Die Donna-Leon-Verfilmung „Das goldene Ei“ erzählt von einem erschütternden Kinderschicksal und blickt hinter die Kulissen des venezianischen Traums.

Stuttgart - Nur gut, dass Donna Leon, obschon mittlerweile Mitte siebzig, nach wie vor Jahr um Jahr einen neuen Venedig-Romane veröffentlicht; anders als bei vielen anderen Krimireihen müssen sich die Drehbuchautoren daher keine eigenen Geschichten ausdenken, die mit den Büchern Leons nur noch Schauplatz und Figuren gemein haben. Selbst dann aber würden die Produzenten vermutlich dafür sorgen, dass jene unverwechselbare Atmosphäre erhalten bleibt, die den morbiden Charme der Reihe ausmacht: Wo sich sonst die Abgründe hinter gefälligen Fassaden verbergen, ist die „Serenissima“, die „allerdurchlauchteste Republik des heiligen Markus“, innen wie außen verkommen.

 

Diese Dualität nutzen auch die Filme schon seit einiger Zeit. Selbstredend bedient die Reihe nach wie vor die Erwartungen des Fernwehfernsehens; Regisseur Sigi Rothemund, gemeinsam mit seinem Stammkameramann Dragan Rogulj bisher für fast alle Leon-Verfilmungen zuständig, schickt seine Schauspieler immer wieder gern über berühmte Plätze. In „Das goldene Ei“ finden Befragungen von Verdächtigen schon auf dem Polizeiboot statt, und viele Szenen tragen sich auf der traumhaften Dachterrasse des Commissarios zu. Aber die Blicke vom Boot und die Einstellungen in den Gassen zeigen eben auch den Verfall und damit die Kehrseite des venezianischen Traums.

Kinder-Elend im goldenen Käfig

Für die Geschichte gilt das erst recht. In ihrem 22. Brunetti-Roman schildert die Amerikanerin ein erbarmungswürdiges Schicksal, das schließlich tragisch endet. Davon hat Paola Brunetti (Julia Jäger) allerdings zunächst keine Ahnung, als Davide, der geistig behinderte Neffe der Reinigungsbesitzerin Maria Pia (Imogen Kogge), ihr die Wäsche heimträgt. Der junge Mann benimmt sich noch merkwürdiger als sonst, bricht schließlich vor dem Haus zusammen und stirbt im Krankenhaus. Bei einer Blutuntersuchung stellt sich raus, dass er an einer Überdosis Betablocker gestorben ist, die er offenbar seiner Mutter entwendet hat. Die unsympathische Tante und die frömmelnde Mutter (Juliane Köhler) versichern, Davide sei unglücklich und lebensmüde gewesen. Brunetti (Uwe Kockisch) kommt das seltsam vor: Warum ist der Junge zur Arbeit gegangen, wenn er doch wusste, dass er sterben würde? Für den Staatsanwalt (Wilfried Hochholdinger) ist der Fall klar. Aber dann entdeckt Paola zufällig, dass Davide offenbar keineswegs behindert war, sondern geistig verkümmert ist. Außerdem war er ein begabter Bildhauer; allerdings hat er immer wieder die gleiche kopflose Statue erschaffen. Die Erklärung für dieses Phänomen ist ziemlich erschütternd. Brunetti findet raus, dass der Junge, der offiziell gar nicht existiert hat, unter menschenunwürdigen Bedingungen aufgewachsen ist. Die Antwort auf die Frage, warum der junge Mann sterben musste, führt ausgerechnet ins Domizil des reichsten Bürgers von Venedig. Nun wird auch klar, warum der Staatsanwalt die Akte so schnell schließen wollte.

„Das goldene Ei“ ist kein vordergründig fesselnder Krimi, das Autorenduo Stefan Holtz und Florian Iwersen verzichtet bei seiner sechsten Donna-Leon-Adaption komplett auf herkömmlichen Nervenkitzel; deshalb klingt die vorzügliche Musik (Stefan Schulzki) ein paar Mal etwas zu dramatisch. Bemerkenswert wie stets ist die Besetzung, der Drehort veranlasst namhafte Schauspieler, auch für kleine Rollen zuzusagen. Besonders prägnant sind die wenigen Szenen mit Hans-Peter Hallwachs: Milliardär Ludovico Lembo war einst einer der mächtigsten Männer des Landes und ist heute an den Rollstuhl gefesselt. Hallwachs sagt im gesamten Film kein einziges Wort und spielt seine Figur mit Ausnahme der letzten Einstellung vollkommen reglos; das ist deutlich eindrucksvoller als die verdächtigen Mienen, die einige der anderen Nebendarsteller immer wieder mal aufsetzen müssen.