Die Liberalen im Land schauen fassungslos auf Berlin. FDP-Parteichef Philipp Rösler hat nun die letzte Chance, sagt Ex-Minister Goll im StZ-Interview.

Stuttgart - Die Liberalen im Land schauen fassungslos auf Berlin. Ex-Justizminister Ulrich Goll sagt, Parteichef Philipp Rösler habe nun die letzte Chance.

 

Herr Goll, Dreikönig naht, und die FDP liegt im Fieber darnieder. Das hat ja schon Tradition.

Die Lage ist alles andere als einfach. Wir sind in einer gefährlichen Situation. Aber ich bin sicher, dass es wieder bergauf geht. Dieser Weg hat nicht selten von Dreikönig den Ausgang genommen.

Generalsekretär Christian Lindner tritt ab, und der Star der FDP heißt plötzlich Rainer Brüderle. Ist die Verjüngungskur an der Parteispitze gescheitert?

Christian Lindner gibt letzten Endes auf, weil er sieht, dass er seine Ziele nicht erreicht hat. Das gilt nicht nur für ihn allein. Das, was man scherzhaft die Boygroup der FDP bezeichnet . . .

. . . also Generalsekretär Lindner, Parteichef Philipp Rösler und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr . . .

. . . hat bisher nicht Fuß gefasst. Deswegen meine ich schon, dass man in Zukunft einen Mix suchen sollte zwischen jüngeren und erfahrenen Politikern.

Ist der Rücktritt Lindners als Bauernopfer für den schwankenden Parteichef Rösler zu verstehen?

Für den Rückzug gibt es eigene Gründe. Lindner hat nicht geboten, was er zuvor angekündigt hatte. Die Frage ist doch: Sind wir an der Parteispitze richtig aufgestellt? Die Boygroup konnte die Hoffnungen nicht erfüllen. Es gelang ihnen nicht, eine klare Linie in die Politik der FDP zu bringen. Nun bietet sich die Chance, die Dinge nochmals zu ändern.

Ist das die letzte Chance für Philipp Rösler?

Ja.

Aber ist der Parteichef nicht schon jetzt am Ende?

Sein leichtfertiges Wort vom „Wir werden liefern“ hat ihn eingeholt. Ich muss sagen, vieles habe ich nicht verstanden, zum Beispiel, dass er das Thema Steuersenkung nochmals aufgewärmt hat. Das war für mich unerfindlich. Damit hat er geradezu dazu eingeladen, dass die Leute sagen, in der FDP bleibt doch alles beim Alten. Ich plädiere jedoch keineswegs dafür, den Bundesvorsitzenden noch vor Dreikönig zu stürzen. Wir müssen sehen, ob Philipp Rösler bis Dreikönig eine überzeugende Neuaufstellung und an Dreikönig ein überzeugender Auftritt gelingt. Wenn nicht, dann wird die Diskussion natürlich weitergehen.

Befindet sich die FDP inzwischen im Stadium der Selbstauflösung?

Nein, schon gar nicht in Baden-Württemberg. Aber ich gebe zu, dass ich eine solch schwierige Situation noch nicht erlebt habe. Ich gehe davon aus, dass wir im Land auf Dauer in der Lage sind, fünf Prozent einzusammeln, weil die Leute hier nicht so leicht auf die Parole hereinfallen, wir hätten kein Programm. Natürlich haben wir ein Programm, ein sehr klassisches Programm, das im Moment aber nicht ankommt, weil man mit Grundlagenthemen derzeit keine Punkte sammelt. Man sammelt sie eher mit Modethemen, mit Lifestylethemen. Wenn wir mit unserem alten Lied von Eigentum und Freiheit kommen, dann sagen die Leute, das haben wir doch alles schon. Eigentum und Freiheit aber sind die Grundlagen von Wirtschaft und Politik, die keineswegs selbstverständlich sind. Es braucht eine Partei, die diese Grundlagen pflegt.

Verzeihung, ist nicht die FDP seit Guido Westerwelle die Partei von Lifestyle und Modethemen?

In Berlin hat sich die Regierung seit der Bundestagswahl immer nur gestritten, anstatt etwas Konstruktives auf die Beine zu bringen. Da war ich perplex. Man muss auch sagen: Guido Westerwelle war der beste Oppositonspolitiker, den ich kenne, aber nicht der beste Regierungspolitiker. Trotzdem ist die FDP eine Partei mit viel Substanz und Tradition, die zur Stabilität der Bundesrepublik einen wichtigen Beitrag leistet hat und auch künftig gebraucht wird.

Zur Person Goll

Ulrich Goll Der Ex-Miinister (61) war von 1996 bis 2011 mit zweijähriger Unterbrechung Justizminister und Integrationsbeauftragter von Baden-Württemberg, seit 2006 zugleich auch stellvertretender Ministerpräsident. Der Jurist ist schon seit 1980 Mitglied der FDP. Die Entwicklung der Partei kennt er aus dem Effeff, hat sie vor allem im Land mitgestaltet. Goll ist nach wie vor Landtagsabgeordneter.