Fußballtrainer haben es schwer. Sie werden oft entlassen. Aber sie bekommen dafür so viel Schmerzensgeld, dass sie am Ende die großen Gewinner sind.

Stuttgart - Max Merkel, der legendäre Trainer und Fachbuchautor („Mit Zuckerbrot und Peitsche“), hat seinerzeit das Zeremoniell so beschrieben: „Zum Abschied kommen sie immer wie ein Erschießungskommando: dunkler Koffer, dunkler Anzug, schwarze Hüte.“

 

Trainerentlassung.

Die Fußballsaison ist zwar noch jung, aber für das Zuckerbrot ist es vereinzelt schon wieder zu spät. Die ersten Dunkelmänner reagieren auf die ersten Fehlstarts mit der Peitsche, und die neugierige Öffentlichkeit stellt sich die Frage: Wer steht nach Bruno Labbadia als Nächster vor dem Abschuss: Jens Keller oder Torsten Fink?

Eine so bohrende Frage ist verpönt und riskant. Als ein TV-Interviewer neulich vom Manager des punktlosen Tabellenvorletzten VfB wissen wollte, ob es mit Labbadia noch weitergehe, zog ihm Fredi Bobic verbal mit dem Holzhammer einen Scheitel: „Dumme, respektlose Frage.“ Tags darauf hat er den Trainer dann vor die Tür gesetzt – offenbar hielt er diese Antwort für intelligent und respektvoll.

Der Verstand hisst die weiße Flagge

Das soll einer verstehen. Aber so ist das bei Trainerentlassungen: Der Verstand hisst die weiße Flagge und kapituliert. Das Wackeln und Feuern eines Trainers geschieht immer in Form eines emotionalen Eiertanzes, keiner will damit offen zu tun haben und versucht, à la Bobic, so virtuos wie möglich auf der Klaviatur der Gefühle zu klimpern, inklusive des Mitleids. Der kühle Kopf wird ausgeschaltet, man denkt mit dem Bauch, es kommt besser rüber.

Sogar die FAZ, hinter der ja ein kluger Kopf steckt, hat dieser Tage mit dem Bauch geschrieben und Bobic als „Rausschmeißer“ angepflaumt – des Managers These, Labbadia habe die Spieler nicht mehr erreicht, sei „weder messbar noch überprüfbar“. Gefühlsstark wurde Labbadia auch für die Großtat gelobt, den VfB „ins deutsche Pokalfinale gewuchtet“ zu haben. Richtiger wäre Folgendes: der VfB hat sich weitgehend durchgemurkst gegen unterklassige Unterbelichtete, mit mehr Losglück als Verstand.

Dieser Verstand lässt bei Trainerdiskussionen dem Gefühl oft derart den Vortritt, dass selbst das Überprüfbare einpacken kann. Labbadia war mit 1,41 gewonnenen Punkten pro Spiel erfolgloser als vor ihm die VfB-Trainer Veh, Babbel und Gross, nur Keller gelang noch weniger. Überdies geht der Dauerkartenverkauf messbar zurück, viele VfB-Fans ergreifen heulend die Flucht, und auf der Richterskala der Aufbruchstimmung schlug der Zeiger zuletzt gegen null aus. Das sind die messbaren Fakten, flankiert von der überprüfbaren Labbadia-Beurteilung des Ex-VfBlers Thomas Berthold im „Kicker“ („Keine klare Handschrift, kein Spieler hat sich weiterentwickelt, und wenn, dann in die falsche Richtung“) – und doch finden viele, dass die Trainer nicht verantwortlich sind für ihre Bilanz oder dass sie gar mit Waffengewalt dazu gezwungen werden, den schlimmsten Job dieser Welt auszuüben.

Alle brüllen „raus!“

Dabei ist Trainer ein Traumjob, vergleichbar mit dem eines überbezahlten Topmanagers in der Wirtschaft. Wenn der seine Firma ruiniert, brüllen alle „raus!“, doch mit der Millionenabfindung im Kofferraum verschmerzt er es prima, wenn ihm am Ende beim Verlassen des Parkplatzes ein paar Wutschnaubende den Daimler blockieren. „Ich bin dann mal weg“, sagt er fröhlich winkend.

Der Trainerjob ist noch geringfügig angenehmer. Bei Labbadia hat dieser Tage keiner den Stern vom Kühler gerissen, und die vielen Handschläge zum Abschied haben sich sogar noch mal so gut angefühlt wie der, mit dem ihm der Ex-Präsident Mäuser letzten Februar noch schnell den Vertrag bis 2015 verlängert hat. Labbadia sah an jenem Tag aus wie einer, den gerade das Fräulein von der Lottozentrale angerufen und gefragt hat: „Wollen Sie die drei Millionen in großen oder in kleinen Scheinen?“

Lieber Leser, wann hatten Sie Ihren letzten Sechser im Lotto? Noch nie? Dann haben Sie den falschen Beruf. Trainer ist besser. Ein Trainer hat immer wieder einen Sechser im Lotto, alle paar Jahre ist ihm der nächste vertraglich sicher, mit Zusatzzahlung und Abfindung. Der Trainerberuf ist der erfüllte Traum aller Träume, und deshalb würden nach glaubhaften Umfragen sechs von vier Deutschen nicht nur mit Guardiola oder Klopp auf der Stelle tauschen, sondern blindlings sogar mit Labbadia, Keller oder Fink – und in Kauf nehmen, dass sie montags beim Bäcker beschimpft werden und die Kinder in der Schule sich fragen lassen müssten: „Was iss’n dein Alter für ’ne Pfeife?“

Herzerreißende Wutreden

Diese kleinen Schönheitsfehler sind im Traumpaket inbegriffen, unter der Klausel Schmerzensgeld. Doch der pfiffige Trainer kann sie in der Not ja auf ein erträgliches Maß minimieren, mit Hilfe mitreißender Durchhalteparolen oder herzzerreißender Wutreden. Und er benötigt eine zündende Antwort, falls der ungeduldige Präsident auf der Matte steht und sich aufführt wie Pat Williams, der als Manager des US-Basketballclubs Orlando Magic seinen Trainer einmal fragte: „Wir gewinnen zu Hause nicht, und wir gewinnen auswärts nicht – fällt Ihnen unter Umständen noch ein weiterer Ort ein, an dem man gewinnen könnte?“

Die armen, verzweifelten Bosse. Sie sind gar nicht diese bösen Kerle, die im dunklen Anzug und mit den schwarzen Hüten kommen – zum Stichwort Erschießungskommando fällt uns eher die alte Geschichte vom Henker ein, der mit seinem Opfer auf dem Weg zum Schafott ist, und es schüttet, und sein Sträfling fängt wegen des Sauwetters plötzlich mit dem Jammern an. „Halt’s Maul“, faucht da der Henker, „ich muss den ganzen Weg wieder zurück.“

Die Bosse haben den schlimmeren Job. Für sie geht der Weg immer weiter – während der Trainer fröhlich seinen Lottogewinn einlöst und darauf lauert, wo der nächste Kollege wackelt und wieder ein Traumjob frei wird.