War das Leben für Christen während des Krieges in Syrien ähnlich gefährlich?
„Während des Kriegs haben wir jeden Tag Verfolgung und Schikanen erlebt. Jahrelang waren unsere Wasserleitungen in Aleppo trocken. Kein einziger Tropfen ist herausgekommen, weil die Türken aus dem Norden die Leitungen verstopft haben. Und sie haben uns erzählt, dass sie aus unserer Stadt eine Wüste machen werden, damit wir dort nicht leben können und fliehen müssen. 2016 haben die Türken Kessab überfallen, unsere Kirchen und Schulen niedergebrannt und Armenier vertrieben. Oder Truppen sind an unseren Kirchenmauern entlang marschiert und haben so laut auf Arabisch geredet und gerufen, dass wir es im Inneren hören konnten. Den Satz: „Diese Christen werden wir zerstören“, habe ich so oft gehört. Mein Sohn hat ihn gehört, wir alle haben ihn gehört. Immer und immer wieder. Wir hatten Angst.“
Und heute?
„Die Angst bleibt, dass die Türken wieder zurückkommen. Solange der IS da ist und andere islamisch, fanatische Bewegungen finanziert werden, ist auch die Gefahr da. Diese Leute haben Unterstützer aus dem Westen. Sie haben kein Geld für Waffen, aber sie werden unterstützt, um Gefahr zu bringen. Und dies wird alles zurückkommen. Und vor diesem Tag habe ich Angst. Denn heute ist die Gefahr global.
Wie meinen Sie das?
Als ich vor vier Jahren durch Europa gereist bin, um von der Lage in Syrien zu berichten, habe ich immer vor islamisch, fanatischen Gruppen gewarnt. Viele wollten das nicht verstehen, aber was in Syrien passiert ist, kann auch in Europa, Amerika oder auf der ganzen Welt passieren. Die Gefahr ist da, solange all diejenigen, die Gefahr stiften, präsent sind. Daher sollten wir sehr sensibel und weise sein, wie wir mit solchen Gefahren umgehen.“

Selimian kritisiert die deutsche Waffenlieferung an die Türkei

Was halten Sie davon, dass Deutschland Panzer an die türkischen Truppen im Norden verkauft?
„Ich glaube daran, dass Nationen das Recht haben mit ihrem Militär ihre eigenen Grenzen zu schützen. Wenn eine Nation, in diesem Fall die Türkei, aber die Ambition hat, ihre Grenze zu überschreiten und in ein Nachbarland vorzudringen, in diesem Fall Syrien, dann sollten die Deutschen das nicht unterstützen. Die Armee erfüllt nicht ihren eigentlichen Zweck und das ist gefährlich. Je mehr man liefert, desto mehr werden diese Ambitionen gefüttert, die weder legal noch akzeptabel sind.“
Welcher Moment ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?
„Es wurde zum vierten Mal auf unser Schulgebäude gezielt. Ich war in meinem Büro im Erdgeschoss und mein damals zwölfjähriger Sohn hat im oberen Stockwerk gelernt. Als eine große Rakete in das Schuldach einschlug, war er im Raum neben dem Klassenzimmer, das komplett zerstört wurde. Ich habe die Explosion gehört, bin aus meinem Büro gerannt und im selben Moment ist auch er aus dem Raum gekommen. Völlig verstaubt. Ich rief ihm zu: „Arno!“. Er rief zurück: „Papa!“. Und unsere Augen haben sich getroffen. Ich sagte: „Warte, ich komme zu dir.“ Aber er antwortete mir: „Nein, Papa. Bleib da, ich komme runter, weil es unten sicherer ist.“ Ich werde nie vergessen, wie mein zwölfjähriger Sohn weiser war als ich in diesem Moment. Wir hätten beide tot sein können. Es war ein sehr starker Angriff, aber zum Glück ist nur ein kleiner Teil der Rakete explodiert. So war nur das Dach zerstört. Es gibt so vieles, das mich berührt und die bösen Erinnerungen zurückbringt. Aber das hat mich geformt. Jetzt bin ich stärker. Ich fühle, dass mein Charakter, meine Persönlichkeit beständiger ist, weil ich Gefahr, Attacken und Verfolgung erlebt habe.“