Ganz kleine und ganz große Konzerte finden in Stuttgart immer einen Veranstaltungsort. Bei Gigs für 500, 600 Zuschauer herrscht nach der Schließung der Röhre aber tote Hose. Auf Hilfe der Stadt warten die Konzertveranstalter vergebens. Stattdessen passiert: nichts.

Stuttgart - Vor einem Jahr hat die Deutsche Bahn in einer Nacht- und Nebel-Aktion den Bereich vor dem Wagenburgtunnel sperren und 30 Bäume mit der Begründung fällen lassen, man brauche den Platz für die Einrichtung der Stuttgart-21-Baustelle. An die Aktion samt Polizeieinsatz haben am Abend laut Polizei 1400 Teilnehmer der Montagsdemonstration mit ihrem Marsch zum Tunnelportal erinnern.

 

Der Fällaktion im Januar 2012 war eine Woche zuvor ein herber Schlag für die Stuttgarter Musikszene vorausgegangen: Die Bahn hatte aus logistischen Gründen die Schließung des Kult-Clubs „Die Röhre“ veranlasst – fast 30 Jahre nach seiner Gründung. Dabei hätten sich die Veranstalter mit wenigen Metern Fußweg zufrieden gegeben, wie es übrigens einen, gleich in der Nähe beim Fluchttunneleingang, gibt.

30 Konzerte mussten umgebucht werden

Die Stadt kam ihrer Projektförderpflicht nach und beendete kurzfristig den Mietvertrag für diesen Ort musikalischer Vielfalt. Zwölf Monate später ist nicht nur für den ehemaligen „Röhre“-Betreiber Peter Reinhardt offenkundig, dass die Bahn Fakten geschaffen hat, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein musste, dass die Baustelle wegen der vielen ungeklärten Rechtsfragen gar nicht in Betrieb gehen konnte. Auch die Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann, der für die Liegenschaften zuständige Kämmerer Michael Föll (beide CDU) sowie der kulturpolitische Sprecher der CDU-Ratsfraktion, Jürgen Sauer, sind nicht gut auf die Bahn zu sprechen, „weil in der ‚Röhre’ noch heute Konzerte stattfinden könnten“. Stattdessen hat Reinhardt 30 bis Sommer 2012 fest vereinbarte Veranstaltungen umbuchen müssen.

Der Pächter des als Sprungbrett für Bands wie Nirvana, Die Ärzte oder Green Day bekannten Clubs weiß allerdings mit christdemokratischen Solidaritätsadressen nicht viel anzufangen. Das Liegenschaftsamt hatte ihm 2010 – offenbar versehentlich – gekündigt, das Papier dann aber nicht zerrissen, sondern einen Mietaufhebungsvertrag nachgeschoben. Fortan durfte sich der Pächter fühlen wie ein Asylbewerber – nur geduldet. Die Verantwortlichen bei der Stadt behaupten zwar, sich danach um Alternativen bemüht zu haben. Wer das Ambo-Kino oder das Theater im Depot anbiete, habe es aber wohl nicht sehr ernst gemeint mit der Unterstützung, bilanziert Reinhardt ein Jahr danach.

Es gibt in Stuttgart nichts Vergleichbares

Der 1984 eröffnete und 1993 von Reinhardt übernommene Club hat eine große Lücke hinterlassen. „Es gibt in Stuttgart einfach nichts mehr in der Größe und in der Ausstattung, selbst das Longhorn kann da nicht mithalten. Wir müssten eigentlich nach Ludwigsburg in die Rofa, da kann man aber nur Metal machen“, erklärt Matthias Mettmann vom Konzertveranstalter Music Circus (MC). Gäbe es einen Dax der Emotionen, der MC würde hoch gehandelt, schließlich ist es diese Firma, die neben anderen lokalen Veranstaltern wie Russ oder C2 dafür sorgt, dass Künstler von Bon Jovi über Robbie Williams bis Pink keinen gelangweilten Bogen um Stuttgart machen.

Aber auch einige Ligen drunter kommen diese Unternehmen einem wichtigen Bildungsauftrag nach. Genre-Bands, von denen der gemeine Radio-Konsument noch nie etwas gehört hat, finden dank MC und Co. ihren Weg nach Stuttgart. „In der ‚Röhre’ haben wir rund 30 Konzerte im Jahr veranstaltet“, sagt Mettmann. Die Schließung sei „eine einmalige Machtdemonstration“ gewesen. „Wir sind bis heute diesbezüglich sehr gereizt.“ Wie aber müsste ein Raum aussehen, der die Lücke schließen könnte, den die „Röhre“ hinterlassen hat? Im Gespräch mit den Konzertmachern fällt immer wieder der Begriff „lichte Höhe“. Mit der passenden Raumgröße sei es nicht getan, die hiesigen Veranstalter benötigen auch in der Deckenhöhe ein Mindestmaß, um eine ansprechende Lichtanlage unterzubringen.

Wohin mit einem Konzert für 600 Zuschauer?

Unterhalb der „Röhre“-Größe, in einer kleineren Hallen-Liga, gebe es mittlerweile jede Menge Konzert-Hallen. „Der Keller Klub und andere machen in der Größenordnung 200 Zuschauer einen tollen Job“, so Mettmann. Wenn man aber eine Band bucht, bei der mit 600 Leuten zu rechnen ist, schaut Stuttgarts Konzertpublikum seit ziemlich genau einem Jahr buchstäblich in die Röhre. „Manche Bands machen jetzt einen Bogen um Stuttgart, weil sie wissen, dass die ‚Röhre’ geschlossen ist. Die werden uns als lokalem Veranstalter erst gar nicht mehr angeboten“, so Mettmann weiter.

Überregional erfolgreiche Künstler trauern der „Röhre“ ebenfalls hinterher. Einen der letzten Auftritte neben dem Wagenburgtunnel durfte die schwer gehypte Band Kraftklub aus Chemnitz aufs Parkett legen. „Es ist eine Schande, so eine Bühne zu schließen“, schimpfte der Sänger der Band damals, um sich anschließend mit einem Salto von der Lichtanlage ins Publikum zu verabschieden. Auch die Orsons, Stuttgarter Senkrechtstarter, vermissen eine Auftrittsmöglichkeit, die ihnen ermöglicht hat, den nächsten Karriereschritt zu nehmen: „Die Luft da drin war sicher nie die beste, die Stimmung aber schon.“

Die Location funktionierte auf zwei Ebenen

Auch aus logistischer Sicht sei die „Röhre“ einmalig gewesen: „Wenn Künstler wie die amerikanische Metal-Band Mastodon für eine Produktion mit einem 17-Tonner angekommen sind, hatten sie vor der ‚Röhre’ genügend Platz zum Rangieren, Aus- und Beladen“, so Mettmann vom Music Circus.

Darüber hinaus hatte die „Röhre“ einen weiteren unschlagbaren Standortvorteil: Die Location funktionierte auf zwei Ebenen. Einmal als Spielstätte für Live-Musik, auf der anderen Seite aber auch als Club für Party-Reihen wie zum Beispiel die gefeierte Drum’n’Bass-Serie U-Turn, zu der Besucher aus der ganzen Region pilgerten.

Konzertveranstalter bauen nicht auf die Stadt

Hoffnung auf eine Hilfe von der Stadt haben die Konzertveranstalter nicht. „Wenn es nicht um öffentlich geförderte Kultur geht, ist das Kulturamt der Stadt wohl nicht die richtige Adresse. Außerdem hat man dort eher weniger Bezug zur Materie“, so Mettmann.

Auch in Bezug auf eine mögliche Zwischennutzung an anderer Stelle, an einen Ort, in dem die „Röhre“ zumindest temporär eine Heimat finden könnte, haben die Veranstalter wenig Hoffnung. „Bedingt durch die enge Lage im Stadtkessel sind Frei- oder Brachflächen sehr kostbar. Wenn eine Location leer steht, wird sie abgerissen, so schnell kann man gar nicht gucken, wie der Weg für neue Investoren oder Gebäude freigemacht wird.“