Fehlervermeidungs-Apparaturen – so nennt Süddeutsche-Chefredakteur Heribert Prantl Archive. Vor fünf Jahren ist das Archiv der Stadt Stuttgart in den Neckarpark umgezogen und 200 Gäste feierten das neue kulturelle Herz im Neckarpark.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Stuttgart - Seit mittlerweile fünf Jahren residiert das Stuttgarter Stadtarchiv im Stadtquartier am Neckarpark – und hat den einst argwöhnisch beäugten Umzug nach Bad Cannstatt am Freitag mit einer großen Festveranstaltung gefeiert. Denn nicht nur aus Sicht von Archivdirektor Roland Müller stellt der Wechsel in das historische Lagerhaus am Bellingweg eine Erfolgsgeschichte dar. „Das Stadtarchiv verfügt über einen der schönsten Lesesäle bundesweit – und erstmals über ein auch fachlich geeignetes Gebäude“, betonte der Leiter bei der Jubiläumsfeier.

 

Die vor dem Standortwechsel noch weit verbreitete Sorge jedenfalls, das geschichtlich interessierte Publikum werde den Weg ins neue Domizil nicht finden, hat sich als unbegründet erwiesen. Allein im Eröffnungsjahr fanden knapp 100 Führungen verschiedenster Gruppen statt, die stetig steigenden Nutzerzahlen im Lesesaal sprechen nicht nur für einen hoch geschätzten Service, sondern auch für ausgezeichnete Arbeitsbedingungen im Neckarpark.

Kulturelles Herz im Neckarpark

Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sprach denn auch vom „kulturellen Herzen des neuen Stadtquartiers“, der Standort am Bellingweg habe sich als richtig erwiesen. „20 Millionen hat’s gekostet – und es sieht aus, als hätt’ sich’s gelohnt“, schwäbelte der Rathauschef in seinem kurzen Grußwort.

Und der als Festredner verpflichtete Heribert Prantl, Chef der Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung in München, attestierte dem womöglich jüngsten und deshalb womöglich auch modernsten Stadtarchiv einer deutschen Landeshauptstadt, im Digitalbereich zu den bundesweit führenden Institutionen zu zählen. „Du Stuttgart, im Lande der Schwaben, bist keineswegs die geringste unter den Archivstädten“, lautete das Credo des renommierten Journalisten.

Ein wenig Selbstbewusstsein tut im Stadtarchiv auch zweifellos not. In der Stuttgarter Historie fristete die als „Gedächtnis der Stadt“ gerühmte Institution oft genug nur ein eher Schattendasein. Mit einem ehrwürdigen Alter kann das Stadtarchiv schließlich nicht punkten. Und auch an besonderen Kostbarkeiten, etwa an den hochmittelalterlichen Prachturkunden einer reichsstädtischen Sammlung, können sich in Stuttgart weder die Archivare noch ihre Besucher erfreuen.

Im Zweiten Weltkrieg verbrannte ein Großteil der Schätze

Zwar hat ein Stadtschreiber erstmals im Jahr 1515, so ist es amtlich belegt, ein „Behältnis“ für Akten und Urkunden erwähnt. Doch schon zu den Zeiten der württembergischen Residenz galt die fürstliche Registratur als desolat, von Raumnot und Unordnung war die Rede. Der Stadtvogt Fischer sprach 1731 unverblümt vom „confusum chaos“. Und Karl Stenzel, im Jahr 1928 immerhin Gründungsdirektor des erst damals offiziell aus der Taufe gehobenen Stadtarchivs, nannte das 19. Jahrhundert „eine Periode schlimmster Vernachlässigung“.

Besser wurde es auch in der neueren Geschichte nicht: Im Zweiten Weltkrieg verbrannte ein Großteil der stadtgeschichtlichen Schätze bei Luftangriffen, zuletzt im April 1945, als Schloss Löwenstein bei Heilbronn in Flammen aufging. Im Glauben, es sei ein sicherer Ort, hatte die Stadt ihr Archivgut dorthin ausgelagert.

Fast 200 Gäste feierten mit

Umso begieriger saugten die 20 Archivmitarbeiter unter den fast 200 Gästen das Lob über den heutigen Umgang mit den auf gut 9000 Regalmeter gewachsenen Beständen auf. Publizist Prantl schlug einen unterhaltsamen Bogen von der Visite der Heiligen Drei Könige einst zu Betlehem über die Computerdaten-Löschungen in bundesdeutschen Ministerien nach dem Ende der Kohl-Ära bis zur heimlichen Vernichtung von Aktenmaterial über das Terror-Trio NSU durch den Verfassungsschutz: „Gute Archive sind nicht nur Gedächtnisspeicher, sie sind auch Fehler-vermeidungs-Apparaturen, unabdingbar für Demokratie und Transparenz“, sagte er.