Hier hat Winfried Kretschmann studiert und seine linksradikalen Jahre verlebt: Beim Spaziergang durch die Uni Hohenheim hat der Ministerpräsident unterhaltsame Anekdoten aus seiner Studentenzeit ausgepackt.

Stuttgart - Einen „Überraschungsgast“ kündigte Michael Kienzle von der Stiftung Geißstraße am Samstag den rund 50 Lesern am Treffpunkt, dem Café Deli beim Hans-im-Glück-Brunnen in der Innenstadt, an. Dessen Auftritt habe schon einmal verschoben werden müssen, weil er in Freiburg den Papst bei dessen Deutschland-Besuch habe begrüßen müssen.

 

Das war aber nicht der einzige Unterschied zu den bis jetzt von der Stiftung Geißstraße organisierten Spaziergängen. Da es sich bei dem persönlichen Stück Stuttgart, durch das der große Unbekannte führte, um die Universität Hohenheim und deren schönen Park handelte, stiegen die erwartungsvollen Stuttgart-Spaziergänger zunächst in einen Reisebus, der sie bequem und sicher zum Residenzschloss Hohenheim brachte.

Dort erwartete sie vor dem eindrucksvollen Mittelbau ein freundlicher Herr mit ergrautem Bürstenhaarschnitt in Freizeithemd, Jeans und Joggingschuhen, der sich berufsbedingt in der Woche meistens in der Villa Reitzenstein aufhalten muss: „Guten Tag, ich freue mich, dass ich Sie durch meine studentische Wirkungsstätte führen darf“, begrüßte Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Spaziergänger. Zuvor hatte sich bereits Universitätsrektor Stephan Dabbert mächtig über den hohen Gast gefreut und gleich etwas von dessen Glanz für Wissenschaft und Lehre abgezweigt. Wenn ein Hohenheimer Biologiestudent bis zum Ministerpräsidenten aufsteige, so der knitze Rektor, dann sage das einfach alles über die hohe Qualität der offenen Universität Hohenheim mit Studierenden aus mehr als 100 Ländern.

Revolutionäre Stimmung auf dem Campus

„Hier habe ich meine schönsten Lebensjahre und meine linksradikalen Zeiten verbracht“, bekannte Kretschmann, der in den 70er Jahren in Hohenheim eingeschrieben war. Diese Zeit der linksradikalen Verirrungen sei für ihn sehr wichtig gewesen, weil er danach den Wert der Demokratie erst richtig zu schätzen gelernt habe. Die Stimmungslage auf dem Campus sei damals vom Anspruch her kulturrevolutionär gewesen. Aber in Hohenheim sei die studentische Revolte in der Praxis eher zurückhaltend und provinziell verlaufen.

„Es ist uns nicht einmal gelungen, eine rote Fahne auf der Kuppel des Schlosses zu hissen“, gestand der frühere Asta-Vorsitzende Kretschmann. Auch die Sprengung einer Senatssitzung, „damals der notwendige Ausweis revolutionärer Ernsthaftigkeit“, sei gründlich schiefgegangen. Als er mit anderen Studenten in den Saal gestürmt sei, habe sie der damalige Rektor George Turner ganz gewitzt sofort zu Sachverständigen ernannt. „Da hatten wir in Watte geboxt und mussten ordentlich mitdiskutieren“, erklärte Kretschmann. Aber nach dem Militärputsch gegen Salvador Allende in Chile hätten zwei Studenten Protestparolen auf die Wände des Schlosses gesprüht.

Allerweltskäfer in der Prüfung nicht erkannt

„Das war das Wildeste, was in meiner Studentenzeit in Hohenheim passiert ist“, so Kretschmann. „Die meiste Zeit haben wir ordentlich studiert und erst danach in der Freizeit politisiert.“ Er habe in Hohenheim eine gute Ausbildung bekommen und „vom Einzeller bis zum Mensch alles durchmikroskopiert.“ Das naturwissenschaftliche Denken habe ihn geprägt. „Ich prüfe auch heute immer noch zuerst die Fakten und bilde mir dann eine Meinung. Leider gibt es heute bei vielen in Politik und Wirtschaft eine umgekehrte Neigung.“

Dass er bei einer Biologieprüfung von 40 verschiedenen Käfern 39 erkannt habe, aber ausgerechnet den weltweit als „Hoplia Farinosa“ bekannten gelbgrünen Purzelkäfer nicht bestimmen konnte, geht dem grünen Landesvater heute noch nach. „Auch mein Professor war hoch erzürnt, weil ich ausgerechnet diesen Allerweltskäfer nicht bestimmen konnte“, erzählte Kretsch-mann. Deshalb habe er als Note nur eine zwei bis drei bekommen. Davon erholt hat er sich auf Exkursionen, wo das Viertele Wein umgerechnet nur 25 Pfennig gekostet habe. „Da haben wir richtig zugeschlagen.“

Schöne Anekdoten, interessante Historie

Zwischen Kretsch-manns Anekdoten erinnerte Professor Adolf Martin Steiner immer wieder mit vielen Details an die 200-jährige Geschichte des Hohenheimer Schlosses und seiner Gärten. Herzog Carl Eugen hat 1785 den Grundstein für das Residenzschloss mit seiner 600 Meter langen Fassade gelegt und mit Franziska von Hohenheim zwischen 1776 und 1793 die Englische Anlage fertigstellen lassen. Mit ihr wollte man damals die Natur durch Kunst noch weiter verschönern. Bereits im Jahr 1780 sei in Hohenheim mit der Gartenbauschule und 1818 mit der Landwirtschaftlichen Lehr- und Musteranstalt der Grundstein für die heutige Universität gelegt worden.

Am Ende dankte Michael Kienzle im Namen der Stiftung und der StZ der „tollen Führungskraft“ Kretschmann. Seine persönliche Rückblende in die Studentenzeit sei lehrreich und amüsant gewesen. Als Dank erhielt der Ministerpräsident, der für seine klaren und direkten Worte bekannt ist, ein Buch „für Politiker“ mit dem Titel „Kultur der Ausrede“.

Gut unterhalten fühlten sich auch die Zuhörer. „Viele schöne Anekdoten und interessante historische Einblicke“,meinte der StZ-Leser Michael Parys. Und Birgit Krieger hat „Kretschmanns Humor und seine menschliche Art“ sehr gut gefallen. „Ich könnte ihn sofort wieder wählen.“