Was bedeutet das Erbschaftsteuerurteil für Familienunternehmen? Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe stellt den Gesetzgeber vor schwierige Aufgaben.

Berlin - Nach dem Erbschaftsteuerurteil des Bundesverfassungsgerichts hat eine lebhafte Debatte begonnen, wie die Entscheidung umgesetzt werden kann. Wie selten zuvor haben sich viele Wirtschaftsverbände mit Forderungen zu Wort gemeldet. Der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion lud Familienunternehmer am Donnerstag zu einem Fachgespräch nach Berlin, um über die Folgen zu diskutieren. Damit verfolgt die Union das Ziel, die Unternehmen erst einmal zu beruhigen. Beschlüsse fallen ohnehin erst im nächsten Jahr.

 

Heiß diskutiert wird in Betrieben und Verbänden die Frage, was das Urteil für die großen Familienunternehmen bedeutet, die weltweit als Inbegriff des deutschen Mittelstands gesehen werden. Dabei handelt es sich etwa um bekannte Unternehmen wie Freudenberg, Trumpf, Dürr oder Hipp. Für sie sollen nach dem Willen des Verfassungsgerichts hohe Hürden für die steuerfreie Übertragung von Betriebsvermögen gelten. Werden große Betriebsvermögen vererbt, soll es eine Bedürfnisprüfung geben. So steht es im Karlsruher Urteil vom Mittwoch.

Doch was heißt das? „Es ist völlig unklar, wie die vom Verfassungsgericht geforderte Bedürfnisprüfung für große Familienunternehmen aussehen kann“, sagt Peer-Robin Paulus, Steuerexperte des Verbands Die Familienunternehmer. Paulus deutet die Vorgabe so: Die großen Familienunternehmen sollen künftig einen Nachweis führen, dass sie in Schwierigkeiten geraten, wenn sie Erbschaft- oder Schenkungsteuer bezahlen müssen. Denkbar ist etwa, dass ein Unternehmen seinen Antrag damit begründet, dass ohne die Verschonung nicht genügend Liquidität oder Eigenkapital zur Verfügung steht. Klar ist aber auch, dass dies streitanfällig ist. Die Wirtschaft befürchtet einen Gutachterkrieg. Die großen Familienunternehmen müssen sich aber darauf einstellen, dass sie keinen Anspruch mehr auf Pauschalvergünstigungen haben.

Die ungeklärten Fragen führen bei den Betrieben zu Unruhe

Die Schwierigkeiten fangen damit an, dass das Verfassungsgericht keine Angaben dazu macht, was unter einem großen Familienunternehmen zu verstehen ist. Dies muss der Gesetzgeber definieren. Steuerberater sind der Meinung, unter diese Kategorie fielen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 50 bis 100 Millionen Euro oder 250 Mitarbeitern.

Die ungeklärten Fragen führen bei den Betroffenen zu Unruhe. „Die Bedürfnisprüfung ist die offene Flanke für die Familienunternehmen“, sagt Paulus. Die Verunsicherung ist wohl auch deshalb gestiegen, weil große Familienunternehmen damit rechnen müssen, dass sich der Fiskus künftig für ihr Privatvermögen interessiert. Schließlich hängt vom Privatvermögen ab, ob eine Unternehmerfamilie die Erbschaft- und Schenkungsteuer bezahlen kann. Auch in praktischer Hinsicht wirft die Umsetzung Schwierigkeiten auf: Wer kontrolliert, ob ein Familienunternehmer die Steuerlast verkraften kann? Dies dürfe nicht der Betriebsprüfung überlassen werden, meint Paulus. Denn damit sei eine gleichmäßige Anwendung der Regeln nicht gewährleistet. Tatsächlich fallen die Kontrollen der Betriebsprüfer schon jetzt von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich aus. „Wir brauchen vom Gesetzgeber klare Kriterien“, meint Paulus.

Grundsätzliche Einwände gegen die Bedürfnisprüfung kommen von der Stiftung Familienunternehmen. Wenn ein Unternehmer seine Liquiditätslage offenlegen müsse, gehe er ein großes Risiko ein, dass Banken oder Wettbewerber davon Wind bekämen, dass das Unternehmen durch die Erbschaftsteuer in Zahlungsschwierigkeiten geraten könne. Aus diesen Gründen hätten in der Vergangenheit Stundungsregelungen bei der Erbschaftsteuer nicht gegriffen, erklärte Stiftungsvorstand Rainer Kirchdörfer.

Bei der Umsetzung des Erbschaftsteuerurteils sind die Karlsruher Vorgaben für die kleinen und mittleren Unternehmen vergleichsweise leicht umzusetzen. Bisher müssen Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern nicht nachweisen, dass sie die Lohnsumme über Jahre stabil gehalten haben, um von Vergünstigungen zu profitieren. Das Verfassungsgericht sagt nun, der Verzicht auf den Nachweis der Lohnsumme solle auf Betriebe „mit einigen wenigen Beschäftigten“ begrenzt sein. Was das heißt, bestimmt der Gesetzgeber.