Für die Sanierung der Wagenhallen, einem Zentrum der Subkultur in Stuttgart, werden nun rund 30 Millionen Euro veranschlagt. Außerdem könnte es Probleme mit dem Lärmschutz geben, wenn nebenan Wohnungen gebaut werden.

Stuttgart - Nach der Präsentation der Pläne für die Sanierung der Kultureinrichtung Wagenhallen im Nordbahnhof hatte sich in der Stuttgarter Bürgermeisterrunde Fassungslosigkeit breit gemacht: Die bisher im Raum stehenden 20 Millionen Euro sind nach StZ-Informationen nach oben korrigiert worden. Jetzt wird von mindestens 30 Millionen Euro gesprochen. „Und das ist beileibe keine Luxuslösung“, heißt es aus dem Kreis der ratlosen Bürgermeister.

 

Der Gemeinderat hat bei den letzten Etatberatungen 5,5 Millionen Euro genehmigt, um bis zum Ende der Vertragslaufzeit im Dezember dieses Jahres das Tragwerk und den vorbeugenden Brandschutz zu ertüchtigen sowie das angedachte Nutzungskonzept umzusetzen. Das sieht vor, dem kommerziellen Kulturbetrieb zu mehr Platz im ehemaligen Bahn-Instandsetzungswerk zu verhelfen: eine Veranstaltungshalle für bis zu 2500 Personen ist geplant. Außerdem sollen rund 70 im Kulturverein organisierte Künstler eigene Ateliers bekommen.

Für die Nutzer bestehe keine akute Gefahr für Leib und Leben, sagt der für die städtischen Liegenschaften verantwortliche Bürgermeister Michael Föll (CDU). Es würden fortlaufend Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Eine anonyme Anzeige, die wohl darauf abzielen sollte, eine kurzfristige Schließung der Halle zu erreichen, sei ins Leere gegangen, so Föll. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren eingestellt. Föll sagt aber auch, dieser Zustand könne nicht auf ewig aufrechterhalten werden. Doch die Zukunft der beliebten Hallen ist ungewisser denn je.

Der Charme der Industriegebäude würde verloren gehen

Die erneute Kostenexplosion ist nur eine von mehreren schlechten Nachrichten in der aktuellen Diskussion über das für den Kulturstandort Stuttgart wichtige, aber gerade von seiner provisorischen Anmutung profitierende Vorzeigeprojekt. Das Hochbauamt hat offenbar unmissverständlich deutlich gemacht, dass der Charme und das Flair der Industriegebäude unwiederbringlich verloren gehen würden, wenn erst einmal Brandschutzwände eingezogen, das Dach und die Stahlträger den gesetzlichen Erfordernissen angepasst wären.

Dies sei aber die Voraussetzung, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. „Die Halle hätte danach einen anderen Charakter. Das wird nicht zu vermeiden sein“, so Föll, „sie sähe sicher nicht mehr aus wie jetzt – aber auch nicht wie ein Kongresszentrum. Ich glaube, die neue Halle liegt irgendwo dazwischen.“ Eine Frage, die sich der Verwaltung nach einem ersten Gespräch mit Fraktionen und Betroffenen Ende Februar/Anfang März stellen wird, lautet: Warum sanieren und nicht gleich neu bauen, wenn die Wagenhallen ohnehin nicht mehr als solche erkennbar wären?

Eine besondere Bedeutung hat der Lärmschutz

Ob Alt- oder Neubau – es warten weitere Herausforderungen. Da ist zum einen die Stellplatzfrage. Bei 2000 Besuchern in der Veranstaltungshalle würden rund 1000 Parkplätze benötigt, heißt es bei der Stadt. Jene im benachbarten Berufsschulzentrum stünden wegen der Verlegung des Abendgymnasiums an den Standort Nordbahnhof nicht zur Verfügung. Eine besonders große Bedeutung hat der Lärmschutz. Heute stört der von den Wagenhallen ausgehende Veranstaltungslärm niemand. Doch in einigen Jahren soll dort das Rosensteinviertel aufgesiedelt werden. In kürzester Zeit würden sich wohl Anwohner über zu laute Musik und den Erschließungsverkehr beschweren. Ein Beispiel für einen solchen Konflikt ist das ehemalige Cannstatter Güterbahnhofsgelände. Die Festwirte auf dem benachbarten Wasen sind wegen des geplanten Wohnungsbaus im Neckarpark gezwungen worden, die Musiklautstärke herunterzuregeln. Der ehemalige VfB-Präsident Gerd Mäuser hatte angekündigt, das Wohnbauprojekt vor Gericht zu verhindern, weil er fürchtete, die neuen Nachbarn könnten die Zuschauer zu leiserem Torjubel zwingen.

Die Aufsiedlung, die durch extremen passiven Schallschutz möglich gemacht wird, zieht sich auch deshalb hin, weil sie trotz allem eine Riegelbebauung benötigt, die erst einmal projektiert und finanziert sein will. Ein ähnliches Verfahren hält die Stadtverwaltung auch am Nordbahnhof für denkbar. Die gewerbliche Hoppenlau-Schule könnte mit 9000 Quadratmeter Nutzfläche den Riegel bilden. Ihre Sanierung ist auf 50 Millionen Euro veranschlagt; womöglich könnte man gleich neu bauen. Warum nicht gegenüber den Wagenhallen und die frei werdende Fläche für Wohnungsbau nutzen, der im Rosensteinviertel wegfiele? Auch der Bau einer Tiefgarage, die die Besucher der Veranstaltungshalle mitnutzen könnten, wäre möglich.

Eine Halle für bis 2500 Zuschauer fehlt in Stuttgart

„Alles ist noch offen“, lautet die Ausgangslage. Also auch die Lösung, den Gastronomie- und Veranstaltungsbetrieb des Kulturbetriebs zu verlagern und die Halle allein den (leiseren) Künstlern zu überlassen. Doch auch dann fielen 17 Millionen Euro Umbaukosten an. Und gerade an einer Halle in der Größenordnung von 1000 bis 2500 Besuchern fehlt es in der Clubszene nach der Schließung der „Röhre“. Das Zapata in Bad Cannstatt wartet noch immer auf die Genehmigung; dort ist die Kapazität aber auf etwa 1200 Besucher beschränkt. Leer stehende Fabrikhallen, in denen solch ein Angebot vorübergehend gemacht werden könnte, seien ein Zeichen wirtschaftlichen Niedergangs, sagt Föll. In Stuttgart seien sie deshalb Mangelware.

Seit klar ist, dass sich aufgrund eines neuen Brandschutzgutachtens die Mitglieder des Kunstvereins während der Veranstaltungen des Kulturbetriebs Wagenhallen nicht in der Halle aufhalten dürfen, ist die Lage angespannt. Es gibt Streit. Der Mietvertrag mit der Stadt läuft Ende des Jahres aus. Mit der Sanierung oder dem wohl unwahrscheinlicheren Fall eines Neubaus würde nicht vor Ende 2016 begonnen werden können. Eine Duldung bis dahin dürfte kein Problem sein, heißt es.

Das Imwerk kommt bei den Künstlern nicht so gut an

Danach stellt sich die Frage nach einer zumindest vorübergehenden Alternative für die Künstlerkolonie. Neben dem von den meisten Künstlern favorisierten Containerdorf an Ort und Stelle hatten zuletzt die Betreiber des Kulturprojekts Imwerk 8 an der Feuerbacher Siemensstraße ihre Räumlichkeiten als Interimsquartier angeboten. Mittlerweile haben sie die kulturelle Nutzung der ehemaligen Fabrikhallen für fünf Jahre zugesichert bekommen (die StZ berichtete). Diese Offerte traf bei den Wagenhallenkünstlern jedoch auf Zurückhaltung. „Das Imwerk hat eine andere Dimension und ein anderes Konzept“, gibt Bürgermeister Föll zu bedenken.

Er sagt, die Stadt erarbeite jetzt unter Berücksichtigung der Lärmthematik verschiedene Lösungsmöglichkeiten für eine „dauerhafte Nutzung der Wagenhallen als Veranstaltungs- und Atelierstandort“. Ein Problem seien die hohen Investitionen: Auch wenn die 30 Millionen Euro auf mehrere Jahre verteilt werden könnten, müsse das Projekt beim Baubeschluss komplett finanziert – also in die mittelfristige Finanzplanung aufgenommen sein.