Fritz Kuhn war mit Lesern und Redakteuren der Stuttgarter Zeitung beim Stadtspaziergang. Dabei hat der OB-Kandidat an überraschenden Stellen angehalten und die Zuschauer gebeten, dort hinzusehen, wo andere wegsehen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Es ist ein ungewöhnlicher erster Stopp für einen Stadtspaziergang. Kaum gestartet am Hans-im-Glück-Brunnen, bleibt Fritz Kuhn wieder stehen, in der Steinstraße. Er zeigt in einen Hinterhof, zwischen Parkhaus und Geschäftsgebäude. Normalerweise schaut man an solchen Stellen weg. Der Kandidat der Grünen will aber, dass alle, die mitspazieren, hinschauen, und mit ihm eine Antwort auf die Frage suchen: „Was kann man da tun?“ Fritz Kuhn hat bei seinem Rundgang die sogenannten B-Lagen im Blick. Gemeinsam haben die Stuttgarter Zeitung und die Stiftung Geißstraße eingeladen, und gut 40 Spaziergänger sind gefolgt.

 

Kuhn bleibt schon wieder stehen, wieder gibt es eigentlich nichts zu sehen. Denn der Laden, von dem er schwärmt, existiert schon nicht mehr: die Buchhandlung Niedlich. „Da hab ich richtig viel Geld gelassen“, erzählt der Politiker. Kuhn bedauert, dass es Niedlich nicht mehr gibt. „Wir müssen diese Strukturen erhalten, wir brauchen die kleinen Fachläden“, sagt er. Und mit Blick auf den alles andere als zum Verweilen einladenden Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz: „Es ist kaum zu glauben, dass wir hier nur wenige Schritte von der Prachtmeile, der Königstraße entfernt sind.“ Nun wird deutlich, was er vorhat, wenn er Schmuddelecken, Gewesenes und Abgebrochenes vor Augen führt: „Es geht um die Frage der Urbanität“. Hinter dem Begriff steckt für ihn viel, und unterwegs kommt hinter jeder Ecke ein bisschen mehr davon hervor.

Vergessenes Viertel

Im Hospitalviertel bekommt er Verstärkung. Der Pfarrer Eberhard Schwarz berichtet über die Sanierung des Viertels. Er könne einen Überblick geben , über „eines der interessantesten Quartiere, was Stadterneuerung angeht“, so Fritz Kuhn. Das Viertel sei lange vergessen worden, war das „fehlende Bindeglied“ zwischen Königstraße auf der einen, Liederhalle und Uni-Campus auf der anderen Seite. Das Viertel, die „ehemalige reiche Vorstadt“ und nun der „Hinterhof der Partymeile auf der Theodor-Heuss-Straße“ soll wieder Struktur bekommen. Hier sollen Familien leben, die Plätze sich füllen. Urbanität, wie Kuhn sie will: durchmischt, lebendig, Viertel zum Wohnen, Einkaufen, Erleben von Kultur und Bildung.

Was die Quartiere aussaugt, die kleinen feinen Läden gefährdet, dafür hat der Politprofi von den Grünen eine Erklärung. „Wenn wir nicht aufhören, solche Gerbers und Milaneos zu bauen, wird das schlimm“, sagt er. Statt großer Einkaufszentren an einzelnen Punkten sollen Geschäfte in den Stadtteilen erhalten bleiben und entstehen. „Behutsamkeit auch bei der Planung von Einkaufszentren ist das Gebot der Stunde.“ Für Stuttgart bauen, nicht für Investoren, mit dieser Maßgabe wolle er die Stadt gestalten, so er die Wahl gewinnt, verspricht Kuhn. Um eine Klage nicht mehr hören zu müssen, die er bei Begegnungen im Wahlkampf immer wieder hört: Menschen. „Oh Herr Kuhn, ich erkenn mein Schdurgert gar nemme“, lautet diese. „Vertraute Gebäude verschwinden, gleichförmige entstehen. Besser als der Stuttgarter Rathauschef Wolfgang Schuster (CDU) mache es dessen Kollege Christian Ude (SPD) in München: „Ude hat Ziele gesetzt und dann gefragt, wer investieren will“.

Ziele hat er viele

So sollte es eigentlich sein, meint Fritz Kuhn, und Ziele hat er viele. Vom Hospitalviertel führt er die Gruppe in den Stadtgarten, den Campus der Universität Stuttgart in der Stadtmitte. Mit Forschung und Lehre solle die Uni mehr ins Stadtleben wirken, die Stadt soll der Uni etwas bieten. Geistiges Leben erhofft sich der Sprachwissenschaftler. Um das zu fördern, müsse Stuttgart Fakultäten stärken, die auszubluten drohen, die Geisteswissenschaften.

Wie die Stuttgarter in der Stadt einen Teil ihrer Verkehrsprobleme lösen können, das stellte Fritz Kuhn auf dem Rückweg ins Gerberviertel vor: Er machte Station an der Tübinger Straße, die zurzeit so umgebaut wird, dass alle Verkehrsteilnehmer ob zu Fuß, im Auto oder auf dem Fahrrad sie künftig gleichberechtigt und alle im Schritttempo nutzen können. „Das will ich an mehreren Stellen. Aber keine Angst, nur in Nebenstraßen, nicht auf Hauptverkehrsadern.“ Schließlich könne man die Infrastruktur und die Verkehrspolitik nicht gegen die Autofahrer („Ich bin ja selbst auch einer.“) oder gegen die Industrie umsetzen. Letztlich freut sich Kuhn diebisch, dass der Ausbau des Nahverkehrs und die Verminderung des Feinstaubs mittlerweile derart mehrheitsfähige Themen sind, dass auch die anderen Kandidaten damit punkten wollen. „Grün ist heute einfach hegemonial“, sagt das Urgestein der Ökopartei, also vorherrschend. Dennoch wäre es ihm lieber, nicht die anderen würden mit der Vorherrschaft grüner Ideen regieren. Denn er, so verspricht er in der Nesenbachstraße, würde sogar den darunter liegenden Bach wieder hervorholen, ließe man ihn machen.

Die StZ-Veranstaltung mit Hannes Rockenbauch finden Sie hier. Am 22. September lädt die Stuttgarter Zeitung gemeinsam mit der Stiftung Geißstraße den Kandidaten Sebastian Turner zum Gespräch, am 29. September Bettina Wilhelm.