Der Generalsekretär der FDP lässt seinen Chef Philipp Rösler im Stich. Es scheint jedoch sicher zu sein, dass Christian Lindner zurückkommen wird.

Berlin - Philipp Rösler will "jetzt nach vorne schauen". Das sind Sätze, die man als Parteichef so sagt, wenn man nicht mehr weiterweiß. Rösler hat die Journalisten in die Parteizentrale der FDP geladen, weil am Vormittag völlig überraschend seine rechte Hand, Generalsekretär Christian Lindner, den Dienst quittiert hat. Jetzt soll Rösler dazu etwas Passendes sagen. Er soll der Partei Mut machen, das Gefühl vermitteln, dass das schon nicht so schlimm sei, wenn man einen der größten Hoffnungsträger verliert, und dass man ganz bestimmt schnell wieder auf die Beine kommen werde.

 

Eigentlich sollte er, der Arzt, so etwas können. Aber der Patient, seine Partei, hat in den vergangenen Monaten schon zu viele Herzstillstände überstehen müssen, als dass sie einen derartigen Schock ohne weiteres wegstecken könnte. Und so mag man Rösler, wie er da so verlassen am Rednerpult steht, ja abnehmen, dass er jetzt gern mit der Partei nach vorne schauen würde. Wenn er denn noch wüsste, wo eigentlich vorne ist.

Es läuft schlecht für den jungen Parteichef. An der Basis und auch in der Bundestagsfraktion waren selbst Wohlmeinende entsetzt, dass Rösler schon am Wochenende, Tage vor dem Ende der Abgabefrist, ohne Not und ohne erkennbaren Anlass den Mitgliederentscheid zur Eurorettung mangels Beteiligung für gescheitert erklärt hatte. Zumal es jetzt Signale aus der Partei gibt, dass das Quorum möglicherweise doch noch erreicht wurde.

Rüchrtitt fällt Christian Lindner sichtlich schwer

Der Parteichef Rösler sieht sich ohnehin dem Vorwurf ausgesetzt, nicht engagiert für die eigene Sache bei der Eurorettung gekämpft zu haben. "Er kann es nicht", sagen seine Gegner, vorwiegend ältere Semester, schon seit Langem. Und seine überwiegend jüngeren Anhänger fürchten langsam, dass die Kritiker vielleicht doch recht haben könnten. Jetzt geht auch noch Christian Lindner von Bord. Und man wüsste wirklich gern, ob Philipp Rösler ihn nach diesem merkwürdigen Abgang noch einen Freund nennt.

Punkt elf Uhr - zwei Stunden vor Rösler - eilt Christian Lindner ins Thomas-Dehler-Haus vor die Mikrophone, um seinen Rücktritt vom Amt des Generalsekretärs zu erklären. Die Augen glänzen feucht im Licht der Kameraleuchten. Vielleicht, weil es ihm nach einem vorerst letzten Gespräch mit den Mitarbeitern der Parteizentrale schwerfällt, Tränen zu unterdrücken.

Vielleicht auch nur, weil er in der Nacht zuvor schlecht geschlafen hat. Lindner, sonst ein Virtuose des freien Wortes, liest eine persönliche Erklärung ab, die er vorab schon kursieren hat lassen. Ein wohl überlegtes Sprachgebilde ist das, nichts eben mal Hingeworfenes. Das würde auch nicht zu diesem jungen Mann passen, von dem man sagt, dass er sein außerordentliches Rednertalent vor dem Spiegel probe.

Lindner handelt auf eigene Rechnung

Er habe auf den Tag genau zwei Jahre lang als Generalsekretär in schwieriger Zeit die Politik der FDP erklärt und verteidigt, sagt er. Und dann folgt jener Satz, der wohl das stärkste Motiv für seinen Rücktritt andeuten soll: "In schwieriger Zeit habe ich die FDP mitzugestalten versucht." Viele in der FDP sagen, es sei ihm nicht gelungen. Er selbst sieht das offenbar auch so. Und er wird die Schuld nicht allein bei sich selbst suchen.

Der Respekt vor seinem eigenen Engagement für die liberale Sache gebiete ihm, sein Amt niederzulegen, sagt Lindner. So spricht einer, der sich ausgebremst fühlt. Von einem "Misstrauensvotum" gegen Rösler spricht einer, der Lindner recht gut kennt und schätzt. Es scheint so, als habe Rösler in den vergangenen Monaten tatsächlich einen Freund verloren.

Auch wenn also wenig gewiss ist nach diesem verrätselten Statement, so lässt sich doch viel Abgründiges erahnen. Für diejenigen, die in der FDP etwas zu sagen haben, ist jedenfalls eines so gut wie sicher: Lindner handelt auf eigene Rechnung. Er sei weder ein Bauernopfer, das seinen Parteichef Philipp Rösler schützen will, noch handle er, weil er die Verantwortung für das chaotische Finale des Mitgliederentscheids übernehmen wolle.

Er will, so die am häufigsten gehörte Erklärung, beiseitetreten und abwarten. Er ist 32. Er hat Zeit. "Auf Wiedersehen", sagt Lindner am Ende seines Statements. Zwei Worte nur, die er aber derart auffällig in Szene setzt, dass man sie nicht als belanglose Floskel abtun kann. Zwei Worte, die eher klangen wie ein Versprechen.

Christian Lindner konnte seine Vorhaben nicht verwirklichen

Lindner rette sich, solange es ihm noch möglich sei, und plane damit zugleich den nächsten Karriereschritt, ist denn auch in der Fraktion zu hören. Er sei für sich zu dem Schluss gekommen, dass Rösler in eine ausweglose Situation geraten sei. Deshalb mache er sich "jetzt vom Acker". Wenn den Parteichef nicht schon am Freitag der Ausgang des Mitgliederentscheids hinwegraffe, dann werde eine Niederlage bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai Röslers Ende besiegeln. Und weil die FDP am Abgrund stehe, wolle Lindner Rösler den Vortritt lassen. Fahnenflucht sei das, so sehen es nicht nur Lindners Gegner. Aber ein Comeback will keiner ausschließen. Sofern die Partei überlebe. "So viele Talente haben wir nicht", sagt einer aus der Fraktionsführung.

Lindner und Rösler haben sich nicht erst in den vergangenen Tagen entfremdet. Lindner, den einst Jürgen Möllemann entdeckte, hatte sich weit mehr Unterstützung bei der programmatischen Erneuerung der Partei versprochen. Für Lindner, den scharfsinnigen Intellektuellen, ist ein Parteiprogramm nicht bloß bedrucktes Papier. Er hatte mit der Neufassung des liberalen Kursbuches wahrlich Großes vor.

Er träumte davon, den gesellschaftlichen Diskurs neu zu prägen, und sah sich als Generalsekretär schon in der Tradition eines Karl-Hermann Flach, der Anfang der 1970er Jahre die Freiburger Thesen mit entwarf und damit eine sozialliberale Epoche einläutete. Dass Guido Westerwelle, dem er zunächst als Generalsekretär diente, ihm da keine große Hilfe war, vermochte Lindner noch zu verschmerzen. Dass aber auch sein Freund Rösler nach seiner Wahl zum Parteichef die Lust an der Rundumsanierung der Partei verlor, hat Lindner wohl als Wortbruch empfunden.

Schon länger Unstimmigkeiten zwischen Lindner und Rösler

Angeblich soll Lindner deshalb sogar mit seiner Entscheidung gehadert haben, im Mai zugunsten Röslers auf den Vorsitz der Partei verzichtet zu haben. Jedenfalls war er seinem Vorsitzenden zuletzt keine große Hilfe mehr. Ob bei der Debatte über die Einführung eines Mindestlohnes oder im Streit über den Umgang mit dem Mitgliedervotum - immer häufiger waren Differenzen mit Händen zu greifen. Lindner, als Wortästhet ohnehin kein Freund der harten rhetorischen Gangart, verteidigte Rösler zuletzt immer kraftloser, leistete nur noch Dienst nach Vorschrift. Als habe er schon längst innerlich gekündigt.

Deshalb wäre es interessant zu wissen, was Lindner genau damit meint, als er von einer "neuen Dynamik" spricht, die er mit seinem Rücktritt entfachen wolle. Für Rösler ist dies jedenfalls eine gefährliche Prophezeiung. Schließlich war der Niedersachse erst im Mai angetreten, um als junger Kerl neue Dynamik zu garantieren. Der 38-Jährige war mit dem Versprechen gestartet, der FDP eine neue Prägung zu verleihen. Lindner galt als sein wichtigster Mitstreiter. Ausgerechnet der wirft jetzt hin und sendet mit Bedacht und großer Sorgfalt Zeichen der Resignation. Wahrlich eine "perfekte Inszenierung", sagt ein FDP-Abgeordneter: "Ein echter Lindner".

Es wird also einsam um Rösler. Die "Boy-Group", zu der auch Gesundheitsminister Daniel Bahr gezählt wurde, ist auseinandergebrochen. Wie Bahr weiter agiert, ist ungewiss. Er gilt als Vertrauter Lindners. Außerdem wird ihm nachgesagt, zum Zwecke des eigenen Fortkommens notfalls die eigene Oma meistbietend zu versteigern. Beides kann Rösler nicht beruhigen. Auf FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle kann Rösler erst recht nicht setzen, nachdem er diesen im Frühjahr aus dem Amt des Wirtschaftsministers gemobbt hat.

Lindner ist derweilen nach seinem Rücktritt als Bundestagsabgeordneter bereit für weitere Verwendungen. Der Freund schneller Autos sagte einst: "Man schaut immer auf den Ausgang der Kurve, nie auf die Leitplanke." Wer weiß, was Lindner, der Rennfahrer, am Ausgang jener steilen Kurve zu erkennen vermag, in die er die FDP jetzt gesteuert hat.