Weder die Stadt Stuttgart noch das Land können ein Interesse an einer Teilinbetriebnahme von Stuttgart 21 haben. Sie müssen solche Ideen der Deutschen Bahn austreiben, kommentiert unser Autor Christian Milankovic.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Die Deutsche Bahn hat wieder einmal Verspätung. Dieses Mal sind es aber nicht die Züge, die notorisch dem Fahrplan hinterherhecheln. Die Deutsche Bahn liefert in Stuttgart den Bahnknoten mit nochmals größer werdender Verspätung ab. Und auch das Einräumen der für alle offenkundigen Unzulänglichkeiten beim Umsetzen der ambitionierten Pläne erfolgt weder aufrichtig noch zeitgerecht. Bitter genug: Das ist die Öffentlichkeit mittlerweile ebenso gewöhnt wie die Verspätungen an der Bahnsteigkante.

 

Absurde Planspiele der Bahnoberen

Absurd allerdings sind die Planspiele der Bahn-Oberen, mit einem Rumpfbetrieb den mit Abstand teuersten Bahnknoten in der Republik in Betrieb zu nehmen. Mehr als elf Milliarden Euro vergraben, um anfänglich zwei bis drei Züge pro Stunde durch den Tiefbahnhof fahren und den Rest im Kopfbahnhof halten zu lassen? Selbst die wohlmeinendsten Befürworter müssen erkennen, dass damit dem ohnehin unter verschärft-kritischer Beobachtung stehenden Projekt ein Bärendienst erwiesen wird. Das angekratzte Image des Großprojekts wäre unrettbar beschädigt. Da helfen auch keine noch so elegant geschwungenen Kelchstützen mehr etwas. Die Idee des Parallelbetriebs kann nicht in den Stuttgart-21-Büros in Stuttgart entstanden sein, sondern andernorts im weitverzweigten Konzern. Mit zunehmender Distanz zum Ort des Geschehens nimmt nicht selten das Urteilsvermögen ab.

Käme es so, wie es sich nun abzeichnet, wäre das Desaster perfekt. Stuttgart bekommt einen Kombibahnhof. Der Weiterbetrieb der oberirdischen Gleisflächen als Interimslösung würde sich so entwickeln, wie es andere Provisorien auch tun: Sie wandeln sich zum Dauerzustand. Größter Verlierer dieser Entwicklung wäre die Stadt Stuttgart. Sie hat für nahezu eine halbe Milliarde Euro die Gleisflächen gekauft und verzichtet seit Jahren – mit der Perspektive auf diese Entwicklungsmöglichkeit – auf die Erschließung neuen Baugrundes. Die Pläne für das Rosensteinviertel, deren Entwicklung für reichlich Streit gesorgt haben, müssten entweder drastisch beschnitten oder gar ganz aufgegeben werden. Dass die Teilinbetriebnahme dabei im tristen Baustellenumfeld stattfinden würde, weil die Außenanlagen nicht mal im Ansatz fertig wären, macht das Fiasko komplett. Stuttgart hätte mit Zitronen gehandelt.

Dem Land fehlt die Planungssicherheit

Aber auch das Land kann das nicht wollen, müsste es doch seine Planungen über den Haufen werfen. Es will, die versprochenen Möglichkeiten des neuen Bahnknotens nutzend, den Regionalverkehr massiv ausbauen. Doch wenn niemand verlässlich sagen kann, wann diese Expansion auch realistisch ist, kommt jede Planung nicht über bloße Kaffeesatzleserei hinaus.

Und beide Betroffene haben noch etwas gemeinsam: Die Bahn zeigt ihnen eindrücklich, wie ernst sie es mit der Projektpartnerschaft meint, die sie immer dann besonders laut betont, wenn die anderen – neben der Stadt und dem Land auch die Region Stuttgart – abermals eine planerische Kröte der Bahn schlucken sollen. Dass die Bahn erst kurz vor Ultimo Farbe bekennt, und das auch nur in kleinen Happen, hat nichts mit einem gedeihlichen Miteinander zu tun.

Kompletter Start 2026 muss Ziel sein

Die Projektpartner Stadt, Land und Region müssen nun die Bahn von dem Aberwitz einer Teilinbetriebnahme – die Projektgegner haben längst die Schmähvokabel von der Schrumpferöffnung ersonnen – abbringen. Die Baustelle, die den Menschen in Stuttgart über lange Jahre einiges abverlangt hat, kann auch noch ein Jahr mehr erduldet werden. Darauf kommt es dann auch nicht mehr an. Vor allem, wenn am Ende steht, dass der Bahnhof dann in Gänze in Betrieb geht. Der Stopp am Flughafen wird ohnehin frühestens im Dezember 2026 fertig.