Der VfB-Präsident Bernd Wahler spricht im Interview mit der Stuttgarter Zeitung über seine Philosophie und die Ausrichtung in den nächsten Jahren.

Stuttgart - Bernd Wahler sieht gut erholt aus. Der Präsident des VfB Stuttgart war über Ostern ein paar Tage beim Skifahren in den Alpen: ausspannen, hieß das. Schließlich wird er in den nächsten Wochen viel Kraft brauchen – angesichts des Abstiegskampfs und der zahlreichen anderen Themen, die es zu bearbeiten gilt.

 
Herr Wahler, herzlichen Glückwunsch zum souveränen 4:1-Sieg der deutschen Nationalmannschaft am Dienstag gegen Italien.
Sie gratulieren mir zu diesem Erfolg? Da muss ich kurz nachdenken, wie Sie vor dem Spiel gegen Darmstadt darauf kommen.
Haben Sie wirklich keine Idee?
Wahrscheinlich deshalb, weil fünf ehemalige Jugendspieler des VfB im Kader waren?
Ja, Sami Khedira, Mario Gomez, Antonio Rüdiger, Sebastian Rudy und Bernd Leno. Auf diese Anzahl brachte es kein anderer Club – nicht mal ansatzweise.
Das ist schön, aber auch eine Verpflichtung für uns. Unsere Jugendarbeit war gut – und sie ist gut, doch wir müssen noch mehr Gas geben, um noch besser zu werden.
Keiner der fünf aufgezählten Nationalspieler steht mehr in Stuttgart unter Vertrag. Ist der VfB folglich ein reiner Ausbildungsverein geworden.
Reiner Calmund (Anm. d. Red.: Ex-Manager von Leverkusen) sagte mal, dass alle Clubs außer Bayern, Real Madrid und Barcelona letztlich Ausbildungsvereine sind, und irgendwie stimmt das auch. Die Nachwuchsförderung ist uns traditionell sehr wichtig. Trotzdem sehen wir uns nicht als Ausbildungsverein, sondern wollen schon auch eine Adresse, die ihre besten Eigengewächse länger an sich binden kann. Das ist unser Ziel.
Wie wollen Sie es erreichen?
Indem es uns gelingt, diesen Spielern interessante Perspektiven aufzuzeigen – einerseits für die Zeit ihrer Karriere. Es ist ja klar, dass Leute mit dieser Klasse in internationalen Wettbewerben mitmischen wollen. Also müssen wir da wieder hin.
Klingt logisch. Und zum anderen?
Indem wir ihnen beim VfB berufliche Möglichkeiten nach ihrer Laufbahn bieten.
Befürchten Sie, dass Daniel Didavi und Timo Werner die Nächsten sind, die den Weg von Khedira, Gomez und Co. einschlagen?
Zunächst einmal finde ich es gut, dass es bei uns überhaupt solche Spieler gibt, die sehr begehrt sind. Das ist eine Bestätigung unserer Arbeit. Bei Daniel Didavi haben wir es nicht mehr selbst in der Hand. Bei Timo Werner ist die Zukunft klar geregelt. Und über allem steht die volle Konzentration auf das Spiel gegen Darmstadt.
Didavi will nach Wolfsburg. Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass ihm der VfB gar kein Angebot vorgelegt hat.
Das ist das übliche Geplänkel in diesem Stadium.
Für die fünf Nationalspieler, die gegen Italien im Aufgebot waren, hat der VfB eine Ablöse von insgesamt rund 80 Millionen Euro kassiert. Was ist aus diesem Geld geworden?
Ich werde oft mit der Frage konfrontiert, wo die Millionen für Gomez und Khedira geblieben sind und ob sie zum Fenster rausgeworfen wurden. Im Nachhinein muss man feststellen, dass man da manches hätte besser machen können. Aber das ist Vergangenheit und nicht mehr zu ändern.
Wie sieht es in der Gegenwart aus?
Da geht es für uns darum, wie wir es jetzt besser machen können als in der Vergangenheit – beispielsweise mit einer durchdachten Kaderplanung, in die alle eingebunden sind: die Profiabteilung, das Scouting, die Jugend. Dieser Punkt führt dann auch zu der Frage, welchen Fußball wir spielen wollen – eine Frage, die wir in den Grundzügen ja bereits beantwortet haben.
Mehr Geld würde Ihr Vorhaben mit der durchdachten Kaderplanung erleichtern. Um die Fernseheinnahmen zu erhöhen, haben Sie sich nun mit fünf anderen Traditionsvereinen (Hertha BSC, Frankfurt, Köln, Hamburg, Bremen) zu einem „Team Marktwert“ zusammengeschlossen.
Auf Anregung der DFL erarbeiten wir bis Saisonende einen Vorschlag, der den Marktwert der Clubs abbilden soll, um die TV-Gelder gerechter zu verteilen. Basis dafür sind Parameter wie das Fanpotenzial oder die TV-Einschaltquoten. Aber von dieser Initiative ist kein Verein ausgeschlossen. Jeder Club kann sich einbringen, auch Vereine aus der zweiten Liga.
In diesem Jahr erhält der VfB vom Fernsehen 27,5 Millionen Euro. Signifikante Steigerungsraten sind da kaum drin – oder?
Es bringt nichts zu spekulieren. Doch es wäre falsch, wenn wir sagen würden, dass vier oder fünf Millionen Euro für uns wenig Geld sind. Vielmehr ist das vielleicht genau der Betrag, den wir brauchen, um einen guten Spieler halten zu können. Wir dürfen da den Anschluss nicht verlieren.
Um größere finanzielle Sprünge machen zu können, wären wohl Investoren nötig – und damit verbunden wäre die Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Verein. Über dieses Projekt soll auf der nächsten Mitgliederversammlung im Juli abgestimmt werden.
Darüber befinden wir uns gerade mit unseren Mitgliedern in einem intensiven und ergebnisoffenen Austausch.
Sie meinen die Regionalversammlungen, die am Dienstag in Aalen fortgesetzt werden. Überzeugen können Sie die Mitglieder wahrscheinlich nur, wenn Sie Fakten vorlegen. Mit wie viel Geld könnte der VfB bei einer Ausgliederung rechnen, wenn Sie wie veranschlagt 25 Prozent der Anteile verkaufen?
Bisher haben wir nur den unteren VfB-Unternehmenswert angesetzt. Bei einem Unternehmenswert von 200 Millionen Euro wären das dann 50 Millionen Euro. Aber das ist eine Stichtagsbetrachtung. Realistischer ist wohl, dass der Verein 270 oder 280 Millionen wert ist.
Ein Viertel davon wären 70 Millionen Euro, die der VfB bekommen könnte. Wie wollen Sie die Mitglieder überzeugen, dass dieses Geld besser investiert würde als die 80 Millionen für Gomez. Khedira und Co.?
Ich verweise auf die Qualität der heute handelnden Personen. Man kann sich ja anschauen, wie unser aktuelles Management zuletzt auf dem Transfermarkt mit Geld umgegangen ist. Das verdient Vertrauen.
Hätten Sie schon Investoren an der Angel?
Ja, die Daimler AG hat sich deutlich dazu bekannt – mit anderen laufen Gespräche.
Daimler ist bereits Hauptsponsor und könnte doch auch über diese Schiene mehr zahlen. Dann müssten Sie keine Anteile verkaufen.
Diese Frage wurde uns auch schon häufig auf den Regionalversammlungen gestellt.
Und wie lautet die Antwort?
Das funktioniert nicht, weil die Daimler AG als Sponsor einen entsprechenden Gegenwert bekommen müsste – und das könnten sie ohne Beteiligung nicht vermitteln.
Warum will sich die Firma Daimler eigentlich als Investor betätigen?
Für den Konzern wäre es interessant, dass der VfB wieder wettbewerbsfähiger wird, höhere Sponsoringausgaben rechtfertigt – und ein starker Bundesligist wertet Stuttgart auch als Wirtschaftsstandort auf. Das wiederum erleichtert es der Daimler AG, kompetente Mitarbeiter hierher zu holen.
Andere Motive würde es nicht geben?
Die Daimler AG hat klar gesagt, dass man mit so einem Engagement keinerlei Gewinnabsichten verbindet. Dem Unternehmen geht es nicht wie vielen Investoren in England um Rendite. Der Daimler AG geht es um diesen Standort und um den VfB.
Würde denn das neue Geld schon für die Transferperiode in diesem Sommer zur Verfügung stehen?
Ja, wobei nicht alles direkt in den Profibereich investiert würde, sondern etwa 40 Prozent. Ohnehin geht es bei einer Ausgliederung um mehr als um das Geld, das einmalig fließt. Durch eine höhere Eigenkapitalquote wären wir auch insgesamt besser aufgestellt und in einer komfortableren Ausgangslage – etwa in Gesprächen mit Banken.
Dennoch wären Transfers wohl ein Schwerpunkt, um die Mannschaft zu verstärken und nicht erneut, wie auch in dieser Saison, in Abstiegsgefahr zu geraten.
In der Tat ist uns diese Situation nicht ganz fremd, aber es sieht nun schon etwas besser aus als in den Jahren zuvor. Dennoch richten wir den Blick nicht nach oben, sondern nach unten und werden darauf achten, dass sich keine Nachlässigkeiten einschleichen.
Was macht Ihnen am meisten Hoffnung auf ein Happy End?
Dass das Zusammenwirken zwischen Trainerteam, Management und Mannschaft passt. Und die Mannschaft ist inzwischen stabiler als früher.
Welchen Anteil hat der Trainer Jürgen Kramny an diesem Prozess?
Einen großen. Er ist sehr strukturiert, tritt entschlossen auf und ist klar in der Ansage.
Das heißt, er bleibt auf jeden Fall im Amt, wenn der Klassenverbleib gelingt?
Diese Debatte werden wir erst gar nicht beginnen. Schließlich sind wir überall auf der Suche nach Kontinuität.
Wie wichtig ist jetzt die Partie bei dem Aufsteiger aus Darmstadt?
Sehr, sehr wichtig, weil das auch ein Mitkonkurrent im Abstiegskampf ist. Aber die Darmstädter haben in dieser Runde schon jetzt brutal viel geleistet.
Vor allem in Anbetracht ihres kleinen Etats. Beweist das, dass Geld im Fußball am Ende doch nicht alles ist?
Geld ist keine Garantie, aber um sich in der Liga zu etablieren, benötigt man Geld. Für alle Clubs gilt mittel- und langfristig: nicht jedes teure Team ist erfolgreich, aber jedes erfolgreiche Team ist auf Dauer teuer.