Eigentlich sind die Pokémons ein Phänomen der 90er und 2000er Jahre. Jetzt sind sie auf dem Smartphone gelandet. In „Pokémon Go“ verschmelzen die reale und die virtuelle Welt miteinander.

Stuttgart - Computerspiele sind was für Stubenhocker? Von wegen! In den USA eilen in diesen Tagen Hundertausende junger Menschen durch die Straßen, den Blick konzentriert auf das Smartphone gerichtet. Die amerikanischen Kids sind kollektiv auf Monsterjagd, in den sozialen Netzwerken klagen manche bereits über schmerzende Füße. Grund für derlei auffälliges Sozialverhalten an der frischen Luft ist das Smartphone-Spiel „Pokémon Go“, das vergangenen Mittwoch veröffentlicht und seitdem unzählige Male heruntergeladen worden ist.

 

Die App nutzt die Technik der sogenannten „Augmented Reality“, zu Deutsch: der erweiterten Realität. Dadurch verschmelzen die reale und die virtuelle Welt miteinander. Konkret heißt das: „Pokémon Go“ wird nicht zuhause, sondern im Freien gespielt, die reale Umgebung des Nutzers wird dank GPS-Ortung zum Spielfeld. Auf dem Display seines Smartphones sieht der Spieler eine Karte, auf der nicht nur seine unmittelbare Umwelt verzeichnet ist, sondern auch der Standort kleiner bunter Monster. Diese Fantasiewesen stehen im Zentrum von „Pokémon Go“ – sie sind nämlich die Objekte der jugendlichen Sammelleidenschaft.

Mit Hilfe der Pokebälle fängt man die Monster

Beim ersten Start der App muss der Spieler zunächst einen Avatar erstellen: Er entscheidet, ob dieser männlich oder weiblich sein soll, und wählt seine Haarfarbe, einen Klamottenstil sowie einen Namen. Ist dies erledigt, taucht schon wenige Augenblicke später das erste Pokémon auf. Wenn man dem putzigen Monster nahe genug ist, kann man versuchen, es einzufangen, indem man es mit digitalen Bällen bewirft. Dazu visiert man das Pokémon zunächst mit dem Handy an; dieses zeigt mittels der Kamera ein Bild der realen Umgebung, in das ein digitales Wesen eingeblendet wird. Dann wischt man mit dem Finger über das Display, um sogenannte Pokébälle auf das Monster zu schleudern.

Bei einem Treffer wird das Pokémon der eigenen Sammlung hinzugefügt, zudem erhält der Spieler Erfahrungspunkte. Auf diese Weise kann man sich – eine für Rollenspiele typische Mechanik – von Level zu Level hocharbeiten und dadurch neue Ausrüstungsgegenstände erwerben sowie mächtigere Monster bekämpfen.

Die Crux liegt allerdings darin, dass der Spieler zwingend die eigenen vier Wände verlassen muss, wenn er Fortschritte erzielen will – was bei Computerspielen ansonsten ja eher selten der Fall ist. Bei „Pokémon Go“ indes tauchen bestimmte Monster nur an speziellen Orten auf, für ein Wasser-Pokémon muss man beispielsweise am Meer oder einem See Ausschau halten; an realen Sehenswürdigkeiten kann der Spieler zudem außergewöhnliche Gegenstände oder neue Pokébälle einsammeln.

Der Deutschland-Start ist noch ungewiss

War man erst einmal eine Weile mehr oder weniger erfolgreich auf Monsterjagd, muss man sich schließlich für eines von drei Teams entscheiden, danach ist es möglich, an bestimmten Orten die eigenen Pokémon gegen diejenigen anderer Spieler antreten zu lassen. Für diese Kämpfen darf man sich mit Freunden zusammenzutun, um gemeinsam ins Gefecht zu ziehen. Ziel dabei ist es, die Kontrolle über sogenannte Arena-Standorte zu übernehmen – was wiederum Belohnungen einbringt.

Veröffentlicht ist „Pokémon Go“ bislang lediglich in den USA, Australien sowie Neuseeland. Bereits jetzt aber ist es ein gewaltiger Erfolg: Das Spiel wurde in den vergangenen Tagen millionenfach heruntergeladen und hat sich so an die Spitze der Appstore-Charts gesetzt – kein Smartphoneprogramm ist zurzeit auch nur annähernd so begehrt. Wegen der großen Nachfrage sind die Server des Herstellers überlastet, weshalb der Entwickler, die kalifornische Spieleschmiede Niantic, den Deutschland-Start von „Pokémon Go“ auf unbestimmte Zeit verschoben hat.

Eine Frau findet beim Spielen zufällig eine Wasserleiche

Die Aufregung um das Spiel bringt aber auch so ausreichend kuriose Nebenerscheinungen mit sich: So berichten irritierte Polizisten in den Vereinigten Staaten davon, dass sie mitten in der Nacht auf Teenager gestoßen sind, die gedankenverloren und mit dem Smartphone in der Hand durch die Nachbarschaft schlichen. Im US-Bundesstaat Wyoming fand eine junge Frau, die auf der Suche nach Pokémon war, sogar zufällig eine im Wasser treibende Leiche. In Missouri wiederum haben Kriminelle den Hype um das Programm dazu genutzt, um Spieler an einem abgelegenen Ort in eine Falle zu locken und dann auszurauben.

Dabei handelt es sich allerdings um Einzelfälle – bedrohlicher ist für die Spieler eine viel profanere Gefahr: Funklöcher können den Spielspaß nämlich erheblich trüben. Stößt man bei der fleißigen Suche endlich auf ein seltenes Pokémon und verliert dann plötzlich die Netzverbindung, ist der tolle Fund wieder passé – und der Spieler muss sich von Neuem die Fußsohlen wund laufen. Aber ein bisschen Bewegung schadet den jungen Leuten ja nicht.