Vor der Konstituierung des neuen Gemeinderats ehrt OB Fritz Kuhn ausscheidende Stadträte. Beim ökumenischen Gottesdienst fordern die Stadtpfarrer ein pflegliches Miteinander. Vor dem Rathaus protestieren S-21-Gegner und verlangen einen Baustopp.

Stuttgart - Begleitet von Protesten einer kleinen Gruppe von Stuttgart-21-Gegnern ist am Donnerstag der alte Gemeinderat verabschiedet und der neue ins Amt eingeführt worden. 22 Neulinge haben an diesem kommunalpolitischen Feiertag mit ökumenischem Gottesdienst, Gruppenbildern, Abschiedsreden und einer im Ablaufplan „Regierungserklärung“ genannten Rede von OB Fritz Kuhn (Grüne) etwas von der Verantwortung gespürt, die sie nun tragen. Denn ihre Fraktionen hatten am Mittag noch rasch den Weg für den LBBW-Vorstand geebnet, „Schrottwertpapiere“ im Umfang von 4,7 Milliarden zu verkaufen.

 

In der Domkirche St. Eberhard und im Großen Sitzungssaal klang gleich mehrfach an, wie aufwendig und belastend das ehrenamtliche Stadtratsmandat sein kann. 2300 Stunden habe man zwischen 2009 und gestern getagt. 3500 Anträge waren von den Fraktionen formuliert worden, sagte OB Kuhn, der sich „positiv beeindruckt“ zeigte von der Ernsthaftigkeit der Debatten, die er seit eineinhalb Jahren miterlebt.

Pfarrer appellieren an ein pflegliches Miteinander

Die Stadtdekane der evangelischen und katholischen Kirche, Søren Schwesig und Christian Hermes, würdigten das Engagement der Kommunalpolitiker und appellierten daran, ein Herz für den Gegner zu haben. Streiten sollten sie nur um die Sache, Erfolge sollten zurückhaltend gefeiert, Niederlagen stolz hingenommen werden. Sie wünschen sich eine Stadtpolitik, die den Bürger wahr- und ernst nimmt und ihn ermuntert, sich zu beteiligen. Auch in den Fürbitten ging es um den pfleglichen Umgang miteinander – offenbar hat sich das vor fünf Jahren abgegebene Versprechen mittlerweile abgenutzt.

Zum Fototermin auf der Rathaustreppe wurden die Stadträte von S-21-Gegnern empfangen, die mit dem Hinweis auf das nicht komplett genehmigte Grundwassermanagement einen sofortigen Baustopp forderten. Der Friedensaktivist Henning Zierock mahnte eine „verantwortliche kommunale Friedens-Außenpolitik“ an und verwies auf die Rolle der US-Kommandozentralen in den Kasernen auf Stuttgarter Stadtgebiet.

Schwierige Entscheidungen in der abgelaufenen Periode

OB Kuhn erinnerte an schwierige Entscheidungen in der abgelaufenen Periode: Kapitalerhöhung der LBBW in der Bankenkrise, auch bei S 21 habe es sich der Gemeinderat nicht leicht gemacht. Er verwies auf die Beschlüsse zum Bau der umstrittenen Einkaufszentren, zum Erhalt des Hotel Silber, zum Bau der John-Cranko-Ballettschule, zur Schulsanierung, dem Kita-Programm und der Gründung der Stadtwerke.

In seinem Ausblick betonte er erneut sein Wohnungsbauprogramm, die nachhaltige Stadtentwicklung und den Willen zu einer stärkeren Bürgerbeteiligung. Bei S 21 seien die Beschlüsse gefasst, die Haltung der Mehrheit sei zu akzeptieren. Jetzt gelte es, die negativen Auswirkungen während der Bauzeit zu minimieren. Kuhn kündigte nochmals für Herbst sein Konzept zur Bekämpfung der Armutsprostitution im Leonhardsviertel an und betonte, Stuttgart sei eine weltoffene Stadt, die Flüchtlinge offen empfange. Die Kultur bezeichnete er als „Stolz der ganzen Bürgerschaft“.

Zum Abschied gibt es Medaillen

Langjährige Stadträte mit einer Gesamtmandatszeit von 260 Jahren wurden besonders geehrt. Es war nicht zu überhören, dass es zum Abschied Medaillen gab; kaum ein Mandatsträger hat sie nicht fallen lassen. Michael Kienzle, jetzt Grünen-Altstadtrat, räumte ein, sein Wirken im Rathaus wie eine Fahrt im Paternoster empfunden zu haben. In schlimmen Stunden plagte ihn die Sorge, einmal den Ausgang nicht zu finden. Er riet den Neuen, das Ehrenamt mit Illusionen zu beginnen – „sonst übersteht man die langen Sitzungen nicht“.

Helga Vetter (CDU) bemerkte treffend, in der Stadt gebe es intelligente Menschen und schlichte Gemüter – und der Gemeinderat bilde die Bürgerschaft ab. Robert Kauderer (Freie Wähler), der als Bezirksbeirat und Stadtrat alle vier Oberbürgermeister nach dem Krieg erlebte, sagte, es werde für Selbstständige immer schwieriger, sich die Zeit für ein Mandat zu nehmen. Wenn es nach Michael Conz (FDP) geht, macht er in den nächsten fünf Jahren nur Pause. Er schloss seine Rede mit dem Hinweis: „ Ich sage bewusst Auf Wiedersehen.“