So lange es viel zu verteilen gab, herrschte große Eintracht zwischen Arbeitnehmern und der EnBW. Nun, da beim Personal gespart werden muss, ändert sich das. Der radikale Ausstieg aus dem Großkundengeschäft provoziert ungewohnt scharfe Töne.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herrschte beim Energiekonzern EnBW traditionell trautes Einvernehmen. Die meisten Probleme pflegten das Management und die Personalvertreter gemeinsam zu lösen. Wenn es doch einmal größere Meinungsunterschiede gab, drang davon selten etwas nach draußen. Auch die zuständigen Funktionäre der Gewerkschaft Verdi – oft zugleich Aufsichtsräte – bissen sich lieber auf die Zunge, als öffentlich ein kritisches Wort über die EnBW-Führung zu sagen. Dafür wechselten sie schon mal auf attraktive Posten in dem Karlsruher Konzern – wie zuletzt gleich zwei Verdi-Fachbereichsleiter Ver- und Entsorgung. 2010 ging Werner Vorderwühlbecke als Arbeitsdirektor zu einer Vorläuferfirma von EnBW Operations, 2016 sein Nachfolger Bodo Moray als Geschäftsführer und Arbeitsdirektor zur Netze BW GmbH.

 

Ob Geld oder Jobs, in den guten Zeiten gab es eben immer etwas zu verteilen. Nun aber, da der einst prächtig verdienende Atomkonzern für die regenerative Energiezukunft umgebaut wird, bekommt die Harmonie erstmals sichtbare Risse. Morays Nachfolger bei Verdi, Stefan Hamm, und andere Arbeitnehmervertreter haben in den zurückliegenden Monaten ungewohnt deutliche Töne angeschlagen – und das erstmals öffentlich. An den EnBW-Chef Frank Mastiaux richteten sie vor allem die Warnung, bloß nicht zu sehr bei den Mitarbeitern zu sparen.

„Panisch auf Personalkosten gestürzt“

„Wie die Katze auf die Maus“ habe sich die Konzernführung „auf die Personalkosten gestürzt“, rügte der Betriebsrat und Verdi-Funktionär Thomas Pfirmann unlängst im Gewerkschaftsblatt. Einerseits werde fast täglich das „EnBW-Team“ gelobt, andererseits wolle man sich zu Lasten eben jenes Teams sanieren – das sei „der falsche Weg“. Die Beschäftigten seien nicht nur ein Kostenfaktor, sondern vor allem das Kapital des Konzerns; mit ihrem Engagement und Knowhow werde letztlich das Geld verdient. Wer „panisch und übereifrig“ bei ihnen kürzen wolle, so Pfirmann, der schneide sich „ins eigene Fleisch“.

Auslöser der drastischen Appelle war eine Entscheidung, die Mastiaux Mitte 2016 bekannt gegeben hatte: Der Konzern werde das nicht profitable Großkundengeschäft aufgeben. Bestehende Verträge würden natürlich erfüllt, neue aber nicht mehr abgeschlossen. Betroffen seien 400 Mitarbeiter, denen man freiwillige Aufhebungsvereinbarungen oder andere Jobs im Unternehmen anbieten werde; betriebsbedingte Kündigungen seien ausgeschlossen. Der Preiswettbewerb in dem Bereich sei einfach zu groß geworden, begründete Finanzvorstand Thomas Kusterer die Radikallösung, wirtschaftlich biete er keine Perspektive mehr. Man konzentriere sich nun auf Geschäfte mit Wachstumspotenzial, in denen sich mehr Geld verdienen lasse.

Verluste liefen aus dem Ruder

Die Arbeitnehmerseite wurde von dem Entschluss kalt erwischt, man sei vorab „nicht eingebunden“ gewesen. Für die Betroffenen bedeute das „ein großes Unglück“, klagte der Verdi-Mann Hamm. Habe es dazu wirklich keine Alternative gegeben? Für die großen Verluste seien doch nicht die Beschäftigten verantwortlich, sekundierte sein Kollege Pfirmann. „Hier hat Führung und Strategie versagt.“

Groß waren die Verluste in der Tat: nach StZ-Informationen stiegen sie von 40 Millionen Euro vor einigen Jahren auf zuletzt 60 Millionen Euro jährlich. Von Mastiauxs Vorgabe, der Vertrieb solle bis zum Jahr 2020 jährlich 400 Millionen Euro verdienen, lag man damit meilenweit entfernt. Aussicht auf eine Besserung habe angesichts des Verfalls der Großhandelspreise und des verschärften Wettbewerbs nicht mehr bestanden. „Die Schließung war daher eine bedauerliche, aber alternativlose Konsequenz“, sagt ein EnBW-Sprecher. Mit Blick auf die Gesamtverantwortung für den Konzern sei „sofortiges Handeln geboten“ gewesen.

Ex-Vorstand wollte früh gegensteuern

Zuletzt war das wohl so. Aber hätte man nicht früher gegensteuern können? Wäre das Großkundengeschäft (Fachjargon: B2B, Business to Business) mit einer weitsichtigeren Strategie zu retten gewesen? Solche Bemühungen gab es in der Tat – aber sie stießen auf diverse Widerstände, nicht zuletzt von der Arbeitnehmerseite. Der frühere Vertriebsvorstand Dirk Mausbeck hatte die Probleme bereits vor einigen Jahren klar erkannt und konsequent angegangen. Er setzte auf eine Doppelstrategie: einerseits sollte das Angebot für die Großkunden verbessert werden, etwa, indem man ihnen Einsparpotenziale aufspüren half. Andererseits sollte der EnBW-Vertrieb effizienter aufgestellt werden; aus vier Vertriebsgesellschaften, zum Beispiel, wurden unter Mausbeck eine. Auch die Bezahlung der Mitarbeiter und die Dienstwagen nahm er ins Visier: Man müsse bei den Kunden nicht mit dem Passat vorfahren, ein Polo tue es auch, hieß es etwa. Auf große Begeisterung stieß das natürlich nicht, weder bei der Belegschaft noch bei den betroffenen Führungskräften. So blieb das Konzept, mit dem man zumindest eine schwarze Null erreichen wollte, auf halbem Weg stecken.

Gedankt wurde Mausbeck der Einsatz nicht, auch wenn er im Aufsichtsrat durchaus Anerkennung fand. Sein 2014 auslaufender Vertrag wurde nicht verlängert, Mastiaux setzte stattdessen auf eine Frau von außen: Susan Hennersdorf, eine von Vodafone kommende Vertriebsexpertin. Doch das Kalkül, sie werde mit ihren Erfahrungen aus der Telekommunikationsbranche auch den Energiekonzern voranbringen, ging nicht auf: Ende 2016 verabschiedete sich die Hoffnungsträgerin nach nur zwei Jahren, offiziell aus persönlichen Gründen.

Verdi: wir können nicht blockieren

Seither erscheint Mausbecks Bilanz im Rückblick deutlich heller. Nicht nur beim Großkundengeschäft, meinen Branchenbeobachter, auch bei anderen Themen habe er einen guten Riecher gehabt. Richtig sei es etwa gewesen, dass die EnBW unter seine Ägide erstmals auch Minderheitsbeteiligungen mit Kommunen bei Netzbetreibergesellschaften einging; bis dahin wollte sie stets die Mehrheit haben. Auch mit dem Projekt „Nachhaltige Stadt“ habe er ein zukunftsträchtiges Konzept für die Zusammenarbeit mit Kommunen gefördert. Früher als andere habe Mausbeck zudem erkannt, dass sich der Konzern bei den umstrittenen Kohlelieferungen aus Kolumbien seiner gesellschaftlichen Verantwortung stellen müsse.

Wurde ein Manager, der die Probleme im Vertrieb früh angehen wollte, also von allzu kurzsichtigen Personalvertretern gebremst? Auf diesen Vorhalt geht der Verdi-Mann Hamm nur allgemein ein. „Blockieren oder behindern kann die Arbeitnehmerbank Entscheidungen nie“, teilte er auf StZ-Anfrage mit. „Dazu fehlt ihr eine Stimme.“ Niemand könne ein Unternehmen „gegen die Beschäftigten erfolgreich umbauen“, betont Hamm. Kritisiert habe Verdi vor allem den von EnBW-Seite erweckten Eindruck, es könne – entgegen einer klaren Vereinbarung – auf absehbare Zeit zu Kündigungen kommen. Da müsse man schon mal „Kante zeigen“ und „harte Worte“ wählen.

Gemeinsames Interesse an starker EnBW

Doch man streite nur über den Weg zum Ziel, „manchmal gar über kleinste Schritte“, nicht über das Ziel an sich. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten schließlich das gleiche Interesse, dass die EnBW ein starkes Unternehmen mit vielen Jobs bleibe. Dazu zählte auch, dass neue Geschäftsbereiche entwickelt würden, „intensiver als bisher“.

Auch ein EnBW-Sprecher sieht das enge Zusammenwirken mit den Mitarbeitern „in keiner Weise in Frage gestellt“. Schwierige Einzelthemen könnten „im Ton bisweilen auch emotional“ diskutiert werden, doch das Verbindende sei ungleich wichtiger: Allen Beteiligten sei daran gelegen, dass die EnBW „im Umbau nicht aufgespalten wird“ und am Ende zukunftsfähig dastehe. Knapp ein Drittel der Mitarbeiter des Großkundenvertriebs hätten inzwischen übrigens eine neue Aufgabe gefunden, teils intern, teils extern. Bis Ende 2018 wolle man den Stellenabbau im Wesentlichen abschließen.

Der Seitenwechsel soll möglich bleiben

Geht es nach der Verdi-Spitze um sollen auch in Zukunft Karrieren von Arbeitnehmervertretern als Manager möglich sein. Ob solche Wechsel nicht nach Belohnung röchen und das Vertrauen in die Gewerkschafter untergrüben? Weder noch, meint ein Sprecher des neuen Verdi-Chefs Martin Gross. Es liege in der Tradition der deutschen Mitbestimmung, dass der Arbeitsdirektor vom Vertrauen der Mitarbeiter getragen werde. Deswegen sei es üblich und auch gesetzlich gewollt, die Position aus den Reihen der Arbeitnehmervertreter zu besetzen – „gelebte Sozialpartnerschaft“ eben. Sollte ein Ex-Verdi-Mann als Arbeitsdirektor aber vergessen, „wo er her kommt und mit wessen Stimmen er gewählt wurde“, schade das allen Seiten. Dann, sagt der Sprecher, hätte „Verdi keine Beißhemmungen gegenüber Ehemaligen, im Gegenteil“.