Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Die Vorauszahlungen für die Uran-Lieferung, so der Inhalt des Dokuments, könnten auch mit zwei anderen Projekten verrechnet werden: der Beteiligung der EnBW an einem geplanten Kernkraftwerk in Kaliningrad (früher Königsberg) oder an Gasfeldern in Sibirien. Beide Vorhaben waren unter Villis tatsächlich ein Thema, beidesmal war Bykov im Spiel. „Boracay“ lautete der Codename für das milliardenschwere Gasgeschäft, das „aus wirtschaftlichen Gründen“ dann doch nicht zustande kam – wie Jahre zuvor schon ein ähnliches Projekt. Für seine Dienste, hieß es, sei der Lobbyist angemessen entlohnt worden. Auch am Kernkraftwerk Kaliningrad, an dem sich ausländische Investoren beteiligen können sollten, war EnBW „grundsätzlich“ interessiert. Ein entsprechendes Schreiben ging 2008 an die russische Regierung. Die Pläne hätten sich aber nie konkretisiert, versicherte der Konzern noch unter Villis. Es könne mithin keine Rede davon sein, dass der Vorstandschef den deutschen Atomausstieg im Osten unterlaufen wollte.

 

Beim öffentlichen Tauziehen zwischen Bykov und der EnBW geht es derweil auch um die Frage, von wem eigentlich die Initiative zur Aufarbeitung der Russland-Geschäfte ausgegangen sei. „Nicht Hans-Peter Villis war es“, wie von ihm dargestellt, „das war ich“, konstatiert der Russe auf seiner Homepage. Als Beleg veröffentlicht er einen Brief des obersten Konzernjuristen aus dem Jahr 2009. Gerne greife man den Vorschlag auf, schrieb der an Bykov, und lasse die Russland-Projekte von der Konzernrevision durchleuchten; zusammen mit externen Prüfern komme man dazu nach Zürich. Das Treffen fand auch statt. Doch es sei keineswegs der Beginn der Aufklärung gewesen, versichert die EnBW bis heute: Schon drei Monate zuvor habe die Konzernspitze eine „umfangreiche interne Untersuchung“ der Geschäftsbeziehungen zur Bykov-Gruppe eingeleitet.

„Besser ein magerer Vergleich als ein fetter Prozess“

Die Fronten zwischen der EnBW und Bykov hätten sich womöglich nie so verhärtet, wenn die Karlsruher dem Rat eines Vermittlers gefolgt wären. Beide Seiten hatten im Herbst 2010 einen prominenten Rechtsanwalt eingeschaltet: den früheren DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere. Mehrfach traf man sich in dessen Berliner Kanzlei und erörterte, wie der Konflikt entschärft werden könnte. Doch die Bemühungen scheiterten, wohl auch, weil sich de Maiziere im Stockholmer Schiedsverfahren von der EnBW zu Unrecht als Berater von Bykov hingestellt sah; sein „Befremden“ darüber gab er umgehend zu Protokoll. Sein Schreiben nach Karlsruhe endete mit einer Empfehlung, die er als junger Anwalt von seinem Vater bekommen habe: „Mein Sohn, merke Dir: der magerste Vergleich ist immer besser als der fetteste Prozess.“