Während der Ministerpräsident zielstrebig auf eine Jamaika-Koalition hinverhandelt, gibt es bei der gebeutelten Landes-CDU durchaus noch Bedenken. FDP und AfD feiern, die Sozialdemokraten lassen die Köpfe hängen.

Stuttgart - Als Winfried Kretschmann am Wahlabend um 19 Uhr im Landtag eintrifft, hat er einen unerwartet entspannten Sonntag hinter sich. Daheim in Sigmaringen war er extra früh wählen gegangen, um rechtzeitig am Flughafen in Stuttgart zu sein. Doch die geplante Maschine nach Berlin fiel kurzfristig aus, die nachfolgende war bereits ausgebucht und die Flugbereitschaft nicht verfügbar. Also nutzte der Ministerpräsident den sonnigen Herbsttag, um in der Landeshauptstadt den Bismarck-Turm zu erklimmen und das Theodor-Heuss-Haus zu besichtigen.

 

Kretschmann ist zufrieden mit den Grünen

Abends ist seine Laune gleichwohl nur „gemischt“, wie er vor Journalisten in der Lobby des Abgeordnetenhauses bekundet. „Beunruhigend“ finde er die Wahl der AfD in den Bundestag, sagt er mit sorgenvoller Miene. Dass dort zum ersten Mal eine rechte, „zu Teilen auch rechtsradikale“ Partei einziehe, sei ein „tiefer Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte“. „Zufrieden“ hingegen zeigt sich Kretschmann mit dem Abschneiden seiner Grünen, zumal in Baden-Württemberg. Bis zuletzt habe die Partei „gegen schlechte Umfragewerte gekämpft“; ob sie zweistellig werden würde, schien keineswegs sicher. Die Spitzenkandidaten, lobt er, hätten „einen sehr guten Wahlkampf geführt“. Nun stünden in Berlin schwierige Gespräche bevor, an denen sich die Grünen – sofern sie gefragt würden – „sehr ernsthaft“ beteiligen würden. „Es steht viel auf dem Spiel“, mahnt der Regierungschef – zum Beispiel die Zukunft Europas oder der Klimaschutz.

Grün-Schwarz blieb im Wahlkampf unbeschädigt

Die Frage nach seiner Rolle bei den Gesprächen bügelt Kretschmann zunächst ab, wie er das in den letzten Tagen immer getan hat: Darüber müssten die Spitzenkandidaten entscheiden. „Vermutlich“, fügt er dann hinzu, „werd‘ ich schon irgendwie dabei sein.“ Immerhin sei er der einzige grüne Ministerpräsident, und dass er eine Koalition mit der CDU führe, könne durchaus „wertvoll für die Verhandlungen“ sein.

Die Fraktionschefs von Grünen und CDU im Landtag warten derweil Seit an Seit, um ihr Fazit der Wahl zu ziehen. Unbegründet war die Sorge, der Wahlkampf werde einen Keil in das Stuttgarter Bündnis treiben; er habe das Verhältnis überhaupt nicht belastet, hatten beide Partner erleichtert festgestellt. Der Grünen-Vormann Andreas Schwarz würdigt den „starken Beitrag“, den Baden-Württemberg zum Abschneiden der Partei geliefert habe. Für den Umgang mit der AfD gibt er einen Tipp aus eigener Erfahrung: Man müsse die Partei „auf Inhalte abklopfen, dann stellt man schnell fest, dass dort nichts vorhanden ist“.

Ein „klarer Regierungsauftrag“ für die CDU

Er liegt bei der CDU, was den Fraktionschef Wolfgang Reinhart einerseits mit Zufriedenheit erfüllt. Man habe einen „klaren Regierungsauftrag“ erhalten, die Kanzlerin werde wieder Angela Merkel heißen. Gleichwohl ist er „enttäuscht“ vom Abschneiden der CDU, im Bund wie im Land. Es werde nun „langwierige Verhandlungen“ geben, prophezeit Reinhart, wohl über viele Wochen hinweg. Beide rechnerisch möglichen Optionen erscheinen ihm zwiespältig: Die große Koalition habe „die Ränder gestärkt“, fast 25 Prozent der Bürger hätten ganz rechts oder ganz links gewählt; dieser Trend könnte sich fortsetzen. Ein Dreierbündnis aber sei „noch schwieriger, noch zerbrechlicher“, gibt der CDU-Vormann zu bedenken; ob sich CDU, Grüne und FDP auf Jamaika einigen könnten, erscheint ihm ungewiss. Das AfD-Ergebnis müsse „eine Demokratie aushalten“, aber man werde versuchen, die Wähler der Partei zurückzugewinnen. Der Fraktionsvize Winfried Mack hat auch schon einen Tipp dafür. Kulturelle Fragen, Fragen der Identität hätten nun – wie bereits in anderen europäischen Ländern – auch in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt; diese Sorgen müsse die CDU ernst nehmen.

FDP feiert ihr „sensationelles Ergebnis“ im Land

Die AfD-Landesprominenz feiert derweil auf einem Neckarschiff. Schon bei den ersten Zahlen aus den Wahllokalen werden Freudengesänge angestimmt: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“ Emil Sänze, Vizefraktionschef, spricht beglückt von einem „historischen Tag“, den Einzug der AfD in den Bundestag bezeichnet er als einen „Meilenstein für die deutsche Demokratie“. Allerdings muss die AfD gemessen an ihrem Landtagswahlergebnis – im März 2016 erreichte sie in Baden-Württemberg 15,1 Prozent – einige Prozentpunkte zurückstecken. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 (5,2 Prozent) kann sie sich im Südwesten jedoch deutlich verbessern, das heißt: ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln.

Jubel bei der FDP

Groß ist der Jubel bei den Freidemokraten. Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke spricht von einem „sensationellen Ergebnis“. Dieses zeige allerdings auch, „wie unzulänglich die CDU in der Landesregierung gearbeitet“ habe. Dafür habe sie die Quittung bekommen.

Gedrückt ist hingegen die Stimmung bei den Sozialdemokraten, deren Lust auf Fortsetzung der großen Koalition gegen null tendiert. Andreas Stoch, Vorsitzender der Landtagsfraktion, spricht von einer „klaren Niederlage“ der SPD. Dies gelte allerdings auch für die CDU. „Es rächt sich jetzt, dass Merkel und die CDU einen Wahlkampf regelrecht verhindert haben, indem sie jeder inhaltlichen Auseinandersetzung aus dem Weg gingen“, sagt Stoch. Die SPD müsse „die Oppositionsrolle annehmen und ausfüllen“. In der Partei werde sich niemand finden, „der möchte, dass die SPD wieder in die Bundesregierung geht“.