In 170 Städten in den USA gehen die Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße. Die Demonstrationen bleiben weitgehend friedlich, die Ordnungskräfte halten sich zurück. Präsident Barack Obama mahnt erneut zur Ruhe.

New York - Es war ein mächtiger, ein überwältigender Augenblick am späten Dienstagabend, mitten auf dem Times Square, dem lärmenden, funkelnden, hektischen Herzen von Manhattan. Der ansonsten rund um die Uhr über die Kreuzung von Broadway und Seventh Avenue hupendende und drängelnde Verkehr war von ein paar Hundert Demonstranten lahm gelegt worden, die nun nach einem dreistündigen Marsch quer durch die Stadt inne hielten.

 

Ähnlich wie beim Kinderspiel „stille Post“ ging die Aufforderung zu einer Schweigeminute für Michael Brown durch die Menge und dann wurde es still. Es war der Höhepunkt der zweiten Nacht weitestgehend friedliche Proteste in New York, begleitet von einer sorgfältig auf Deeskalation bedachten Polizeimacht. Die zwar in Hundertschaft angerückten Cops ließen die Demonstranten gewähren, selbst als sie gegen den Verkehr die 14te Straße und später die Seventh Avenue hinauf marschierten und die Westseite von Manhattan in einen Parkplatz verwandelten. Erst als die Demonstranten versuchten, die Zufahrt zur Triboro Bridge, einer Hauptader in die Stadt, zu blockieren, schritt die Ordnungsmacht ein.

In Atlanta marschieren sie zu Musik von Enemy

Die New Yorker Demonstranten waren nicht alleine. In der zweiten Nacht, nachdem in Ferguson der Freispruch für den Polizisten Darren Wilson verkündet wurde, breiteten sich die Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf das ganze Land aus. In 170 US-Städten, wie der TV Sender CNN schätzte, gingen die Menschen auf die Straße um ihrem Zorn und ihrer Ohnmacht Ausdruck zu verleihen. Die Reste von Occupy, an vielen Orten Mitorganisatoren der Märsche, sprachen bereits davon, dass „dies kein Moment sondern eine Bewegung“, sei.

In Atlanta, der Wiege der Bürgerrechtsbewegung marschierten etwa 300 Menschen zum Rhythmus des Public Enemy Songs „Fight the Power“ durch die Innenstadt. Eine zornige Demonstrantin sagte gegenüber CNN: „Vor 70 Jahren war es legal im Süden Schwarze zu töten. Heute ist es im Prinzip immer noch legal.“In Boston marschierten geschätzte 1000 Menschen friedlich durch die Innenstadt. In Chicago begannen etwa 200 Mitglieder des „Black Youth Project“ einen 28 Stunden langen Sitzstreik vor dem Büro des Bürgermeisters. 28 Stunden ist der Takt, in dem in Illinois schwarze Jugendliche durch Polizeigewalt sterben.

Nur in Oakland kommt es zu Ausschreitungen

In Los Angeles blockierten Demonstranten vorübergehend den Freeway 101. Doch wie in New York reagierte die Polizei ausgesprochen zurückhaltend und gemäßigt. In Washington legten sich Demonstranten vor dem Polizeihauptquartier wie tot auf den Bürgersteig und ließen wie an einem Tatort mit Kreide ihre Körperumrisse aufmalen. Alleine in Oakland kam es zu Ausschreitungen. Mehrere Geschäfte wurden zerstört, im Geschäftsbezirk brannten zahlreiche Leuchtfeuer.

In Ferguson selbst verlief die zweite Nacht der Proteste deutlich friedlicher als die erste. Es kam am Dienstag nicht erneut zu Plünderungen und Brandstiftungen an Gebäuden, lediglich zwei Polizeiwagen wurden abgebrannt. Gegen Mitternacht löste die Nationalgarde, die in der zweiten Nacht der Proteste eine starke Präsenz zeigte, die Demonstrationen auf. Präsident Obama mahnte in einer Rede in Chicago angesichts der landesweiten Proteste erneut zur Friedfertigkeit. Gleichzeitig versprach er gemeinsam mit Justizminister Eric Holder eine nationale Überprüfung der Polizeipraktiken in die Wege zu leiten um sicher zu stellen, „dass jeder Bürger des Landes von der Ordnungsmacht fair behandelt wird.“

Ob das den zornigen Bürgern ausreicht, muss indes bezweifelt werden. „Mir wurde als Kind beigebracht, dass die Polizei mich beschützt und nicht, dass ich Angst vor ihr haben muss. Ich habe genug von diesen Killer Bullen“, sagte ein schwarzer Demonstrant in New York. Wie viele hier ließ er keinen Zweifel daran, dass er sich nicht mehr so leicht würde beschwichtigen lassen. Und so stellt sich Amerika auf ein ungemütliches Thanksgiving-Wochenende ein.