Der Betreiber des Stuttgarter Fernsehturms will wegen der Schließung vielleicht vor Gericht ziehen. Das Brandschutzkonzept habe den fehlenden Fluchtweg beachtet. Gemeinderats-Fraktionen pochen auf externe Gutachter.

Stuttgart - Am Tag nach der von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) verordneten Schließung des Fernsehturms wegen angeblich mangelnden Brandschutzes herrschte bei den Haustechnikern und Fahrstuhlführern Verzweiflung und Unverständnis. Siegfried Dannwolf, der Geschäftsführer des Turm-Betreibers SWR Media Services, hatte am Donnerstagmorgen die Belegschaft über die kurzfristige Entscheidung des OB informiert und die Mitarbeiter dann nach Hause geschickt. Dannwolfs Mantelkragen ziert jetzt ein mit dem Fernsehturm verzierter „Oben bleiben“-Button der S-21-Gegner. Er sagte, man prüfe Regressansprüche gegen die Stadt wegen des Einnahmeverlusts; er selbst rechnet wiederum mit Ansprüchen der Gastronomen. Er ärgere sich, dass weder die Schließungsverfügung vorgelegen noch sich jemand aus dem Rathaus bei ihm gemeldet habe. Im Laufe des Donnerstags avisierte Kuhn für die Woche nach Ostern Gespräche seiner Fachabteilungen mit dem SWR. Außerdem werde er sich persönlich mit dem Intendanten Peter Boudgoust treffen.

 

Während am Donnerstag und Freitag vor den Aufzügen über die „brandaktuelle“ Lage informiert wird, also die Schließung auf unbestimmte Zeit, rätseln der Turm-Hausmeister Matthias Buck und Dannwolf, was nach 27 Millionen unfallfrei in den Turmkorb transportierten Besuchern den abrupten Meinungsumschwung der Sachbearbeiter im Baurechtsamt veranlasst haben könnte. Als konsequent müssen sie das Vorgehen der Leitungsebene erachten – von Amtsleiterin Kirsten Rickes über Feuerwehrchef Frank Knödler bis zum OB: In Kenntnis der Aussagen der unteren Ebene wären sie, blieben sie tatenlos, im Ernstfall wohl haftbar. Es drohe der „Vorwurf der fahrlässigen Tötung“, so Kuhn. Diese Reaktion müsse aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Führungsebene die Entscheidung aus Überzeugung mittrügen, meinten die SWR-Mitarbeiter.

Buck, im 26. Jahr für die Betriebstechnik zuständig, wundert sich sehr über die Argumentation der Stadt, es habe sich erst bei einer neuerlichen Begehung herausgestellt, „dass es keinen sicheren Fluchtwege für Besucher der Kanzel gibt“. Dass die Stahltreppe im Schacht – wie jetzt kritisiert – nicht den Anforderungen der Landesbauordnung genüge, sei schon immer bekannt gewesen. Das sei ein wesentlicher Grund für die ständigen neuen Auflagen. Im Wissen um die Fluchtwegproblematik habe in Kooperation mit der Baubehörde und der Feuerwehr der vorbeugende Brandschutz die wichtigste Bedeutung erhalten. Die Philosophie des Betreibers: ohne brennbares Material (Inventar, Isolierungen) gebe es auch keinen Brand, und es entstehe auch kein giftiger Rauch – damit entfalle auch die Notwendigkeit, einen Fluchtweg über die Treppe anzubieten. Für alle Eventualitäten gebe es eine Brandmelde- und Löschanlage – nicht nur für den Besucherbereich, sondern auch (mittels Stickstoff) für die Schaltschränke. Mehr als 300 Melder seien installiert, die Löschleitung sei an eine Pumpe angeschlossen. „Wenn sie angeworfen wird, flackern in Degerloch die Lichter“, sagt Buck. Wäre dennoch eine Evakuierung nötig, würden die Besucher auf die Plattform geführt. Von dort würden sie mit einem Aufzug nach unten gebracht, der auch im Brandfall fahren könne. „Dieser Fluchtweg ist Teil unseres Konzepts“, erläuterte Dannwolf.

Vorschläge für eine Wiedereröffnung

OB Kuhn fragt sich indes, warum die Gefahr erst im 57. Jahr des Turmbestehens ausgemacht wurde. Er fordert von seinen Bürgermeistern „schonungslose Aufklärung“ darüber, „wie sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte Brandschutzvorschriften verändert haben und welche Konsequenzen Baurechtsamt und Branddirektion daraus gezogen haben“. Dass die Verantwortlichen in diesem Fall selbst ihr Verhalten untersuchen sollen, halten aber weder Dannwolf noch die Ratsfraktionen für sinnvoll. Der SPD-Stadtrat Andreas Reißig, der die Entscheidung Kuhns für richtig, seine Wortwahl („Todesfalle“) aber für übertrieben erachtet, hält ebenso wie der FDP-Chef Bernd Klingler das Hinzuziehen externen Sachverstands für eine gute Idee. Auch der CDU-Stadtrat Jürgen Sauer ist nicht gegen Gutachter zur Bewertung des Sachverhalts. SÖS/Linke stellen sich vor allem deshalb auf die Seite des OB, weil sie in diesem Zusammenhang auf die Brandschutz-Debatte bei S 21 hinweisen können. Teils auf Unverständnis stößt nach StZ-Informationen die Bitte aus der Umgebung des OB an die Fraktionsspitzen, nicht mittels kritischer Anträge Öl ins Feuer zu gießen. Sein Kontrollrecht werde man sich nicht nehmen lassen, heißt es.

Der Oberbürgermeister teilte indes mit, er habe die Fachämter aufgefordert, Vorschläge zu erarbeiten, wie der Fernsehturm wieder für Besucher geöffnet werden könnte. Er wolle „einen Wettbewerb der Kreativen anstoßen, durch welche baulichen oder organisatorischen Maßnahmen dieses Juwel der Stadt wieder zugänglich gemacht werden kann“. Kuhn bat die Bürger und betroffenen Dienstleister um Verständnis. Wenn er erkenne, dass der Fernsehturm zur Feuerfalle werden könnte, müsse er sofort aktiv werden. Tatsächlich hat er sich damit aber noch einen Tag Zeit gelassen. Nach seiner Verkündung riskierten es noch mehr als 100 Unerschrockene, nach oben zu fahren. „Wer weiß, ob ich das noch einmal erleben werde?“, sagte ein Fernsehturm-Fan aus Rutesheim. Risikofreudig zeigte sich vor wenigen Tagen auch die Führungsriege der Feuerwehr: Auf Einladung von Bürgermeister Martin Schairer und Branddirektor Knödler war sie anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Brandschutzerziehung im Kindergarten zur Feier auf den Fernsehturm gekommen.