Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen den früheren Ministerpräsidenten Stefan Mappus wegen des Verdachts uneidlicher Falschaussage. Neue Erkenntnisse nähren den Verdacht einer Einflussnahme auf die Polizei. Das hatte Mappus von sich gewiesen.

Stuttgart - Die vor einer Woche bekannt gewordenen Notizen von leitenden Polizeibeamten, aber auch die von der StZ wiedergegebenen Einlassungen des ehemaligen Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf haben bei der Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht geweckt: Der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) könnte vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags womöglich doch nicht die Wahrheit gesagt haben.

 

Mappus hatte im Herbst 2010 bestritten, auf die konkrete Polizeiarbeit im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 Einfluss genommen zu haben. Notizen von Polizeiführern und die Aussagen Stumpfs sprechen aber eher für ein hohes Interesse der politischen Führung am Bauprojekt, aber auch an der polizeilichen Begleitung desselben. Die Staatsanwaltschaft will nun diesen Widersprüchen nachgehen.

Die Ermittlungen richten sich zum einen gegen den damaligen Regierungschef, aber auch gegen den damaligen Landespolizeipräsidenten Wolf Hammann und den ehemaligen Ministerialdirektor im Verkehrsministerium Bernhard Bauer. Auch gegen sie besteht der Anfangsverdacht auf uneidliche Falschaussage im Untersuchungsausschuss. Bestätigen sich diese, werden sie genauso geahndet wie Falschaussagen vor Gericht, Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren stehen in Aussicht.

August wird zum wichtigen Datum

Das Augenmerk der Staatsanwaltschaft richtet sich dabei nicht in erster Linie auf den 30. September 2010. An jenem „Schwarzen Donnerstag“ war es zu den blutigen Auseinandersetzungen im Stuttgarter Schlossgarten gekommen. Die Polizei sollte das Areal von Stuttgart 21-Gegnern räumen. Es sollte für die umstrittenen Baumfällarbeiten bereit sein. Dabei kamen auch Wasserwerfer zum Einsatz. 130 Demonstranten und 30 Polizeibeamte wurden verletzt.

Die konkreten Umstände dieses Einsatzes und seiner Terminierung standen im Mittelpunkt des Interesses direkt nach dem Ereignis.

Jetzt aber weitet sich der Horizont auf, und ein Tag Ende August 2010 könnte zum entscheidenden Datum werden – als es um den Transport des Baggers zum Bahnhof ging, mit dessen Hilfe der Nordflügel niedergemacht werden sollte. Der damalige Stuttgarter Polizeipräsident Stumpf hatte im Kreise von Kollegen berichtet, dass dieser Baggertransport durchaus das Interesse der politischen Führung gefunden habe. Das legen Gesprächsnotizen einiger dieser Polizeikollegen nahe. Diese sind in den 44 000 Seiten enthalten, die das Innenministerium vergangene Woche dem neuen Untersuchungsausschuss überstellt hat.

Stumpf hat dies aber auch selbst deutlich gemacht (siehe StZ vom 3. März). Es habe Telefonate zwischen ihm und Bauer sowie mit Hammann gegeben, bei denen es um den Transport ging, berichtete er. Auf diesem Weg habe er erfahren, dass Mappus gesagt habe, „holt den Bagger rein“.

Das könnte für die Staatsanwälte nach einer Einflussnahme aussehen. Jedenfalls sieht sie einen Widerspruch zu den Aussagen von Mappus, Bauer und Hammann vor dem ersten Untersuchungsausschuss, in dem alle irgendeine Einflussnahme der Politik auf die Polizeiarbeit von sich gewiesen hatten. „Das passt nicht zusammen“, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Mappus hat Akteneinsicht beantragt

Die Beschuldigten äußerten sich nicht zu den Vorwürfen. „Unser Mandant hat sich auch im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 in allen Phasen dieser Angelegenheit nach Recht und Gesetz verhalten und dem zuständigen Untersuchungsausschuss hierüber auch nach bestem Wissen und Gewissen berichtet.“ Das teilte Christoph Kleiner, der Rechtsbeistand von Stefan Mappus mit. Man habe deshalb bereits Strafantrag gegen Unbekannt wegen Verleumdung und übler Nachrede gestellt. Mappus stehe zu seiner Verantwortung „und wird dies auch in Zukunft deutlich machen“. Man habe Akteneinsicht beantragt und werde sich danach „über die Umstände dieses neuerlichen ,Strafverfahrens’ und wie und auf welche Weise dieses ,Verfahren’ zustande gekommen ist“ äußern.

Wolf Hammann ließ ausrichten, er warte die weiteren Ermittlungen ab. Während des Verfahrens werde er sich nicht äußern. Auch für ihn gelte die Unschuldsvermutung. Hammann ist seit Oktober vergangenen Jahres Ministerialdirektor, also Amtschef des von Grün-Rot neu geschaffenen Integrationsministeriums. Gegen Stumpf richten sich keine Ermittlungen. Seine Aussagen seien konsistent, so die Staatsanwaltschaft. Er habe vor dem Untersuchungsausschuss nur eine Einflussnahme über Termin und Ausgestaltung des Einsatzes am 30. September verneint.

„Wir haben im neuen Untersuchungsausschuss viel Arbeit vor uns,“ erklärte der Obmann der SPD im Ausschuss „Polizeieinsatz Schlossgarten“, Sascha Binder. „Es zeigt sich schon jetzt, wie wichtig es war, den neuen Untersuchungsausschuss einzurichten,“ so Binder weiter.

160 Ordner sind schon da

„Die Staatsanwaltschaft entscheidet im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und hat offensichtlich Anlass gesehen, jetzt neu zu ermitteln“, sagt der Obmann der Grünen, Uli Sckerl. Vor dem Untersuchungsausschuss liege viel Arbeit. Erst durch den neuen Ausschuss „ist wieder Bewegung in die Aufklärung gekommen“. Die jetzt vorgelegten Akten würden gesichtet. „Eine Bewertung wird nur bei einer umfangreichen Zeugenbefragung möglich sein,“ so Sckerl.

Bisher sind bei dem Ausschuss bereits 180 Ordner mit Unterlagen eingetroffen. Der Vorsitzende des Ausschusses, der Grünen-Abgeordnete Jürgen Filius, rechnet damit, dass sich die Ausschussmitglieder durch 400 bis 500 Aktenordner arbeiten müssen. Allein die 60 Ordner des Innenministeriums umfassen 44 000 Seiten. Der erste Ausschuss musste lediglich insgesamt 5000 Seiten durchwühlen.