Vor dem zweiten Europa-League-Gruppenspiel heute Abend in Molde wünscht sich der VfB-Torwart Sven Ulreich eine bessere Stimmung im Umfeld. „Man sollte mehr Vertrauen haben“, sagt er im StZ-Interview.

Molde/Stuttgart – Nach dem Sieg gegen Nürnberg will der VfB im zweiten Europa-League-Gruppenspiel am Donnerstag in Molde nachlegen und dafür sorgen, dass die Stimmung im Umfeld wieder ruhiger wird. „Man sollte mehr Vertrauen in den Verein haben“, sagt der Torhüter Sven Ulreich.

 


Herr Ulreich, der VfB Stuttgart spielt in der Europa League – und wieder einmal scheint es kaum einen zu interessieren. Ist das nicht sehr frustrierend?
Für uns in der Mannschaft ist das kein Thema. Wir freuen uns sehr auf diese Spiele auf der internationalen Bühne. Wir haben so lange dafür gearbeitet und uns die gesamte letzte Saison aufgeopfert, um in der Europa League dabei zu sein. Ich finde, das ist ein richtig attraktiver Wettbewerb geworden. Eigentlich sollten doch alle froh sein, dass wir da dabei sind.

Aber ist nicht das Spiel am Sonntag gegen Leverkusen wichtiger als das in Molde?
Die Bundesliga ist unser tägliches Brot. Dort haben wir etwas gutzumachen. Aber auch die Europa League hat für uns eine große Bedeutung. Deshalb wollen wir in Molde unbedingt drei Punkte holen und möglichst lange im Wettbewerb bleiben. Vielleicht wird die Europa League von unserer Fans ja auch besser angenommen, wenn wir wieder erfolgreicher sind.

Wie empfinden Sie momentan die Stimmungslage rund um Ihren Verein?
Es ist in Stuttgart schon immer so gewesen, dass es schnell unruhig wird, wenn es nicht läuft. Wir alle haben uns einen anderen Saisonstart vorgestellt. Und wir wissen, dass wir nicht so auftreten dürfen wie in München oder gegen Hoffenheim. Aber ich denke, die Lage wurde zum Teil auch unnötig dramatisiert. Man sollte mehr Vertrauen in den Verein haben. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass wir eine richtig gute Mannschaft haben, dass der Charakter stimmt und der Einsatzwille vorhanden ist.

Nach dem 0:3 gegen Hoffenheim haben die VfB-Fans allerdings skandiert: „Außer Ulreich könnt Ihr alle gehen.“ Wie ist das bei Ihnen und den Kollegen angekommen?
Kritik ist bis zu einem gewissen Grad in Ordnung. Es geht aber nicht um mich, und es geht auch nicht darum, was die Fans rufen. Entscheidend ist, dass wir als Mannschaft Erfolg haben. Sie können ganz sicher sein: jeder gibt in den Trainingseinheiten hundert Prozent, jeder will spielen und gewinnen. Da lässt sich niemand hängen.

Warum läuft es dann bislang so schleppend?
Wir sind in den ersten Spielen nicht immer als Mannschaft aufgetreten. Jeder hatte sein Päckchen zu tragen und vielleicht zu viel über sich selbst nachgedacht. Dann fehlen zehn Prozent – und wenn das bei mehreren Spielern der Fall ist, wird es schwierig. Jetzt sind wir hoffentlich wieder auf dem richtigen Weg.

Was macht Sie so zuversichtlich?
Wir haben uns vor dem Nürnberg-Spiel im Mannschaftskreis zusammengesetzt und miteinander Klartext gesprochen. Das war ein wichtiges Gespräch. Jeder weiß, dass wir nur zusammen erfolgreich sein können, dass sich jeder in den Dienst der Mannschaft stellen muss.

Müsste das nicht selbstverständlich sein?
Schon, aber wir sind nach dem unglücklichen Auftakt gegen Wolfsburg in eine Abwärtsspirale geraten, die schwer zu stoppen ist. Da gerät man auch ins Grübeln. Da denkt jeder darüber nach, warum es nicht läuft und was er falsch macht. Das hat viel mit dem Kopf zu tun. Und da kommt man nur mit Erfolgserlebnissen raus. Der Sieg in Nürnberg war der erste kleine Schritt in die richtige Richtung.

Sehen Sie Parallelen zur Situation vor zwei Jahren, als die Mannschaft nach einem verpatzten Auftakt immer tiefer in den Schlamassel geraten ist?
Wir wissen, dass wir auf der Hut sein müssen. Trotzdem haben wir jetzt eine andere Situation als vor zwei Jahren. Da gab es viele Probleme. Jetzt verstehen wir uns alle super, es gibt keine Grüppchenbildung mehr, der Teamgeist ist intakt. Ich habe Vertrauen in die Mannschaft und weiß, welches Potenzial in ihr steckt.

Wie groß ist Ihr Vertrauen in den Trainer?
Genau so groß. Natürlich hat auch er sich einen anderen Saisonstart gewünscht. Mit den Negativerlebnissen mussten wir uns alle erst einmal zurechtfinden.

Hat sich Bruno Labbadia zuletzt verändert?
Er war in der Ansprache sehr direkt und hat klar gesagt, was wir falsch gemacht haben. Das Trainerteam leistet viel, damit wir wieder gemeinsam nach oben kommen.

In Raphael Holzhauser hat zuletzt erstmals seit längerer Zeit wieder ein Jungprofi spielen dürfen. Wie haben Sie die jüngsten Diskussionen um die Nachwuchsarbeit beim VfB wahrgenommen?
Die Jungen werden bei uns behutsam aufgebaut, und ich denke, das ist der richtige Weg. Ich habe es am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, im Haifischbecken Bundesliga mitzuschwimmen. Man muss den Spielern daher Zeit geben, sich an das Tempo , die Härte und den Druck zu gewöhnen.

Sind die Leute, die sich mehr junge Spieler beim VfB Stuttgart wünschen, möglicherweise zu ungeduldig?
Es ist das Ziel des Vereins, den Nachwuchs heranzuführen, und das wollen auch die Fans. Aber man muss auch Geduld haben. Ich habe das Gefühl, dass mittlerweile immer nach noch jüngeren Spielern gerufen wird und du mit 24 oder 25 schon zum alten Eisen gehörst – selbst als Torhüter. Früher saß man in diesem Alter noch brav auf der Ersatzbank und hat den 30-, 32-Jährigen zugeschaut.

Woran liegt diese Entwicklung?
Das ist der Zeitgeist. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das alles so richtig ist. Ein bisschen Erfahrung braucht man auch im Fußball. Man muss vorsichtig sein und darf nicht nur auf den Jugendwahn setzen. Sonst könnte man ja auch gleich mit der A-Jugend spielen.