Zwei junge Forscher erläutern das Konzept der Graduiertenschule GSAME an der Uni Stuttgart. Allerdings läuft das im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderte Projekt in zwei Jahren aus. Derzeit wird über die Zukunft der Schule diskutiert.

Stuttgart - Alexander Traut hat einen Filter mitgebracht, um sein Promotionsprojekt zu erklären. Der Filter erinnert an eine Ziehharmonika aus gelblichem Papier. In einem Motor könnten Luft oder Öl durch die dünnen Lagen Papier strömen, und der Schmutz würde an den Fasern hängenbleiben. In seiner Doktorarbeit untersucht der 28-Jährige, wie man die Papierstreifen verstärken muss, damit sie sich nicht zu stark verbiegen. „Das Ziel ist eigentlich, so wenig wie möglich mit dem Papier zu machen“, sagt Traut. Die Luft soll am besten ungehindert durch den Filter strömen. Aber etwas verstärken muss man das Papier dann doch, da sich sonst bei starkem Luftstrom jeweils einige Lagen Papier zu einem Paket zusammenpressen, das kaum noch Luft durchlässt. Traut soll eine unauffällige Verstärkung finden, die den unerwünschten Paket-Effekt verhindert.

 

Das Problem könnte man lösen, indem man lauter Verstärkungen am Prüfstand testet. Traut entwickelt jedoch einen virtuellen Prototypen, also eine Computersimulation des Filters. Sie soll es erlauben, schnell eine Antwort auf die jeweiligen Anforderungen des Motorenherstellers zu finden. Voraussetzung dafür ist, dass man versteht, wie sich Luft und Papier verhalten. „Wir können unser Produkt wissensbasiert weiterentwickeln“, sagt Martin Lehmann, Trauts Betreuer bei der Firma Mann+Hummel in Ludwigsburg. Traut ist einer von derzeit 69 Doktoranden der Graduiertenschule der Universität Stuttgart. Er hat ein Büro in der Firma und eins an der Uni, seine Zeit darf er sich frei einteilen.

Virtuelle Prototypen statt Tests am Prüfstand

Neben Traut steht Friedemann Hahn, 27 Jahre alt. Auch er hat ein Modell mitgebracht: Es zeigt die Fasern eines Luftfilters in starker Vergrößerung. Hahn arbeitet ebenfalls am virtuellen Prototypen des Filters, seine Aufgabe ist herauszufinden, wo die Schmutzpartikel hängenbleiben. Wenn er erfolgreich ist, wird die Simulation detaillierter Auskunft über die Wirkung des Filters geben als das Ausprobieren am Versuchsstand. Beide Doktoranden beginnen gerade das vierte und letzte Jahr ihrer Promotion. Lehmann wirkt zufrieden mit der bisherigen Leistung. Bis zum Frühjahr 2016 müssen Traut und Hahn ihre Arbeit abschließen. „Perspektiven für die Zeit danach gibt es in unserem Unternehmen und in der Industrie genug“, sagt Lehmann.

Im ersten Jahr ihrer Promotion haben Traut und Hahn das Unternehmen kennengelernt – die Kollegen, die Arbeitsabläufe, das Filterwerk. „Man muss mitbekommen, wo genau der Schuh drückt“, sagt Traut. Im zweiten Jahr haben sie dann ihre Forschungsthemen festgelegt: Sie sollten der Firma etwas bringen und wissenschaftlich interessant genug sein, dass dafür am Ende der Doktorgrad verliehen werden kann. Mann+Hummel habe schon früher mit dem Institut für Mechanische Verfahrenstechnik der Universität Stuttgart kooperiert, an dem Hahn und Traut als wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt sind. Aber über die Graduiertenschule könne man die Doktoranden besser in das Unternehmen integrieren – schließlich wolle man „die besten Leute gewinnen“.

„Gute Schule für künftige Führungspersönlichkeiten“

An der Uni werden Traut und Hahn enger betreut, als man nach den Plagiatsfällen der vergangenen Jahre denken könnte. Es reicht nicht, dass sie am Ende eine Dissertation einreichen, von der niemand genau weiß, wie sie entstanden ist. Einmal im Jahr müssen sie vor der Graduiertenschule über ihre Fortschritte referieren, und einmal im Jahr steht eine Besprechung mit einem dreiköpfigen Betreuungskomitee an. Doch auf diese Formalitäten kommen die beiden Doktoranden erst auf Nachfrage zu sprechen. „Die Berichte und Termine sollten nicht im Vordergrund stehen“, sagt Hahn. „Wichtig ist vor allem, dass wir uns aktiv vernetzen.“ Lieber erzählen sie von ihren ehrenamtlichen Aktivitäten. Hahn arbeitet in einer AG Öffentlichkeitsarbeit mit, Traut war im Vorstand des Vereins der Freunde und Förderer der Graduiertenschule, der alle zwei Jahre eine Tagung ausrichtet – natürlich zum Netzwerken. Was sie genau zu tun haben, sagt ihnen niemand, aber dass sie etwas tun müssen, steht außer Frage. Außerdem betreuen sie in der Firma Praktikanten und an der Uni die Abschlussarbeiten von Bachelor-Kandidaten. Es gehe nicht nur um das Fachwissen, sagt Lehmann: „Das ist eine gute Schule für künftige Führungspersönlichkeiten.“

Die Zukunft der Graduiertenschule

„Was sich bewährt hat, muss fortgesetzt werden“, so lautet die Sprachregelung der Landesregierung, wenn es um die Zukunft der Exzellenzinitiative geht. Seit 2006 fördern Bund und Länder ausgewählte Universitäten, Forschungsverbünde und Graduiertenschulen. In zwei Jahren läuft die Initiative aus, aber die Zeichen stehen nicht schlecht, dass sie fortgesetzt wird. Nur wie? Darüber macht man sich an der Graduiertenschule der Universität Stuttgart bereits Gedanken, da Doktorandenverträge über drei bis vier Jahre laufen.

Die Graduiertenschule ist eines von zwei Projekten der Universität, die mit Mitteln der Exzellenzinitiative gefördert werden. Seit Ende 2007 sind dort 31 Promotionen abgeschlossen worden, 69 laufen derzeit. Die Schule will in Kooperation mit der Wirtschaft Wissenschaftler ausbilden, die anspruchsvolle Aufgaben in modernen Fabriken lösen können. Ihr Kürzel GSAME steht dabei für Graduate School for Advanced Manufacturing Engineering. Am Donnerstag soll es auf ihrer Jahrestagung darum gehen, wie Fabriken effizienter mit Ressourcen umgehen können und welche Chancen die Digitalisierung bietet.

Der Unirektor Wolfram Ressel hat ein Grußwort angekündigt. Er sieht in der Graduiertenschule die bessere Alternative zur herkömmlichen Industriepromotion, bei der sich der Doktorand bloß einen Doktorvater an der Uni sucht, der ihm ein Gutachten schreibt. „GSAME ist ein Modell, das wir weiterführen sollten“, sagt er.

Diskussion um Stellen und Rechte

Die Graduiertenschule hat zweimal eine Förderung von rund einer Million Euro erhalten und darüber hinaus vier Millionen von den 28 Unternehmen eingeworben, mit denen sie bisher kooperiert  hat. Engelbert Westkämper aus dem GSAME-Vorstand scheint sich daher um Geld keine großen Sorgen zu machen. Die Promotionsstellen ließen sich aus den eingeworbenen Mitteln finanzieren, sagt er. Von der Universität wünscht er sich jedoch mehr Unterstützung, etwa Stellen für die individualisierte Ausbildung der Doktoranden.

Ressel will jedoch nicht über drei bereits zugesagte Stellen hinausgehen: „Diese Kernmannschaft sollte ausreichen, um die Zukunft abzusichern“, sagt er. Und auch bei einem anderen Anliegen zeigt sich der Unirektor reserviert: das Recht der Graduiertenschule festzuschreiben, Doktorgrade verleihen zu dürfen. Westkämper möchte dieses Recht in die Grundordnung der Universität bringen, in der die zentralen Organe der Uni benannt werden: „Das würde die interne Akzeptanz und den Stellenwert der Graduiertenschule erhöhen.“ Doch Ressel hält dagegen: „Dafür ist GSAME zu klein.“ Er schlägt stattdessen vor, das Promotionsverfahren der Graduiertenschule in die zentrale Promotionsordnung der Uni aufzunehmen.