Wenn die Soldaten abziehen, bleibt in vielen Gemeinden im Südwesten nicht viel übrig. In den Rathäusern versucht man sich vorzubereiten.

Sigmaringen - Der erste Schock über die Schließung von Bundeswehr-Standorten im Südwesten ist verflogen, jetzt machen sich die Gemeinden Gedanken über die Zeit nach dem Abzug der Truppe. Wenn die Soldaten und ihre Familien weg sind, müssen teilweise wohl Kindergärten und Schulen geschlossen werden, Wassergebühren könnten steigen und Steuereinnahmen sinken. Alle Gemeinden überlegen fieberhaft, wie sich die Bundeswehr ersetzen lässt. Neue Gewerbegebiete oder Touristen-Attraktionen sind im Gespräch. Doch gerade im strukturschwachen ländlichen Raum sind solche Projekt extrem schwer umzusetzen.

 

„Guter Rat ist im Moment wirklich teuer. Die Chancen hier im strukturschwachen Raum sind nicht eben zahlreich“, sagt Thomas Schärer, Bürgermeister in Sigmaringen. Dort wird die Kaserne mit mehr als 1800 Soldaten komplett geschlossen. „Wir müssen jetzt ganz grundsätzlich unsere Infrastruktur auf den Prüfstand stellen: Wie viele Kindergärten haben wir, was bedeutet das für die Schulen, welche Konsequenzen hat es insgesamt, wenn junge Familien wegziehen und die älteren Bürger hierbleiben?“ Nach vielen Jahrzehnten als Garnisonsstadt müsse jetzt in Sigmaringen eine neue Ära beginnen. „Das ist nicht von heute auf morgen zu machen“, sagt der Bürgermeister. Konkrete Ideen, was mit dem Kasernengelände passieren soll, gibt es deshalb noch nicht.

Der Schock sitzt tief

Bei Lothar Mennig, Bürgermeister von Meßstetten (Zollernalbkreis), sitzt der Schock noch tief. Die Kaserne mit gut 800 Soldaten schließt, nur eine kleine Einheit bleibt noch da, um eine Radaranlage weiterzubetreiben. „Die Folgen sind verheerend“, sagt Mennig. Die 10 000-Einwohner-Stadt hat gerade zwei Kindergärten und eine Sporthalle gebaut. Ohne die Soldaten werde beides nun vermutlich gar nicht mehr gebraucht, sagt Mennig.

Im Moment sammelt die Gemeinde Ideen, wie es ohne die Truppe weitergehen kann. Meßstetten ist die höchstgelegen Stadt Baden-Württembergs, das könnte Touristen anziehen. Es weht mehr Wind und scheint mehr Sonne als anderswo, ein Windpark wäre also eine Option. „Aber ich weiß nicht, ob sich das wirtschaftlich wirklich trägt“, sagt Mennig. Sogar über den Bau eines Großgefängnisses für mehr als 500 Insassen wurde in der Gemeinde schon diskutiert - das Land sucht dafür einen geeigneten Bauplatz in Süd-Württemberg.

Anfragen von Investoren

Den Standort Hohentengen (Kreis Sigmaringen) hat der Abzug der 820 Soldaten nicht ganz so überraschend getroffen. Bürgermeister Peter Rainer hatte deshalb schon in den vergangenen Wochen einige Anfragen von Investoren. Trotzdem warnt er vor Schnellschüssen. „Wir haben bis zuletzt für den Erhalt des Bundeswehr-Standorts gekämpft. Wir zaubern jetzt nicht einfach einen Plan B aus der Tasche.“ Ein Gewerbegebiet wäre durchaus eine Option. Schließlich gibt es direkt an der Kaserne einen kleinen Flughafen und eine Bundesstraße. „Die Voraussetzungen sind nicht schlecht. Ich sehe schon die Chance, dass aus dem Gelände wieder etwas werden könnte“, sagt der Bürgermeister.

Auch das benachbarte Mengen (Kreis Sigmaringen) geht davon aus, dass die Standortschließung der früheren Doppelgarnison erhebliche Auswirkungen hat. „Wir rechnen mit einem Verlust von insgesamt rund 10 Millionen Euro“, schätzt Bürgermeister Stefan Bubeck (CDU), vor allem Handwerker seien direkt betroffen. Er hielte eine Hochschulansiedlung auf dem Gelände auch für einen gangbaren Weg. Zugleich warnt Bubeck aber vor falschen Hoffnungen: „Wir werden das Kasernengelände nicht kostenlos vom Bund bekommen. Das anzunehmen, ist illusorisch.“

Auf die Kaserne ausgerichtet

Auch Hardheim (Neckar-Odenwald-Kreis) trifft der Abzug der 570 Soldaten sehr hart. Die 7100 Einwohner große Gemeinde habe ihre gesamte Infrastruktur wie Schulen und Kindergärten auf die Kaserne ausgerichtet, sagt Bürgermeister Heribert Fouquet. Jetzt habe die Gemeinde ein Interesse daran, das Bundeswehr-Gelände selbst zu kaufen und eventuell zu einem wirtschaftsstarken Gewerbegebiet zu machen. „Es wäre schlimm, wenn der ehemalige Übungsplatz als Naturschutzgebiet ausgewiesen würde“, sagt der Rathauschef.

Pforzheim hingegen sieht den Abzug der 60 Soldaten mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Dort wird ein Bundeswehrdepot geschlossen, das in der Bevölkerung ohnehin extrem umstritten war. Als in den 1990er Jahren ruchbar wurde, dass dort chemische Giftstoffe gelagert werden, gingen die Bürger auf die Barrikaden - ohne Erfolg. Jetzt könnte sich das leidige Thema von selbst erledigen. Der Huchfelder Ortsvorsteher Heinrich Bayer würde die Arbeitsplätze zwar gern erhalten. Gleichzeitig hätte er nichts dagegen, wenn die Tonnen von Chemikalien verschwinden.

Finanziell unter die Arme greifen

Einig sind sich alle Bürgermeister in einem Punkt: Bund und Land müssen den betroffenen Kommunen auch finanziell unter die Arme greifen. Allzu optimistisch sind die Rathauschefs bei dieser Forderung allerdings nicht. „Ich mache jetzt seit 20 Jahren, seit ich im Amt bin, Bundeswehrreformen mit. Die Erfahrung hat gezeigt, dass mit Zuschüssen von Land und Bund nicht zu rechen ist“, sagt Meßstettens Bürgermeister Mennig.

Einzig Immendingen (Kreis Tuttlingen) muss sich mit solchen Fragen nach dem Abzug der knapp 1000 Soldaten nicht beschäftigen: Die Gemeinde hatte sogar um die Schließung der Kaserne gebeten. Jetzt will der Autobauer Daimler dort eine Teststrecke bauen und 300 Arbeitsplätze schaffen. Bürgermeister Markus Hugger ist zufrieden: Immendingen werde nun vom Garnisonsstandort zum Wirtschaftsstandort.