Wie spaßig ist der Bundestagswahlkampf? Vor der Entscheidung am Sonntag, sagt der Stuttgarter Kabarettist Mathias Richling, amüsiert ihn allenfalls, was an „Selbstbeweihräucherung, Selbstbefriedigung und Selbstgewissheit“ einzelner Kandidaten möglich sei.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Mit seiner Show im SWR-Fernsehen ist der Stuttgarter Kabarettist Mathias Richling für den Deutschen Comedypreis 2017 nominiert. Die Verleihung ist am 24. Oktober in Köln – einen Monat nach der Bundestagswahl. Wir sprachen mit ihm über das Ringen der Macht in Berlin.

 
Herr Richling, wissen Sie schon, wen Sie am Sonntag wählen?
Natürlich! Es kann allerdings passieren, dass ich vier Wochen nach der Wahl noch nicht weiß, was ich hätte wählen sollen. Dass ich mich dann beklage über die Alternativlosigkeit der Wahlangebote.
Sind Sie Wechselwähler, Kleineres-Übel-Wähler, Spontanwähler oder Lieber-gar-nicht-mehr-Wähler?

Genau, in dieser Reihenfolge. Das betrifft zwar meist das TV-Programm, aber auch was die Mode angeht oder überkandidelte Menüvariationen in gewissen Restaurants, wähle ich lieber gar nichts, als dass ich das kleinere Übel esse oder auf der Fernbedienung andere Sendungen wähle, die nicht mal das Niveau wechseln.

Früher waren die Feindbilder mit Kohl und Strauß klar. Heute ist alles durcheinander. Da findet Kretschmann die Merkel gut und Richling den Kretschmann, also Sie auch die Kanzlerin.
Was ist denn da durcheinander? Dass Kretschmann Frau Merkel gut findet, und umgekehrt, ist die logische Folge der Politik von ihm und auch der von Frau Merkel. Das Besondere ist, dass das von diesen beiden nur mit Augenzwinkern geleugnet wird. Im Ganzen entspricht es aber einer größeren Ehrlichkeit. Was die früher klareren Feindbilder angeht, sind diese für die Arbeit eines Satirikers um so langweiliger, je klarer sie sind.
Wie viel Spaß haben Sie als Satiriker am momentanen Wahlkampf?
Der Wahlkampf ist eine ausgesprochen ernste Angelegenheit. Wenigstens davor sollte die Spaßgesellschaft haltmachen. Ich wüsste nicht, was daran spaßig sein sollte, wenn man weiß, dass man nach der Wahl vier Jahre lang nichts zu lachen hat – egal, wie die Wahl ausgeht. Amüsant ist einzig an der Zeit vor der Wahl, was an Selbstbeweihräucherung und Selbstbefriedigung und Selbstgewissheit einzelner Kandidaten möglich ist.
An wen denken Sie speziell?
Da weiß ein Christian Lindner bereits sieben Wochen vor der Wahl in einer Sonntagszeitung, dass die Wahl „gelaufen ist“ und dass Martin Schulz nur noch „die Kulisse der Zuversicht aufrechthält“. Da weiß ein Schulz bereits im Januar, dass er „Bundeskanzler wird“. Da weiß die SPD zu 100 Prozent, dass sie mit ihm kompatibel ist, und wird monatelang feucht, wenn jemand nur Schulzens Namen ausspricht. In allen Fällen sieht man, dass der Wähler sich die eigene Entscheidung nicht abnehmen lässt, sondern dadurch eher auf Distanz geht. Und das führt ferner dazu, dass ich oft gefragt werde, wie viele Passagen denn Politiker noch kopieren oder abschreiben wollen aus Programmen von mir und meinen Kollegen.

Die Chancen von Martin Schulz

Gehen wir die Kandidaten mal durch. Wird Angela Merkel die Länge der Amtszeit von Helmut Kohl überbieten?
Das ist fast nicht menschenmöglich, denn die Amtszeit von Kohl kam mir immer vor wie 150 Jahre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Medizin zu Lebzeiten von Frau Merkel so weit sein wird, das Alter der Menschen so sehr auszudehnen.
Wird es Herr Schulz jemals schaffen, Kanzler zu werden?
Was weiß ich, ob Herr Schulz es jemals schafft, irgendwo Kanzler zu werden. Wo kann man denn überall Kanzler werden? In Sekten? In Vereinen? Aber da heißen sie ja meistens „Präsidenten“. Als solcher hätte Herr Schulz dann natürlich unendlich viel mehr Einstiegschancen. Welche er wahrnimmt, hängt ab von der Höhe der Tagegelder, die man ihm anbietet. Auch wenn er nicht anwesend ist. Voraussetzung ist aber, dass man ihm nicht das tagegeldminderdotierte Bundeskanzleramt aufbürdet.

Sein neues Programm heißt „Richling und 2084“

Der FDP-Spitzenkandidat verkauft sich als Dressman. Kommt es in der Politik also doch aufs Aussehen an und nicht nur auf die inneren Werte?
Selbstverständlich! Von Inhalten haben die Wähler mittlerweile ja die Nase voll. Die werden eh nie eingehalten, wenn die Wahl gewonnen ist. Das Aussehen dagegen hält sich zumindest über die Legislaturperiode von vier Jahren mittels Botox oder sogar durch Schönheits-OPs oder Haartransplantationen.
Grüne zittern, ob sie die Fünfprozenthürde schaffen. Was machen die beiden Spitzenkandidaten falsch?
Ach so, richtig, die Grünen haben ja zwei Spitzenkandidaten. Es ist komisch, dass man das gar nicht merkt. Offenbar ist der Wähler so fixiert auf die alten Realo-Fundi-Kämpfe, dass er in dieser Wartestellung verharrt und die aktuelle Lage als Ausgeglichenheit und Übergang sieht.
Und was wird aus den Linken?
Das ist nicht die Frage. Die Frage ist: Was ist aus den Linken bloß geworden?
Wo sehen Sie die AfD?
Muss ich zu allem was sagen? Sehen tue ich die AfD nirgendwo. Und wo immer sie platziert wird, ob in Landtagen oder bei Demonstrationen oder sonst wo, passt sie auch nie hin.
In Ihrem neuen Programm „Richling und 2084“ befassen Sie sich mit der Zukunft. Sind Merkel und Schulz zukunftstauglich?
Die Frage impliziert, dass Sie das prinzipiell für möglich halten. Na, Sie machen mir ja Angst.
Auf die Frage, wie er Humor illustrieren würde, sagte Zukunftsautor Orwell: als Würde, die sich auf einen Reißnagel setzt. Worauf setzt sich der Richling am 24. September um 18 Uhr?
Was soll ich nach der Wahl anderes machen, als mich zu setzen auf die „neue“ Bundesregierung? Die wird – das ist das, was man sicher sagen kann – Reißnagel genug sein für uns.