Für den VfB Stuttgart zählt gegen Hertha BSC nur ein Sieg. Doch ausgerechnet im eigenen Stadion läuft beim abstiegsgefährdeten Fußball-Bundesligisten wenig bis nichts.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Die Fans bündeln noch einmal alle Kräfte. Alles für dieses eine Spiel, dem sie beim VfB Stuttgart schicksalhafte Bedeutung beimessen. Nur ein Sieg zählt. Ähnlich wie im April 1975, als Werder Bremen kam, die VfB-Elf aber nur ein 2:2 erreichte und am Saisonende aus der Fußball-Bundesliga abstieg. Das soll sich nicht wiederholen, und die VfB-Anhänger wollen an diesem Freitagabend wie ein Mann hinter ihrer Mannschaft stehen. Gemeinsam wollen sie sich deshalb auf die Begegnung mit Hertha BSC einstimmen, geschlossen in die Kurve gehen – und die Stuttgarter zum Sieg schreien. Das Problem dabei: es ist ein Heimspiel.

 

Schon seit Längerem bekommt der VfB in der Mercedes-Benz-Arena nicht viel hin. Viele Zuschauer empfinden die miesen Heimauftritte inzwischen nicht mehr als Zufall, sondern als Zumutung oder gar als nahezu unerträglich. Christian Gentner weiß das, er hat es ja auf dem Platz selbst miterlebt und zu spüren bekommen. Deshalb wusste der Kapitän auch schon nach dem 1:1 am vergangenen Samstag in Hannover, was in dieser Woche auf das Team zukommen würde: die ganzen Diskussionen über die schlechteste Heimelf der Liga.

Die Heimschwäche als Kopfproblem

„Es steckt sicher in unseren Köpfen, dass wir eine schlechte Heimbilanz haben“, sagt Christian Gentner, „aber spätestens mit Beginn des Berlin-Spiels müssen wir versuchen, das mit guten Aktionen herauszukriegen.“ Wobei es sich beim VfB in den Anfangsminuten meistens ordentlich anlässt. „Ich sehe, dass die Mannschaft sehr gut vorbereitet in die Spiele geht und den Kopf oben hat“, sagt der Sportvorstand Robin Dutt. Warum der Stuttgarter Fußball in der eigenen Spielstätte anschließend oft nur noch vor sich hinrumpelt, bleibt aber auch ihm verschlossen. Denn auswärts rollt die Kugel ja deutlich besser.

Da kann die Mannschaft das einfachste aller Fußballmodelle praktizieren: ordentlich verteidigen und gelegentlich kontern. Um ein Spiel zu gestalten, braucht es aber mehr. „Um gut nach vorne zu kommen, brauchst du ein sauberes Aufbauspiel“, sagt Huub Stevens. Was der Trainer nicht sagt: die Stuttgarter müssen fast schon zwingend mit dem dritten oder vierten Pass vor dem gegnerischen Tor landen, denn aufgrund der hohen Fehlpassquote ergeben sich häufig erst gar keine Kombinationen.

Auch deshalb hat Stevens den VfB erst einmal auf Sicherheit und Stabilität getrimmt. Ihm, dem Freund einer geordneten Defensive, ist das in Stuttgart alles zu wacklig, öffnet die Mannschaft nach Ballverlusten zu große Räume. Doch man tut dem niederländischen Fußballlehrer unrecht, ihn auf den Die-Null-muss-stehen-Fetischisten zu beschränken. Stevens orientiert sich am Spielerkader und ließ zum Beispiel während seiner zweiten Amtszeit auf Schalke stürmen, weil er mit Raúl und Co. über das Offensivpotenzial verfügte.

Mannschaft steckt im Kreativloch

Beim VfB stecken sie aber in einem Kreativloch und greifen permanent zum Mittel der Hilflosen: dem langen Ball. Wahlweise kommt noch Verzweiflung hinzu, wenn der groß gewachsene Innenverteidiger Georg Niedermeier im Angriffszentrum versucht, Plan B wie Brechstange umzusetzen. Schön anzuschauen ist das alles nicht. Vor allem hat es aber nicht zum gewünschten Resultat geführt. Seit Stevens’ zweitem Amtsantritt am 25. November kam der VfB noch zu keinem Heimsieg und erzielte in fünf Spielen (vier Niederlagen, ein Unentschieden) erst zwei Tore.

Es ist eine Bilanz des Scheiterns. Und sie hat den VfB an den Abgrund zur zweiten Liga geführt sowie den Trainer an den Rand seiner Entlassung. Doch die Heimschwäche ist kein spezielles Stevens-Problem. Bereits seine Vorgänger Armin Veh, Thomas Schneider und Bruno Labbadia hatten den Kampf gegen den Heimkrampf zu bestreiten. Erfolglos, weil der fußballerische Schwabencode längst geknackt ist: geduldig auf Fehler warten und zuschlagen.

Das haben die Ligarivalen so gut gemacht, dass der VfB in den Heimtabellen der beiden Vorjahre jeweils auf Platz 15 abschloss. Doch nun tariert Stevens die Elf neu aus. In Alexandru Maxim hat er ihr zuletzt ein feineres Passfüßchen zugeführt – und mit dem Stürmer Daniel Ginczek zumindest das Signal gesetzt, dass es auch wieder um das Toreschießen gehen soll.