SEMF-Besucher finden Techno und House natürlich total gut. Aber wie wirkt der Sound auf szenefremde Musikliebhaber? Florence Shirazi vom Flaming Star un der Modemarke Mademoiselle YéYé macht den Check.

Stuttgart - Für die meisten der erwarteten 20.000 SEMF-Besucher sind Techno und House ein Lebensrhythmus. Im Rahmen unserer Kolumne "Techno mit SEMF, bitte“ wollen wir dieses Jahr wieder von szenefremden sowie musikliebenden Menschen wissen: Wie findet ihr den Sound eigentlich? Nach Tommy Wittinger (Produzent Freundeskreis) und Michael Setzer (Gitarrist bei End of Green) urteilt dieses Jahr Florence Shirazi über einige House- und Techno-Tracks.

 

Florence betreibt den Shop und das Label Flaming Star an der Nesenbachstraße und die internationale Modemarke Mademoiselle YéYé, die sich aktuell mit einem Laden im Fluxus präsentiert. Während im Flaming Star die 1950er verkauft werden, designed die gelernte Graphikerin und Illustratorin bei Mademoiselle YéYé 60ies-Damenmode und „Kleider mit Retrokante“.

Für die 60ies schlägt musikalisch ihr Herz, darüber hinaus hört sie – bis auf Techno – eine große Bandbreite an Musik, wie Soul, Jazz, Rhythm & Blues oder Punkrock. Das „echte 80er Kind“ war einst in der Psychobilly-Szene verortet, die Ende der 70er, Anfang der 80er entstand und Rockabilly mit Punkmusik kombinierte. „Es war eine coole Zeit und eine spannende Sache, Teil einer neuen Subkultur zu sein“, sagt Florence heute darüber. Der erste Techno-Hype Anfang der 1990er ging dagegen komplett an ihr vorbei.

Wenn du das Wort Techno hörst, was stellst Du Dir als erstes darunter vor?
Ich glaube tatsächlich Maruschka – oder wie hieß die?

Marusha.
Und Sven Väth?

Lebt noch und ist auch wieder beim SEMF.
Und wer heißt der? Hyper Hyper? Dann hört es aber schon auf.

Scooter. Aber Scooter waren immer die Bösen. Bist du mal in Techno-Clubs gegangen?
Spinnst du? Nee! Neulich bin ich aber ausnahmsweise um 8 Uhr morgens aus dem Climax rausgelaufen. Ich hatte das Gefühl, dass vier Stunden lang das gleiche Lied lief.

Fritz Kalkbrenner – Back home (2014)



Dann hoffe ich, dass es jetzt etwas unterhaltsamer für dich wird. Der erste Tune ist von Fritz Kalkbrenner, ein Headliner auf dem SEMF.
Den Anfang finde ich schon mal gut. Ich finde das relativ entspannt. Ich wusste nicht, dass das Techno ist, hätte jetzt gedacht, das ist so Disco-Mugge.

Vielleicht könnte man eher House als Techno sagen, der House-Nerd wiederum würde dann aber wahrscheinlich Ausschlag kriegen.
Bei dem Stück denke ich an eine Strandbar, Eistee in der Hand und dann läuft solche Musik. Ich würde mir so etwas nicht kaufen, aber das passt dann an solche Orte. Ich mag es auch, wenn ein Stück so etwas sphärisches hat. Dieser 90er-Techno war für mich immer sehr hart. Ich kenne noch aus den 1980ern Electronic Body Music (EBM), das war ja auch schon tough, aber das mochte ich noch. Techno war mir zu synthetisch. Ich konnte auch nichts mit den Leuten anfangen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Musik, die du gerade beschreibst, gibt es heute immer noch, klingt mitunter, dank neuer Produktionsmöglichkeiten, aber etwas moderner.
Okay. Das Stück ist voll in Ordnung, gute Melodie. Das ist ganz harmlos, das halte ich aus (lacht). Man merkt auch, da beschäftigt sich jemand schon lange mit Musik. Und er singt unangestrengt gut.

Ten Walls – Walking With Elephants (2014)



Die nächste Nummer ist eher melancholisch und einer der größeren Clubhits 2014.
Der Bass ist härter. (Die markante Melodie setzt ein) Find ich doof.

Warum?
Sollen das jetzt Trompeten sein?

Ja, oder eine Posaune. Das Stück heißt übrigens „Walking with Elephants“.
Passt. Wahrscheinlich hat derjenige, der das produziert hat, so etwas vor Augen gehabt, ein bisschen Törö. Das ist mir zu Benjamin Blümchen (lacht). Ich find es brutal langweilig. Ich würde mich an den Song auf gar keinen Fall erinnern, außer vielleicht an die beschissenen Trompeten. Nein, gefällt mir nicht. Mich wundert das jetzt auch, dass das so ein großer Hit sein soll.

Lilly Wood & The Prick - Prayer in C (Robin Schulz Remix)



Wir kommen wieder zu einem SEMF-Act, sehr erfolgreich, auch auf kommerzieller Chartebene. (Die Melodie setzt ein) Schon mal gehört?
Hm ja. Das ist aber von einem anderen Lied?

Das Original ist von dem französischen Folkpopduo Lilly Wood & the Brick aus dem Jahr 2010 – wurde aber erst durch diesen Remix bekannt und ein europaweiter Nummer-eins-Hit.
Nein, dann verwechsel ich was. Mir kommt die Melodie vertraut vor, aber den Song kenne ich nicht. (Der Gesang beginnt) Das ist eine schöne Stimme. Der Gesang reißt es total raus, der Rest ist sehr einfach gestrickt (lacht).

Ja, ein eingängiges Gitarrenriff, aber die ist vom Originalsong übernommen. Und dieser eingängige, sommerliche House-Sound ist gerade etwas Trend.
Ich komme nicht drauf, an welches andere Lied mich die Melodie erinnert, vielleicht sogar an eine 1980er Jahre Geschichte. Allgemein wirkt das so in der Form etwas billig, gerade für jemanden, der viel auf Konzerte geht, wo sich Musiker richtig bemühen.

Moderat - Bad Kingdom (DJ Koze Remix)

Vielleicht hast du von Act und Remixer schon mal gehört.
Das ist jetzt so ein bisschen die Ethno-Schiene (lacht).

„Ethno-Elemente“ sind seit Jahren sehr beliebt.
Damit kann ich nichts anfangen, das ist nicht schlimm, aber dieses „Tiieet“ z.B. finde ich voll nervig.

(Es beginnt zu knarzen) Das ist dann der Moment, in dem die Leute im Club durchdrehen.
Die Lieder haben manchmal eine krasse Steigerung. Bis zur kompletten Tanzexplosionsekstase.

Richtig. Die Tracks bauen sich meist langsam auf. Sagt dir Moderat etwas?
Ja.

Und das ist Moderat und ein Remix von DJ Koze, ich sage immer DJ Kotze, manche sagen DJ Cosy.
Kenn ich! Dachte auch, man sagt DJ Kotze. Du meinst schon die Band Moderat?

Ja. Super Album das letzte. Im Originalsong ist diese Knarzspur schon drin.
Das heißt, dieses Techno funktioniert so - also manche machen auch ihr eigenes Ding – aber es wird viel Fremdes genommen, gesampelt und verfremdet?

Nein. Das hier ist ein offizieller Remix, Moderat haben Koze darum gebeten. Gängiges Techno-Business. Die meisten produzieren ihr eigenes Zeug.
Aber bei dem Stück davor, gab es das Lied schon davor.

Ein Sonderfall. Robin Schulz hat ohne offizielle Remixanfrage einen Dance-Mix angefertigt und nur auf Soundcloud und Youtube veröffentlicht. Ein Label ist drauf gestoßen, hat das Hitpotential erkannt und offiziell herausgebracht.
Heißt, eigentlich muss man in dem Fall dann nur den richtigen Song entdecken und dessen Potential erkennen.

Kann man so sagen. Wobei das einfacher klingt als es ist, sonst wäre in diesem Fall schon wesentlich früher jemand drauf gekommen. Liegen ja vier Jahre zwischen dem Original und der Club-Version.

Ø [Phase] – Perplexed (Rødhåd\'s Extended mix) (2014)



Jetzt werden wir etwas düsterer, wieder ein Stück, besser gesagt ein Remix, von einem SEMF-Act, Rødhåd. Das Stück geht jetzt wohl am ehesten in die Richtung, was du dir bislang unter dem Begriff Techno vorgestellt hast.
Ja, uffzuffzuff (lacht). Und breite Hosen.

Und die Grundstimmung? Besser als die Elefanten?
Ja etwas, aber ein schmaler Grad würde ich sagen. Bis jetzt passt ein Blatt dazwischen. Mich verwirrt gerade die Snare/Hihat zwischen der Kickdrum. Bring so eine Unruhe rein. Das haut mich jetzt nicht vom Hocker.

Das ist so ein richtiges Morgenstück.
Ja, da bist du schon durch und in den letzten Zügen, würde ich sagen.

Oder man macht nochmals drei Stunden.
Wie im Delirium. Wenn ich das so höre, hätte ich gerne so ein Computerprogramm und würde es ausprobieren, selbst so eine Musik zu produzieren. Vielleicht unterschätze ich das gerade total, aber wenn man das so hört, denkt man sich, so schwer kann das nicht sein.

Schwer zu sagen, aber ich kenne Leute, die haben nach zwei, drei Monaten Übung schon ordentliche Nummern hinbekommen.
Glaube ich. Es passiert auch gar nichts. Ich finde, das ist ein Rausschmeißer-Song. Da ist schon die beste Party gelaufen. Wenn die Party voll abgeht ist und dann kommt das Lied, ist das doch eine Vollbremse oder?

In einem großen, vollen Raum wie bei der SEMF und mit richtig guter Anlage, kann das schon seine Wirkung entfalten. Achtung, krasser Bruch.

Soulphiction – Mind & Body (2014)



Soulphiction - schon mal gehört?
Nein. (Disco-Vocalsample setzt ein) Wow, das ist Techno?

Eher House oder Disco natürlich.
Ja, Disco. Da ist auch viel Funk drin. Das Stück ist mir jetzt viel näher, allein wegen dem Gesang, aber die Platte würde ich mir auch nicht kaufen, wenn dann das Original bzw. würde ich mir lieber Boney M. auflegen (lacht).

Was glaubst du aus welchem Land die Platte kommt?
Schon aus Deutschland.

Das stimmt zwar, aber ich finde, sie könnte vom Soundbild auch aus den Staaten kommen.
Ne, finde ich nicht.

Und was denkst du aus welcher Stadt sie kommt?
Na, wenn du so fragst, kommt die wahrscheinlich aus Stuttgart! (lacht).

Jawohl. Soulphiction ist Michel Baumann, der gemeinsam mit Tobi Ettle vom Plattenladen Pauls Musique das Label Philpot betreibt.
Mein ehemaliger Nachbar (das Pauls Musique war viele Jahre in der Nesenbachstraße neben dem Flaming Star, d. Red.)! Über den rede ich natürlich nicht schlecht, dann ist das natürlich ein Superhit (lacht). Deswegen auch die Soul- und Funk-Komponente.

Genau, dafür ist der Michel bekannt. Der macht öfters soulig-funkige Sachen, müsste dir vielleicht gefallen.
Dass wir uns nicht falsch verstehen, ich mag schon auch progressive Musik, beziehungsweise wenn es nach vorne geht. Es ist wirklich nicht so, dass ich mich komplett in meinem Retro-Zeug verliere. Aber dieses Techno-Ding ist für mich wirklich abstrakt.

Heute auch?
Nein, du hast ja eher harmlosere Sachen rausgesucht. Gerade das von Fritz Kalkbrenner fand ich total in Ordnung, da hat man eindeutig gemerkt, der Typ hat Musikverständnis.

Marusha – Somewhere over the Rainbow (1994)



Lass uns den Kreis zum Anfang schließen und Marusha anhören.
(lacht) Okay! Die hatte doch diese fancy Augenbrauen?

Genau!
(Kickdrum setzt ein) Ach das kenne ich, das war doch damals ein Riesenhit .

Natürlich, ihr größter.
Ich damals direkt weitergeschalten. (Die bekannte Hook erklingt) Ja, schrecklich!

Ja sehr, kaum zu glauben, dass wir als 17-jährige wie blöd drauf herum gehüpft sind.
Und vor allem, ist das im Original so ein schönes Lied! Und dann kommt so etwas bei raus.

Wir fanden das anfangs schon richtig gut, als die Platte rauskam.
Es war wohl was Neues damals.

Ja, sozusagen der Techno-Remake-Prototyp. Und auf einmal hat ganz Deutschland das Lied gehört.
Das war damals die Ray Cokes-Zeit auf MTV. Ich habe da einfach musikalisch eine andere Sozialisation. Weißt du, welchen Song ich richtig super finde? „Let the music play“ von Shannon.

Shannon – Let the music play



Mixed Music Abend Klassiker. Jetzt sind wir tief in den 1980er.
Ja, das ist einer meiner Tophits.

Und hat auch schon einen Electro-Touch.
Aber dieser typische 80er-Electro. Finde ich ganz schön gut. Vielleicht sollten wir lieber 80er Songs hören?

Heute nicht mehr. Die Nummer wurde mit dem Drumcomputer Roland TR-808 und der Roland TB-303 produziert, die jahrzehntelang für Techno/House-Produktionen verwendet wurden und heute noch zum Einsatz kommt. So gesehen haben wir jetzt einen guten Bogen geschlagen.
Ich finde schön, dass Shannon diese Runde abschließt. Also wenn sich jemand von diesen ganzen Lieder eines anhören sollte, dann das!

Mehr Infos zu Florence Shirazi unter www.flamingstar.eu und www.yeyeye.de