt es auf unserer Themenseite.