Songwriter Leonard Cohen legt nach acht Jahren sein neues Album „Old Ideas“ vor. Der 86-jährige Kanadier ist ein lebender Mythos.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Wie schöpft man Mythen? Allzu vorzeitiges Ableben macht sich bei Musikern in diesem Falle immer gut; Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Brian Jones, Bon Scott oder zuletzt Amy Winehouse könnten ein Lied davon singen, wenn sie es halt noch könnten. „Live fast, die young“: ihr posthumer Ruhm und ihre mythische Verklärung gründen sich häufig auch darauf, dass sie blutjung und oft auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft gestorben sind.

 

Und wie nährt man Mythen? Zum Beispiel mit dem Gegenentwurf zum schnellen Leben im Besonderen und zur Schnelllebigkeit im Allgemeinen. Wie es etwa Leonard Cohen demonstriert, der den Grundstein für seine Weltkarriere legte, als er im Frühjahr 1956 seinen ersten Gedichtband veröffentlichte, betitelt „Let us compare Mythologies‘‘ . Der Kanadier wird im September 78 Jahre alt, und er ist im Gegensatz zu den oben genannten Musikern ein lebender Mythos. Er hat sein halbes Leben erst einmal der Lyrik gewidmet, ehe er sich der Musik zuwandte, ohnehin ist aus dem Dichter Cohen nur der Musiker Cohen geworden, weil er sich damit eigentlich seine karge Existenz als Poet finanzieren wollte.

Von einer Tour zurückgekehrt

Leonard Cohen spielt zwar regelmäßig Alben ein, er tut dies jedoch mit einer gewissen Muße: Sein jüngstes Werk, das morgen erscheinende „Old Ideas“, ist bereits sein zwölftes Studioalbum, seit dem Vorgängerwerk „Dear Heather“ hat der Sänger jedoch acht Jahre ins Land gehen lassen. Er veröffentlicht dieses Album auch nicht etwa wie so viele Bands und Musiker, um danach ausgiebig auf einer Tournee die Früchte des Erfolgs einzufahren, denn der Globetrotter und Weltbürger Cohen ist erst jüngst von einer ausführlichen Welttournee in seine derzeitige Wahlheimat Los Angeles zurückgekehrt. Er hat auf dieser Tour bereits einige der Songs dieses neuen Albums gespielt, denn entstanden sind viele der Titel schon vor einem Jahr, zwei von ihnen (darunter das exzellente Stück „The Darkness“) sogar schon vor fünf Jahren – aber weil gut Ding Weile haben will, kommen sie erst jetzt auf den Markt.

Ein Album mit neuen Songideen „Old Ideas“ zu betiteln, dürfte im Übrigen eine Entscheidung sein, bei der normalerweise jeder Marketingchef entgeistert die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Wenn man sich jedoch einige lakonische Titel seiner älteren Alben wie „Recent Songs“ (1979) oder „Ten new Songs“ (2001) ins Gedächtnis ruft, ist der Titel „Old Ideas“ in seiner offenherzigen Schlichtheit aber nur stringent.

Völlige Narrenfreiheit

Leonard Cohen kann sich so etwas ohnehin leisten. Denn er genießt völlig zu Recht Narrenfreiheit bei der Plattenfirma Columbia, deren Talentscout John Hammond (der offenbar mit einem gewissen Näschen für lang anhaltenden künstlerischen Erfolg gesegnet ist, er hat auch Bruce Springsteen und Patti Smith entdeckt), Leonard Cohen 1967 unter Vertrag nahm. Dem Plattenlabel hält Cohen seit seinem 1968 erschienenen Debüt „Songs from Leonard Cohen“ die Treue, weswegen es einem ironischen Streich gleicht, das neue Album ausgerechnet jetzt zu veröffentlichen – hat Columbia doch erst vor drei Monaten eine empfehlenswerte und überraschend preiswerte Gesamtausgabe aller (beziehungsweise nun nicht mehr aller) Cohen-Alben in einer CD-Box auf den Markt gebracht.

Es sind, passend zum Albumtitel, die alten Falten, in die Leonard Cohen auf „Old Songs“ seinen Stoff legt. Das soll allerdings keinesfalls negativ gemeint sein, denn der Großvater aller Singer-/Songwriter verdankt seine generationen- und genreübergreifende Verehrung (wer kann schon für sich in Anspruch nehmen, sowohl von Johnny Cash wie auch Bon Jovi und Howard Carpendale gecovert worden zu sein?) schließlich jenem Jahrzehnte alten Umstand, verstörende Verse in mildem Brummbariton zu singen und Melancholie in Melodiosität zu kleiden. „Strange and good“ müsse alles sein, hat Cohen die Rezeptur seiner Songs mal auf den Nenner gebracht – und sie wirkt auch auf „Old Ideas“.


Dass Cohen sich sowohl als Dichter wie auch als Musiker begreift, spürt man in jeder Textzeile dieses Albums. Nicht nur, was die Intensität der Verse betrifft, sondern auch dank Cohens einmalig abgründigem Gesangsstil. Die erste Hälfte des Albums gleicht fast einer Art Sprechgesang, quasi einem Poemvortrag mit Musikuntermalung. Erst im letzten Drittel zieht es seine Stimme zu den Melodielinien, schleichend wandelt sich auf „Old Ideas“ Deklamation in seinen protypischen Gesang, der noch immer dunkel dräuend und brüchig klingt, auch wenn Cohen jüngst scherzte, dass er sich das Rauchen in der Hoffnung abgewöhnt habe, künftig Sopran zu singen.

Instrumentiert sind die zehn neuen Stücke traditionell sparsam, aber vielfältig – von der milden Elektroorgel im Eröffnungsstück „Going home“ über das sanfte Klavier im balladesken „Show me the Place“ bis zur Americana-Bluesgitarre im erwähnten „The Darkness“. Die Lieder sind aber durchgehend in sanftem Tempo gehalten und wirken dadurch als sehr geschlossener Zyklus. Die Frauengesangsstimmen im Hintergrund (seine langjährigen künstlerischen Weggefährtinnen Sharon Robinson und Jennifer Warnes) und die gediegene Produktion unter anderem von Patrick Leonard (Madonna) und seiner Langzeitlebensgefährtin Anjani Thomas komplettieren das Bild eines sehr homogenen, gelungenen Albums.

„Old Ideas“ bietet keine ganz herausragende Nummer wie „Suzanne“, „Hallelujah“ , „First we take Manhattan“ oder „Sisters of Mercy“, doch der Gentleman des Weltschmerzes zeigt intensiv und in sich ruhend, dass er über reichlich Altersweisheit verfügt, aber noch lange nicht ans Altenteil denkt. Man braucht sich daher auch nicht zu sorgen, dass dieses Album nur knapp über vierzig Minuten Spielzeit liefert. Denn die „große, unausweichliche Niederlage, die uns alle erwartet“ (so sprach Cohen jüngst bei der Verleihung des Prinz von Asturien-Preises über den Tod) muss noch warten. Er habe, erzählte ein blendend aufgelegter Leonard Cohen vor zwei Wochen bei der offiziellen Präsentation von „Old Ideas“, noch genug Material für ein weiteres Album – und an dem gedenke er alsbald zu arbeiten.

Leonard CohenOld Ideas. Columbia/Sony