Exklusiv Die Spannung steigt. Am Sonntag startet der VfB in die neue Saison der Fußball-Bundesliga. Dabei begleiten die Stuttgarter nicht nur zum ersten Spiel bei Borussia Mönchengladbach einige Zweifel. Im StZ-Interview findet Veh dazu klare Worte.

Sport: Carlos Ubina (cu)
Stuttgart – - Die Spannung steigt. Am Sonntag (17.30 Uhr) startet der VfB in die neue Saison der Fußball-Bundesliga. Dabei begleiten die Stuttgarter nicht nur zum ersten Spiel bei Borussia Mönchengladbach einige Zweifel. Der Trainer Armin Veh weiß das – und sagt: „Wenn wir nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben, dann hätten wir eine ordentliche Saison gespielt.“
Herr Veh, Sie haben den Stuttgartern neulich mehr Lockerheit im Umgang mit dem VfB empfohlen. Wie ist es denn um Ihre Lockerheit so unmittelbar vor dem Ligastart in Mönchengladbach bestellt?
Gut. Ich bin lockerer als viele hier. Es ist auch nötig, nicht alles bitterernst zu sehen. Das hilft allgemein, aber auch im Sport. Und das bedeutet nicht, dass ich keine klaren Vorstellungen habe.
Dann haben Sie das verlorene Pokalspiel in Bochum locker weggesteckt?
Wichtig ist es, eine klare Analyse zu machen – und die war nach dem Bochum-Spiel einfach. Da konnte ich an Videobildern sehr gut aufzeigen, wie viele Fehler wir gemacht haben. Nicht alle Fehler, denn das hätte zu lange gedauert, aber in zwölf Minuten gelingt das mit Bildausschnitten ganz eindrucksvoll. Da gibt es dann auch keine Ausreden mehr.
Dann wissen ja jetzt alle Spieler, wie sie es in Gladbach besser machen können.
So einfach ist es dann auch wieder nicht. Denn wir haben erst eine Entwicklung begonnen und müssen noch eine Mannschaft werden. Das muss unser vorrangiges Ziel sein, da wir von der Qualität der Einzelspieler nicht mit den Spitzenclubs der Bundesliga mithalten können.
Das klingt nicht besonders verheißungsvoll vor dem Ligastart.
Das muss man aber so nüchtern sehen. Wir haben nur eine Chance, wenn wir über die Mannschaft kommen, wenn wir einen guten Teamgeist haben, wenn wir nicht zu verbissen, aber doch sehr, sehr engagiert Fußball spielen.
Das hört sich mehr nach dem FC Augsburg als nach dem VfB an.
Die Clubs, die aufgrund ihrer Geschichte noch nicht so erfolgreich waren wie der VfB, haben tatsächlich den Vorteil, dass sie nicht ständig an der Vergangenheit gemessen werden. Aber wir müssen diesen Weg, den die Augsburger oder Mainzer gegangen sind, ebenfalls gehen. Selbst wenn wir dabei wesentlich mehr Kritik ausgesetzt sind.
Fällt es schwer, so eine Haltung im und um den VfB herum zu implantieren?
Im Verein selbst ist es nicht so schwierig, weil wir hier sehr gut einschätzen können, wie hoch die fußballerische Qualität im Kader ist. Aber im Umfeld ist es schwierig, auch in den Medien, weil man Erfolge gefeiert hat und sich für gewöhnlich in den Jahren danach sehr kritisch zeigt.
Haben Sie den Eindruck, dass der VfB von außen betrachtet nicht realistisch genug eingeschätzt wird?
Nein, aber manchmal überfordert man die Spieler mit den Erwartungen. Wenn die Mannschaft faul wäre und nur 80 Prozent von dem zeigen würde, was sie tatsächlich kann, dann würde ich sagen: Okay, die anderen haben recht. Aber sie bemüht sich ja, will immer.
In einem Arbeitszeugnis würde sich so eine Beurteilung eines Vorgesetzten aber nicht gut machen.
Ich weiß: so Formulierungen wie „hat sich stets bemüht“ sind verheerend. Doch wir befinden uns im Sport, und da gibt es eine enorme Konkurrenz. Ich kann sagen: Diese Spieler wollen vorankommen. Wir als Trainerteam müssen sie jetzt so weit bringen, dass sie als Kollektiv funktionieren und dadurch besser werden. Allein mit Handauflegen wird das aber nicht gehen, denn wir haben nicht die spielerischen Möglichkeiten wie Leverkusen oder Schalke.
Wenn nicht alle unsere Informationsquellen falsch sind, dann hätten Sie durchaus nach Leverkusen oder Schalke gehen können.
Aber ich habe mich für den VfB entschieden, weil ich überzeugt bin, dass man hier mit den Talenten etwas Gutes entwickeln kann. Das ist ja auch eine Aufgabe. Es muss nicht so sein, dass man schon immer alles auf dem Präsentierteller erhält. Etwas zu erarbeiten ist auch reizvoll.
Aber das braucht viel mehr Zeit.
Richtig. Und man darf die Jungs dabei nicht überfordern und ständig von den europäischen Rängen träumen. Denn man darf auch nicht vergessen, dass die schlechten Platzierungen des VfB zuletzt kein Zufall waren, oder gar meinen, dass nur schlechte Trainer hier gearbeitet haben.
Sondern?
Es ist eben nicht mehr die spielerische Qualität von einst vorhanden. Auf der anderen Seite kann sich eine junge Mannschaft aber nur entwickeln, wenn man nicht so getrieben ist – von Erwartungen, Unruhe oder Sonstigem.
Sie wirken überhaupt nicht getrieben.
Stimmt. Ich bin ruhiger geworden, weil ich weiß, dass es nicht zielfördernd ist, Vorgaben zu machen, die alle überfordern. Deshalb müssen wir uns richtig einordnen. Sollten wir also eine Saison spielen, in der wir mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben, dann hätten wir eine ordentliche Saison gespielt.
Das ist nicht das, was sich viele VfB-Fans und auch Sponsoren erhoffen.
Aber ich kenne die Bundesliga sehr genau und weiß, dass wir nicht von der Champions League träumen können. Auch die Europa-League-Plätze können momentan nicht unser Anspruch sein.
Sie sprechen also aus Erfahrung?
Ja. Das ist ja der Unterschied zwischen dem Trainer Armin Veh von vor einigen Jahren und dem aktuellen Trainer Armin Veh. Ich habe mehr Erfahrung und bin überzeugt davon, dass man Erfahrung in allen Lebens- und Berufsbereichen braucht. Die Krux ist ja, aus den Fehlern, die man gemacht hat, zu lernen und diese nicht zu wiederholen. Aber ehrlich gesagt, macht ohnehin nur derjenige Fehler, der überhaupt etwas macht. Da schließe ich mich mit ein.
Wenn man Sie bei der täglichen Arbeit beobachtet, machen Sie auf dem Platz allerdings weniger als früher. Sie wirken eher wie ein Supervisor.
Ich will diese Beobachterrolle. Denn als ich mit 29 als Trainer angefangen habe, hatte ich noch keinen Assistenten. Zwangsläufig habe ich auch danach alles alleine gemacht. Heute gibt es ein Trainerteam mit vielen Fachleuten. Deshalb delegiere ich. Auch, damit die Leute ihre Kompetenzen ausleben können. Doch die Richtung gibt nur einer vor: ich.
Sie sind lockerer, ruhiger und delegieren Aufgaben – spüren Sie nach 24 Jahren im Trainerjob vor Spielen überhaupt noch eine Anspannung?
Auf jeden Fall. Das hat sich überhaupt nicht geändert. Das Adrenalin kommt. Vielleicht erst am Spieltag selbst, aber es ist voll da.
Wie darf man sich das vorstellen? Tigern Sie durch die Kabinengänge und fauchen jeden an?
Nein, überhaupt nicht. Es läuft eher wie bei einem Künstler, bevor er auf die Bühne geht. Es kribbelt. Ich tigere höchstens durch die Gänge, wenn die Spieler schon draußen beim Warmmachen sind. Denn ich selbst gehe ja nicht raus.
Warum nicht?
Ich möchte mich konzentrieren. Draußen kenne ich zu viele Leute. Da wäre ich ständig am Begrüßen und am Smalltalk-Halten. Und da ich nicht unfreundlich sein will, bleibe ich lieber drin.
Was erwarten Sie am Sonntag auf der Bühne Borussiapark?
Einen Verein, der sich nach dem Beinaheabstieg 2011 erholt und uns mittlerweile überholt hat. Was das Budget anbelangt und ebenso, was die Mannschaft betrifft. Da muss man neidlos anerkennen: In Gladbach haben sie einen guten Job gemacht.
Mit Kontinuität?
Natürlich ist es wichtig, Kontinuität im Club zu haben. Meistens gibt es Kontinuität im Fußball jedoch nur, wenn man Erfolg hat. Das wiederum braucht Zeit, die man jedoch nur eingeräumt bekommt, wenn man erfolgreich ist. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Weshalb ich immer sage: Entscheidungen sollten diejenigen treffen, die sich in dem Geschäft auskennen und dafür auch Geld bekommen.
Der Trainer und der Manager?
Ja. Was aber nicht bedeutet, dass man mit Scheuklappen herumläuft und keine Ratschläge von außen annimmt. Die sind auch wichtig. Doch am Ende des Tages gibt es für die Entscheidungen Fachmänner.
Garantiert das den Erfolg?
Da geht es doch schon weiter. Was ist denn überhaupt Erfolg?
Die Meisterschaft 2007 zum Beispiel.
Aber so weit sind wir noch lange nicht. Das hat nichts mit Understatement zu tun oder mit dem häufigen Vorwurf, dass man seine eigene Mannschaft schlechtredet. Das ist doch Blödsinn. Wir müssen Erfolg anders definieren. Und da wiederhole ich mich: Wir müssen eine Mannschaft entwickeln. Was jedoch nicht bedeutet, dass es keine Überraschung geben kann. Schließlich geht es um einen Mannschaftssport mit vielen Emotionen.
Auch die VfB-Fans bringen viele Emotionen mit und verbinden mit Ihnen als Trainer eine glorreiche Vergangenheit. Sie selber scheinen aber nicht zurückzublicken.
Weil ich im Jetzt lebe. Obwohl die Vergangenheit damit zu tun hat, dass ich überhaupt wieder hier bin. Da ich mich in Stuttgart sehr wohlfühle.
Und der VfB ist eine Herzensangelegenheit?
Ja, auch wenn sich das kitschig anhört.