Wolfgang Schuster hat Stuttgart 16 Jahre lang mitgeprägt. Zum Abschied zieht die StZ in einer Serie Bilanz. Teil 2 handelt von Schuster als Bauherr. Der OB ist immer ein Freund der Investoren gewesen. Dafür gab es Kritik.

Stuttgart - Stuttgarts neuer grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat im Wahlkampf mit der klaren Aussage gepunktet, er werde „für Stuttgart bauen, nicht für Investoren“. Das konnte als Seitenhieb auf den Amtsinhaber Wolfgang Schuster (CDU) und als Pauschalkritik an dessen Arbeit in den vergangenen Jahren verstanden werden. Ohne Zweifel hatten Investoren stets eine offene Bürotür im ersten Stock des Stuttgarter Rathauses vorgefunden. Dass der OB sie gemeinsam mit seinen diversen Wirtschaftsförderern umgarnt habe, etwa auf den großen Immobilienmessen in Cannes und in München, wird er nicht dementieren wollen; dass er sich vereinnahmen lassen habe, aber schon. Der Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) wäre sein Kronzeuge: „Der OB ist immer sehr deutlich geworden, wenn ihm etwas nicht passte“, so Hahn.

 

Der Neu-OB Kuhn registriert zwar im Innenstadtbereich „immer die gleichen Banken- und Versicherungsfassaden“, die die Leute satt hätten, und mit „Gerber“ und „Milaneo“ große Einkaufszentren, über deren Notwendigkeit und Auswirkungen auf den etablierten Einzelhandel trefflich gestritten werden kann. Aber Schusters Tätigkeit als Impulsgeber und Motor für Investitionen und tausende Arbeitsplätze wird man mit einem lapidaren Verweis auf die den meisten Metropolen anhaftende Uniformität von Büro- und Geschäftsbauten insgesamt wohl nicht gerecht. Seine umfangreiche Bilanz als Bauherr, die auch eine Vielzahl städtischer Projekte im Hoch- und Tiefbau wie etwa die Neuordnung des Klinikums mit dem Umzug des „Olgäle“, den Pragtunnel, den Deckel über die B 14 vor dem Wilhelmspalais sowie Stadtbahnausbauten im Umfang von 870 Millionen Euro umfasst, werden auch seine Kritiker anerkennen – gleichwohl er im Rathaus nicht alleine darüber befand. Und häufig durfte er sie auch nur freundlich begleiten wie die Museen von Daimler und Porsche.

Schuster hat den Gemeinderat vor sich hergetrieben

Hätten seine Ideen zur Weiterentwicklung Stuttgarts nicht überzeugend gewirkt, wäre ihm wohl nicht die Mehrheit des Gemeinderats über zwei Amtszeiten gefolgt. Allerdings haben die Stadträte dies oft auch mit der Faust in der Tasche getan, weil Schuster das Gremium vor sich hergetrieben und sich bei der Akquise meist nur auf einen verlassen hat – auf sich selbst, weshalb ihm schnell der Ruf eines autistisch erscheinenden Stadtoberhaupts anhaftete. Der Baubürgermeister kann ein Lied davon singen. Dessen Loyalität hat Schuster ein ums andere Mal auf die Probe gestellt, etwa als er heimlich mit dem Killesberg-Investor Franz Fürst verhandelte, um danach dem Gemeinderat den fertigen Plan eines Modezentrums zu präsentieren. Das war übrigens eine von mehreren geplatzten Seifenblasen des Rathauschefs. Als bunteste bleibt wohl der Trump-Tower auf dem Pragsattel in Erinnerung, ein Wolkenkuckucksheim des umstrittenen Hamburger Klinikenbesitzers Ulrich Marseille, der Schuster 2004 Negativschlagzeilen bescherte. Der OB hakte diese Peinlichkeit als „Betriebsunfall“ ab. Tatsächlich zeigt die Affäre, das Schuster mitunter zu gutgläubig agierte und auf Ratschläge nicht reagierte.

Unerfüllt bleibt aller Wahrscheinlichkeit sein Traum vom Wissenspark für Kinder und Jugendliche, den er am Standort des SSB-Museums beim Cannstatter Wasen mit einem Planetariumneubau verwirklicht hätte. Das benachbarte Güterbahnhofareal spiegelt nach Ansicht des Grünen-Fraktionschefs Peter Pätzold die größte Schwäche des OB: seine Sprunghaftigkeit. „Projekte anschieben und sie dann schleifen lassen“ sei „typisch Schuster“ gewesen. So war die Verlegung des Stadtarchivs in den Bellingweg eine große Sache, für den noch wichtigeren Wohnungsbau auf dem Gelände machte er sich nicht stark. Die Folge: eine Brache und viele fruchtlose Debatten. Die Lähmung des Gemeinderats bei der Schaffung preisgünstigen Wohnraums ist eine Konsequenz aus Schusters Desinteresse an diesem Thema.

OB sah in S 21 nur die städtebaulichen Möglichkeiten

Die gute Leistungsbilanz wird allerdings geschmälert durch Stuttgart 21, das er während seiner ganzen Arbeitszeit zu forcieren versuchte. Am Ende seiner Karriere droht es ihm auf die Füße zu fallen. Der OB hatte nie Interesse an den verkehrlichen Auswirkungen, er ging stets davon aus, die Bahn wisse schon, was sie tue. Sein Augenmerk galt in erster Linie den städtebaulichen Möglichkeiten, die die Tieferlegung des Bahnhofs mit sich brächte. Schuster dachte groß: Parkerweiterung, Philharmonie, energieneutrale Wohnquartiere. Für das hinter dem bestehenden Bonatz-Bau vorgesehene Rosensteinviertel hat er Planungswerkstätten initiiert, obwohl die Realisierung noch mindestens 15 Jahre auf sich warten lässt. Kuhns Kritik an seelenlosen Bauten spielt im Übrigen auch auf die Blaupause für das neue Quartier an, das ehemalige Güterbahnhofgelände, wo die LBBW für rund 200 Millionen Euro ihre Zentrale erstellte und weitere architektonische Problembauten folgten.

Schusters ehemaliger persönlicher Referent Raimund Gründler erinnert sich an Schusters erstes Projekt: „Wenige Tage nach seinem Amtsantritt ließ er sich die Schlüssel für die Gebäude auf dem Boschareal geben. Bis dahin war das Projekt tot.“ Schuster hat es wiederbelebt. Fünf Jahre später war es zum Büro-, Einkaufs- und Vergnügungstempel umgebaut. In seiner Antrittsrede im Gemeinderat hatte er 1997 von einem Technologiepark im Unteren Grund in Vaihingen geschwärmt – das STEP ist längst Realität, wie auch die Landesmesse, die er in seiner Ansprache ebenfalls erwähnt hatte. Der Umzug auf die Fildern machte den Weg frei für die Neubebauung des alten Messestandorts am Killesberg mit Wohnungen und einem Stadtteilzentrum, wo kürzlich die ersten Läden eröffnet haben. Am Ende der 16jährigen Amtszeit konstatierte der Kämmerer Michael Föll (CDU) bei Schusters Verabschiedung, in der Stadt seien seit dem Amtsantritt des OB samt Eigenbetrieben und Beteiligungsunternehmen zwölf Milliarden Euro investiert worden.

Schuster feierte Spatenstiche und Baggerbisse

Stuttgart war lange Jahre eine „Booming City“. Schuster feierte Spatenstiche und Baggerbisse: Der Münchner Alfons Doblinger ließ sich überzeugen, Hunderte Millionen Euro in Technologieparks und Gewerbebauten in Wangen und Feuerbach einzusetzen. Rudi Häussler baute in Vaihingen die Ortsmitte um, erstellte das umstrittene Carl-Benz-Center neben dem Stadion und einen riesigen Komplex am Rotebühlplatz. In den vergangenen 16 Jahren wandelten sich die Heilbronner Straße und die obere Pragstraße zur Automeile und wurde das Gewerbegebiet Fasanenhof-Ost mit der EnBW-Zentrale aufgesiedelt.

In der Liste der „Leuchtturmprojekte“ fehlen weder das Kunstmuseum als zentrales Gebäude der Neuordnung des Kleinen Schlossplatzes samt der Einkaufspassage hinterm Königsbau noch die 2011 eingeweihte Bibliothek. Durch den Umzug der Bücherei ist im Wilhelmspalais Platz für das Stadtmuseum, dessen Eröffnung Schuster aber nur als Ehrengast erleben wird, ebenso wie die Festakte für die Cranko-Schule, die Gedenkstätte im Hotel Silber und das Dorotheenquartier. Fertig werden nach seinem Ausscheiden noch das Schulzentrum für Gesundheit und Pflege sowie der Umbau des Schulzentrums Nord.

Unter dem OB Schuster wurde die sportliche Infrastruktur massiv verbessert. Die Schleyerhalle wurde saniert, die kleinere Porsche-Arena und die Scharrena gebaut. Mehrere Male wurde das Daimler-Stadion modernisiert, danach in eine reine Fußballarena verwandelt. Schuster hat sich vom Hauptnutzer VfB wegen seiner Haltung, dem Verein nichts schenken zu vollen, viel Kritik gefallen lassen müssen. Die Verhandlungen führte er auch mit einem weinenden Auge: Lange wollte er in Erinnerung an die Welt- und Europameisterschaften nicht von der Leichtathletik-Laufbahn lassen.