Der Bundesgerichtshof zerpflückt das NSU-Ermittlungsergebnis der Bundesanwaltschaft. Die Helfer des NSU und indirekt auch die NPD können hoffen. Nur die Vorwürfe gegen Beate Zschäpe haben Bestand.

Karlsruhe - Eine Haftprüfung ist, wenn der Rechtsstaat funktioniert, die Stunde der Wahrheit. Der Bundesgerichtshof hat am 25. Mai den Haftbefehl gegen Holger Gerlach, einen mutmaßlichen Helfer des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) aufgehoben. In der jetzt vorliegenden schriftlichen Begründung des Beschlusses wird der offizielle Ermittlungsstand gegen die Terrorgruppe erstmals öffentlich.

 

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs folgt der Darstellung der Bundesanwaltschaft, dass sich 1998 drei Personen zum NSU zusammengeschlossen haben: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich selbst getötet haben, und Beate Zschäpe, die sich in Haft befindet. Einschätzungen einzelner Beobachter, es könne schwierig sein, Zschäpe die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nachzuweisen, folgt der Bundesgerichtshof also nicht.

Als Ziel der Gruppe wird der Wechsel zu einem „an der nationalsozialistischen Ideologie ausgerichteten System“ unterstellt. Ihm sollte durch ein „Klima der Verunsicherung“ der Boden bereitet werden. Die Terroristen wollten dies durch die Ermordung angeblicher „Feinde des deutschen Volkes“ und „Repräsentanten der staatlichen Ordnung“ erreichen.

Nur noch drei Banküberfälle werden dem Trio zur Last gelegt

Belastend für Zschäpe wirkt der Hinweis, dass alle Morde und die anderen Straftaten des NSU „in Verfolgung der gemeinsam beschlossenen Ziele“ begangen worden seien. Den Strafverfolgern ist aber immer noch nicht klar, welche Gruppenmitglieder an den einzelnen Taten beteiligt waren. Dabei geht es vor allem um die neun Morde an Menschen ausländischer Herkunft, die Ermordung einer Polizistin in Heilbronn sowie zwei Sprengstoffanschläge in Köln.

Bemerkenswert ist, dass dem NSU im Gegensatz zu ersten Angaben nur noch drei Banküberfälle vom Jahr 2006 an zur Last gelegt werden, wobei lediglich im September und November 2011 Geld erbeutet worden sein soll. Diese Feststellung steht in einem Spannungsverhältnis zu der auch in dem Beschluss wiederholten Behauptung, die bereits 1998 in den Untergrund abgetauchten drei NSU-Mitglieder hätten das Geld aus den Überfällen für ihren Lebensunterhalt und für ihre Straftaten benötigt. Ursprünglich war von 14 Überfällen die Rede.

Bundesanwaltschaft fürchtet Niederlagen

Während die Bundesrichter der Bundesanwaltschaft bei der Einschätzung im Hinblick auf die Haupttäter folgen, widersprechen sie dem Vorgehen der Ermittler gegen die mutmaßlichen Helfer. Formal gilt der Gerichtsbeschluss nur für Holger Gerlach. Der Sachverhalt liegt aber bei den anderen Beschuldigten, die verhaftet worden waren, ganz ähnlich. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Bundesanwaltschaft am Dienstag zwei weitere mutmaßliche Helfer freigelassen hat. Die Behörde fürchtete erkennbar weitere Niederlagen vor Gericht.

Gerlach hat eingeräumt, 2001 oder 2002 eine Pistole samt Munition in die von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos genutzte Wohnung in Zwickau gebracht zu haben. Ein weiterer, jetzt freigelassener Beschuldigter soll diese Waffe gekauft haben. Den Auftrag dafür soll der noch in Haft befindliche frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben gegeben haben. Gerlach war in den Jahren um 1998 wie die mit ihm befreundeten späteren NSU-Aktivisten ein wichtiges Mitglied in der rechtsextremen „Kameradschaft Jena“.

Sympathie allein ist noch keine Beihilfe

Die Bundesanwaltschaft und der Ermittlungsrichter werteten die Übergabe der Waffe als Beihilfe zum Mord. Die Begründung: Gerlach habe „die Zugriffs- und Auswahlmöglichkeiten der NSU-Mitglieder auf Schusswaffen“ erweitert und „psychische Beihilfe“ zu den Morden geleistet, weil er signalisiert habe, „dass die Gruppe sich auf ihn verlassen kann.“

Diese rechtliche Bewertung geißelt der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs. Es gebe keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die Übergabe der Pistole die Morde in irgend einer Weise erleichtert oder gefördert habe. Zwischen der Übergabe der Waffe und den danach verübten Morden liege ein Zeitraum von drei Jahren. Es sei noch nicht einmal klar, ob sich die Waffe zum Zeitpunkt der Taten noch im Besitz des NSU befunden habe.

Was die „psychische Beihilfe“ angeht, sind die Richter noch kritischer. Zunächst sei unklar, ob Gerlach mit den Morden überhaupt gerechnet habe. Selbst wenn er dies getan hätte, sei völlig offen, ob sein Verhalten für die Terrorgruppe von irgendeiner Bedeutung gewesen sei. Schließlich spreche gegen eine Beihilfe die unwiderlegte Behauptung Gerlachs, er habe den Tätern klargemacht, dass er die Anwendung von Gewalt für sich ausschließe.

In dem Beschluss heißt es: „zu Ende gedacht“ würde die Auffassung der Ermittler dazu führen, „dass schon jede gegenüber Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung geäußerte Bekundung von Sympathie für ihre Ziele oder Taten objektiv – ohne dass Weiteres hinzukommen müsste – als Beihilfe“ zu deren Straftaten zu werten wäre. „Dies wäre rechtlich nicht haltbar.“

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs beeinflusst auch die Chancen eines möglichen NPD-Verbotsverfahrens.