Mit einer Werbeoffensive in südeuropäischen Medien sollten Spitzenkräfte nach Schwäbisch Hall gelockt werden. Jetzt zeigt sich, dass die Aktion überstürzt und wenig erfolgreich war.

Schwäbisch Hall - An den Schreck, der ihn an jenem Morgen im Februar ereilte, erinnert sich Christian Eydam von der Agentur für Arbeit in Schwäbisch Hall noch gut: Über Nacht waren im Email-Postfach mehrere tausend Bewerbungsschreiben gelandet – und alle Mails kamen aus Portugal. „Erst setzte Erstaunen ein, dann Hektik“, sagt Eydam. Hektik, um zügig das kurzfristig zusammengebrochene Email-Programm zu entlasten, in dem noch tagelang im Sekundentakt neue Bewerbungen eingehen sollten – insgesamt wurden es knapp 15 000. Und Erstaunen darüber, was ein einzelner Medienbericht auslösen kann.

 

Im Januar hatte die Stadt gemeinsam mit der Arbeitsagentur und dem Goethe-Institut einen Plan ausgeheckt, um Fachkräfte in die Region zu locken. Rund um die Stadt im Kochertal gibt es viele große und mittelständische Unternehmen wie die Bausparkasse Schwäbisch Hall, der Ventilatorenbauer Ziehl-Abegg oder der Schraubenmagnat Würth. Allerdings fehlten zu Beginn des Jahres etwa 2500 Fachkräfte. In der Region gibt es nicht viele arbeitsuchende Menschen: „Wir sind mit einer niedrigen Arbeitslosenquote gesegnet“, sagt Eydam. Seit Jahren liegt sie bei ungefähr drei Prozent.

Sieben Journalisten aus dem Ausland wurden eingeladen

Weil es also vor der Haustür kaum Interessenten für die Stellen gab, beschlossen die Schwäbisch Haller, dort zu suchen wo es viele Arbeitsuchende, aber wenige Jobs gibt. Also startete die Stadt in den von der Wirtschaftskrise gebeutelten Staaten in Südeuropa eine Werbeoffensive: Sieben Journalisten aus dem Ausland wurden eingeladen, Italiener, Griechen, Spanier, auch eine Portugiesin war dabei. Drei Tage lang erlebten die Reporter, wie gut es sich offenbar zwischen den Fachwerkhäusern und auf den kopfsteingepflasterten Straßen leben lässt, sie trafen beim „Kongress der Weltmarktführer“ auf Außenminister Guido Westerwelle und besichtigten ortsansässige Firmen. Danach sollten sie den gut ausgebildeten Arbeitsuchenden in ihrer Heimat die Auswanderung ins Schwabenland schmackhaft machen. Die portugiesische Journalistin schrieb einen Artikel, wie ihn sich die Stadt nicht besser hätte wünschen können. Sie beschrieb die Stadt Hall in der Wirtschaftszeitung „Diário Económico“ als Schlaraffenland, in dem Milch und Honig fließen und „die Jobs die Leute suchen“. In den Lobgesang schlich sich aber auch ein Zahlendreher ein – Brutto- und Nettoverdienst gerieten durcheinander. „Von den hohen Lebenshaltungskosten in der Region war nicht die Rede“, moniert Rainer Grill, der Sprecher des in Künzelsau ansässigen Ventilatorenherstellers Ziehl-Abegg. Und auch nicht davon, dass deutsche Sprachkenntnisse und hohe Qualifikationen erforderlich sind. Hätte es die fehlerhafte Berichterstattung in Portugal nicht gegeben, wäre die ganze, 10 000 Euro teure Werbeaktion vielleicht einfach versandet. Denn in den anderen Ländern, in denen keine flammenden Lobeshymnen abgedruckt wurden, war die Resonanz eher kläglich – nicht einmal hundert Bewerbungen gingen ein.

Der Bewerberstrom riss nicht ab

Obwohl man sich bei der Stadt und der Arbeitsagentur erfolgreich um eine öffentliche Korrektur der Gehaltszahlen nach unten bemühte, riss der Bewerberstrom aus Portugal nicht ab. Die Mitarbeiter der Arbeitsagentur schoben Überstunden, die Unternehmen bekamen eine reiche Auswahl an Bewerbern.

Ein halbes Jahr später ist die Bilanz dennoch dürftig: „Das Problem mit dem Fachkräftemangel in der Region hat weiter Bestand“, räumt Christian Eydam ein. Immerhin: Für 26 ausreichend qualifizierte Portugiesen sei eine Anstellung gefunden worden. Gemessen an der Zahl der eingegangenen Schreiben scheint das freilich wenig. Rund 1000 Bewerber dürfen noch hoffen: Die Arbeitsagentur in Schwäbisch Hall leitete ihre Unterlagen an die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) weiter, von wo aus Bewerber deutschlandweit vermittelt werden.

Etwa 65 Portugiesen hätten sich nach Erscheinen des Artikels spontan ins Auto oder Flugzeug gesetzt und bei der Arbeitsagentur in Schwäbisch Hall auf der Matte gestanden – mit der Erwartung im Gepäck, sogleich ein Jobangebot zu bekommen. 20 von ihnen wurden in die Gastronomie oder als Lagerarbeiter vermittelt, auch wenn sie dafür überqualifiziert sind – mehr sei spontan nicht machbar gewesen, sagt Eydam.

Leise Kritik an dem „unkoordinierten Vorgehen“

Die Stadt sei für die enttäuschten Sehnsüchte der Arbeitsuchenden nicht verantwortlich, sagt deren Sprecher Robert Gruner. Eine Teilschuld für den Zahlendreher sieht er zumindest: „Während der drei Tage wurden die Reporter mit Informationen regelrecht zugeschüttet“; da sei wohl einiges durcheinandergeraten.

Leise Kritik an einem solch „unkoordinierten Vorgehen“ übt Gesine Silzer, die Personalleiterin beim Klinikverbund Südwest. Händeringend sucht sie für die Kliniken im Land nach gut ausgebildetem Pflegepersonal. Also fuhr sie im Frühjahr selbst nach Porto, um auf einer Jobmesse gezielt interessierte Fachkräfte anzusprechen. Was ihr in Portugal entgegenschlug, erzählt Gesine Silzer, sei die pure Frustration gewesen. Die dort grassierende Arbeitslosigkeit, die mit etwa 15 Prozent ein ganzes Stück über dem EU-Durchschnitt liegt, schlage sich auf die Stimmung nieder, vor allem unter den jungen Leuten. „Die bekommen höchstens eine befristete Arbeit“, sagt Silzer über die Pflegekräfte, mit denen sie gesprochen hat.

Diejenigen, die in Hall eine Anstellung gefunden haben, bekommen nun meist Sprachkurse bezahlt und Hilfestellung vom neuen Arbeitgeber, etwa bei Behördengängen. Die Kosten für das Einarbeiten eines ausländischen Ingenieurs beziffert Ziehl-Abegg auf 40 000 Euro. Dass Firmen sich dessen ungeachtet um Fachkräfte aus Südeuropa reißen, zeigt, wie groß die Lücken auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind.