Die vergangene Spielzeit der Staatsoper Stuttgart ist zum Teil künstlerisch glänzend gelaufen. Die Besucherzahlen aber ließen zu wünschen übrig.

Das muss man Jossi Wieler, dem Intendanten der Staatsoper Stuttgart, lassen: er ist fleißig. Er sitzt viel und tut nichts. Bei dieser vielleicht vornehmsten Tätigkeit eines Bühnenvorstehers ist er in der Proszeniumsloge im ersten Rang des maroden Opernhauses anzutreffen, verfolgt die Vorstellungen der von ihm verantworteten Staatstheatersparte. Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: er wird dabei nicht abschalten, sondern genau notieren, was falsch und hoffentlich öfters richtig läuft auf der Bühne und im Orchestergraben.

 

Wieler ist bis zur Selbstaufgabe präsent im Haus, schaut sehr viele Vorstellungen an, manchmal ganze Serien eines Stücks, zuletzt die der „Fledermaus“. Ein wichtiges Werk auf dem zahlenmäßig mageren Spielplan, denn die noch aus Albrecht Puhlmanns Ägide stammende Inszenierung von Philipp Stölzl gehörte in der vergangenen Saison zu den Bringern. Ein Flattertier mutiert zur Cashcow an der Kasse.

Ausverkauft – das war auch vom neuen „Rigoletto“ zu vermelden, den der Hausherr in bewährter Manier mit dem Koregisseur Sergio Morabito einstudiert hat. Eine feinsinnige, tripelbödige Inszenierung, pointiert vom Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling dirigiert, in den Hauptrollen ordentlich (Markus Marquardts Rigoletto) bis herausragend (Ana Durlovskis Gilda) besetzt. Giuseppe Verdi geht immer, ob blendend oder flau inszeniert – wie etwa Rudolf Freys „Nabucco“.

Ohne Gäste kommt kein Opernhaus der Welt aus

Die zweite Arbeit des Kult-Regieteams fiel szenisch wie musikalisch gemischt aus. Verdienstvoll sicher der Versuch, Niccolò Jommellis seit 250 Jahren nicht gespielte Oper „Berenike, Königin von Armenien“ vom Vergessen zu befreien. Doch so zwingend wie andere Wieler-Morabito-Arbeiten fiel der Abend nicht aus, auch sängerisch war es ein arger Tort für den Melomanen.

Garantien des Gelingens gehören zu den Ausschlusskriterien von Kunst. Allerdings liegt es auch an den Akteuren der zweiten Reihe, wie Operndirektion, Besetzungsbüro, ob ein Haus reüssiert. Und vom viel gepriesenen Ensemblegedanken bleibt nichts übrig, wenn einige Sänger nur für eine Produktion gebucht werden, ansonsten fleißig gastieren, wie Pumeza Matshikiza – das ist Augenwischerei. Ohne Gäste kommt kein Opernhaus der Welt aus, zumal wenn sie unvorhergesehen dringend gebraucht werden. So geschehen bei der Wiederaufnahme der „Butterfly“, als Karine Babajanyan für Catherine Naglestad einsprang, buchstäblich vom Flugzeug auf die Bühne gehüpft eine Sternstunde bereitete. Gut, dass die großartige Wagemakers-Inszenierung wieder im Spielplan war.

Manche Vorstellung war schütter besetzt

Ein weiterer Gast fesselte zu Beginn der Spielzeit. Georg Nigl als Titelfigur in Wolfgang Rihms Oper „Jakob Lenz“ in der genialischen Regie von Andrea Breth. Es war die Premiere der Saison: ein großes Werk, dichte Bilder, szenisch fesselnd, musikalisch erfüllt. Auch hier kam es durch rasche Mund-zu-Mund-Propaganda zu vollen Vorstellungen. Ansonsten herrschte oft erschreckender Leerstand. Die Auslastung ist von 80 auf 76 Prozent gesunken, das ist auch bundesweit gesehen ein maues Ergebnis für ein Haus dieses Ranges. Eine wichtige Repertoire-Ergänzung wie Modest Mussorgskis „Chowanschtschina“ (in der Agitprop-Pop-Regie von Andrea Moses) interessierte das Stuttgarter Publikum wenig, schon die zweite Vorstellung war schütter besetzt, trotz teilweise sehr guter Sänger, darunter der tolle Stuttgarter Haustenor Matthias Klink.

Vielleicht lag es am Dirigenten Simon Hewett, der leider viel zu oft sein Unwesen treibt, ob bei „Fledermaus“, „Bohème“, „Nabucco“? Da ist man froh, wenn der Chef Sylvain Cambreling bei Verdi, Wagner, Janácek, Mozart im Graben steht – auch wenn die neue „Così“-Produktion szenisch und sängerisch äußerst schwach ist. Ein Glück sind achtbare Handwerker wie Timo Handschuh oder wahre Meisterdirigenten wie Marc Soustrot („Rosenkavalier“). In allen Abteilungen, besonders in der muskalischen, darf also zugelegt werden.