Die Universität Stuttgart hat einen Preis für eine Häuserfassade aus Biokunststoff gewonnen. Er besteht zu 90 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen.

Stuttgart - Nein, man müsse keine Sorge haben, dass sich das Bauwerk vorzeitig von selbst in seine Bestandteile auflösen werde, versichert Michael Schweizer. „Dafür braucht es schon industrielle Kompostieranlagen“, sagt er. Schweizer ist Projektmanager des Unternehmens Tecnaro, das den Werkstoff für die Biokunststoff-Fassade auf dem Universitätscampus Stadtmitte entwickelt hat.

 

Das Institut für Tragekonstruktion und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart hatte sich mit dem Unternehmen, Architekten sowie weiteren Partnern aus der Bauindustrie zusammengetan, um eine 140 Quadratmeter große Gebäudefassade zu entwickeln, die aus 388  Biokunststoff-Pyramiden zusammengesetzt ist. Für die pyramidenförmigen Bauteile werden Platten aus einem Kunststoffgranulat verwendet, das zu 90 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht, ganz ohne Erdöl auskommt und außerdem vollständig kompostierbar ist.

Ein kompostierbarer Kunststoff ist neu in der Baubranche

Zwar wurden schon vorher Biokunststoffe in der Industrie verwendet, beispielsweise für Verpackungen. „Diese erfüllten aber nicht die Voraussetzung, um in der Bauindustrie verwendet zu werden“, erklärt Schweizer. Besonders wichtig sei zum Beispiel, dass der Kunststoff witterungsbeständig und schwer entflammbar sei. Die Herstellung eines ökologisch verträglichen Kunststoffes, der diese Kriterien erfülle und sich trotzdem kompostieren lasse, sei einmalig, sagt Schweizer. Das Granulat lässt sich beliebig zurechtpressen und weist eine hohe Flexibilität auf. So können Gebäude mit Freiformflächen bekleidet werden. Dabei entstehen beispielsweise Fassadenteile in 3-D-Format. Reste, die bei der Verformung anfallen, werden eingeschmolzen und wiederverwendet. Außerdem kann der kompostierbare Biokunststoff nicht nur für Außenflächen, sondern auch für den Innenraum weiterverarbeitet werden. Eine solche Verknüpfung von Eigenschaften ist Michael Schweizer zufolge bei einem nachhaltigen Baustoff bisher nicht möglich gewesen.

„Zement, aus dem bisher die meisten Häuserfassaden gebaut werden, ist eine unglaubliche Dreckschleuder“, sagte ITKE-Direktor Jan Kippers im Rahmen der Einweihungsfeierlichkeiten am Donnerstag. Acht Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes falle bei der Zementherstellung an. Deshalb wollte die ITKE eine saubere Alternative für die Zukunft entwickeln. Bei der Planung und Umsetzung waren auch die Studenten mit eingebunden. „Wissenschaft, Forschung und Lehre gingen die ganze Zeit Hand in Hand“ , sagte Kippers. Er betonte außerdem den Modellcharakter der kompostierbaren Fassade: „Wir wollen zeigen, wie sich im Forschungsprojekt entwickelte Werkstoffe für hochwertige und gleichzeitig ökologisch effiziente Fassadenbekleidungen verwenden lassen.“ Mit dem Bau der Fassade könne man den wissenschaftlichen Fortschritt für jedermann sichtbar machen.

Auszeichnung beim Bundeswettbewerb

Dass wissenschaftlicher Fortschritt und nachhaltiges Handeln vereinbar sind, werde durch das Projekt überzeugend veranschaulicht, findet auch Landesumweltminister Franz Untersteller. „Die Ideen für biobasierte Materialien an den Fassaden sind sehr willkommen“, sagte er in seiner Laudatio am Donnerstag in Stuttgart. Er verwies außerdem darauf, dass Gestaltung und Optik in der Architektur eine immer wichtige Rolle spiele. Er freue sich, dass die futuristisch wirkende Biofassade dieser Entwicklung Rechnung trage.

Während der Einweihung der ökologisch verträglichen Hausfassade wurde auch ein Preis überreicht: dank der Projektidee und der Konzeption ist das ITKE im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ geehrt worden – als einer von 14 Preisträgern im Bereich Wissenschaft. Der Wettbewerb, bei dem die Stuttgarter mit tausend Mitbewerber konkurriert haben, ist Teil der Initiative „Deutschland, Land der Ideen“, die 2005 von der Bundesregierung und dem Bundesverband der Deutschen Industrie ins Leben gerufen wurde.

Die biologische Pyramidenfassade wird noch eine ganze Zeit lang auf dem Campusgelände in der Stadt zu sehen sein – sie kann bis zum nächsten Frühjahr in der Keplerstraße nahe der Universitätshochhäuser K1 und K2 bewundert werden.