Nach Mönchengladbach, Augsburg und Hertha soll Jos Luhukay nun auch den VfB Stuttgart zurück in die erste Liga führen. Der 53 Jahre alte Niederländer geht die große Aufgabe gelassen an. Ein Porträt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stutgart - Der Kleinste sitzt hinten! Diesem ungeschriebenen Gesetz aller Fahrgemeinschaften fühlt sich auch Jos Luhukay (1,68 Meter) verpflichtet. Der neue Trainer des VfB erlebt Stuttgart deshalb gerade häufig aus der Rückbankperspektive, wenn er zusammen mit den Vereinssprechern Oliver Schraft und Tobias Herwerth seine diversen Antrittsbesuche absolviert oder nach einer passenden Wohnung schaut. „Hier gibt es viel Verkehr“, so lautet eine der ersten Stuttgarter Erkenntnisse des Neubürgers Luhukay.

 

Doch auch vom 53-Jährigen hat man nach einer Woche beim VfB ein erstes Bild bekommen. Jos Luhukay will als Teamspieler wahrgenommen werden. Nur keine Sonderbehandlung, lautet eine seiner Devisen, was natürlich nicht allein durch die Einhaltung des Fahrgemeinschaftsgesetzes unterstrichen wird. „Ich bin kein Selbstdarsteller, ich bin ganz normal“, sagt er beim Kennlerngespräch mit Journalisten im Stuttgarter Pressehaus.

Extravagant wirkt der Niederländer wirklich nicht. Er trägt eine dunkle Jeans, ein hellblaues Hemd, bequeme Halbschuhe. Mit dem großflächigen Fünftageschnurrbart steht er sich selbst aber zumindest ein Markenzeichen zu. Um das Thema Optik dann auch abzuschließen, sagt Jos Luhukay: „Einen Anzug werde ich an den Spieltagen sicher nicht tragen. Wir sind doch nicht in der Champions League, sondern in der zweiten Liga.“ Dieser Hinweis hat für Jos Luhukay eine enorme Bedeutung. „Jeder im Verein muss den Hebel umlegen, die zweite Liga mental annehmen und sich mit unserer Aufgabe identifizieren“, sagt er ganz ruhig und gelassen. Zu einer Außenwirkung meint er: „Ich kann auch anders.“

Der VfB-Beweis, handlungsfähig zu sein

Davon kann man sich einen Tag später überzeugen. In seiner Antrittspressekonferenz im überfüllten, nach dem letzten VfB-Meisterjahr benannten, Raum „2007“ ist der neuen Trainer immer noch gelassen, klingt jetzt aber auch sehr kämpferisch: „Die kommende Saison wird kein Selbstläufer“, sagt er mit Nachdruck. Die entsprechenden Erfahrungen hat er in Mönchengladbach, Augsburg und in Berlin gemacht, bei drei Vereinen, die er allesamt aus der zweiten in die erste Liga geführt hat. Von jetzt an zählt für ihn nur noch ein sportliches Ziel. „Den Stuttgarter Betriebsunfall“, wie er den Abstieg konsequent nennt, im ersten Versuch zu beheben.

Auf dem Podium neben Luhukay sitzt Jochen Röttgermann. Nur der Marketing-Chef und Finanzmann Stefan Heim sind aus dem VfB-Abstiegsvorstand übrig geblieben. Röttgermann macht in diesem Moment einen zufriedenen Eindruck. Der Aufstiegsexperte Luhukay ist schließlich so etwas wie der personifizierte Befreiungsschlag für die durch den Rücktritt des Präsidenten Bernd Wahler und die Entlassung von Sportboss Robin Dutt stark dezimierte Vereinsführung. „Die Verpflichtung dieses Trainers zeigt, dass wir handlungsfähig sind“, sagt Jochen Röttgermann.

Weil der VfB noch keinen neuen Sportvorstand präsentiert hat und bis zur Mitgliederversammlung im Oktober auch ohne Präsidenten auskommen muss, konzentrieren sich alle Stuttgarter Aufstiegshoffnungen im Moment auf Jos Luhukay. Das wird bei den ersten öffentlichen Trainingseinheiten deutlich. Die Fans suchen die Nähe zum Trainer, wollen Autogramme, machen Fotos. Luhukay freut über die Zuneigung sichtlich, spricht von einer tollen Unterstützung, sagt aber auch vorsichtshalber: „Allein werde ich den Aufstieg nicht schaffen.“

Luhukay überlässt die tägliche Arbeit nicht den Assistenten

Jos Luhukay ist kein beobachtender Trainer, er überlässt die tägliche Arbeit nicht wie viele seiner Kollegen den Assistenten, er leitet die Übungseinheiten selbst, redet viel mit den Spielern. Ihm ist anzusehen, dass er mit Spaß bei der Sache ist, dass ihm der Fußball gefehlt hat, aber auch, dass ihm die fünfzehnmonatige Pause gutgetan hat. Vor seiner Entlassung bei Hertha am 5. Februar 2015, so heißt es, habe er ausgelaugt und dünnhäutig gewirkt.

Stefan Hermanns hat den Werdegang von Jos Luhukay bei der Hertha genau verfolgt. Der Fußballreporter vom „Tagesspiegel“ in Berlin hält ihn für einen kompetenten Trainer, der taktisch etwas zu bieten habe. „Er ist auch sehr offen und kommunikativ“, sagt der Journalist und erinnert daran, dass Luhukay im Sommer 2012 zu einem Verein kam, der nach der verlorenen Relegation gegen Fortuna Düsseldorf Auflösungserscheinungen zeigte. Der Mann aus Venlo an der niederländisch-deutschen Grenze schwor die Hertha und ihre Anhänger auf ein gemeinsames Ziel ein und war schnell erfolgreich. Im Oktober 2012 kündigte Luhukay an, dass seine Mannschaft in dieser Saison kaum noch zu schlagen sei – was sich bewahrheiten sollte. Eine Aussage, die ihm eine hohe Glaubwürdigkeit verlieh.

Der schnelle Erfolg bei Hertha BSC

Dass eine solche Ankündigung aber auch in die ganz andere Richtung gehen kann, diese Erfahrung hat der VfB mit dem Trainer Alexander Zorniger in der vergangenen Spielzeit gemacht. Zornigers frühe These von einem künftig nur noch ganz schwer zu schlagenden VfB, stellte sich als realitätsfremd heraus. Als sehr realistisch wird dagegen Jos Luhukay beschrieben.

„Der richtige Mann für den VfB“, so urteilt Jens Todt, der als ehemaliger Stuttgarter Spieler und als Sportdirektor des Karlsruher SC die Entwicklung beim Ligakonkurrenten interessiert verfolgt. Vereinzelt sind aber auch kritische Stimmen bei der Beurteilung von Jos Luhukay zu hören. Er habe Lieblingsspieler, an denen es auch nach schwachen Leistungen für andere im Kader kein Vorbeikommen gebe, heißt es aus Beraterkreisen. Das habe Luhukay teilweise angreifbar gemacht, weil die Aufstellungen nicht immer dem von ihm propagierten Leistungsgedanken entsprochen habe. Auch seine Spielweise, so Kritiker, sei oftmals nicht besonders sehenswert.

Luhukays Eltern sterben früh, er selbst entgeht mit 26 Jahren nur knapp dem Tod

Taktisch will sich Jos Luhukay noch nicht in die Karten schauen lassen. Sein Spielsystem lässt sich vielleicht am besten so charakterisieren: wenn möglich offensiv. Aber es kann immer was dazwischenkommen. „Der Gegner oder verletzte Spieler“, sagt er und glaubt: „In manchen Spielen ist sicher auch Geduld gefragt.“ Er verweist auf manche zähe Partie in der Gruppenphase der Europameisterschaft, wenn sich der Favorit mit einem extrem defensiven Gegner schwertut. „Wir sind auch Favorit, gegen uns will in der zweiten Liga jeder bestehen und wird alles geben“, sagt Luhukay zur Ausgangslage, der ruhig begegnet werden soll. Dass die Geduld in Stuttgart aber auch Grenzen hat, ist ihm bewusst. Der VfB-Aufstieg muss sofort umgesetzt werden. „Das ist mein einziges Ziel“, sagt er. Man merkt ihm den Druck nicht an, den diese klare Aufgabenstellung beinhaltet.

Jos Luhukay kommt 1963 zur Welt. Seine Mutter ist Holländerin, der Vater stammt von den heute zu Indonesien gehörenden Molukken. Der Vater flüchtet in die Niederlande, nachdem die Inselgruppe im Südpazifik den Status als niederländische Kolonie verloren hatte. Dort lernt er seine künftige Ehefrau kennen. Die Eltern sterben früh. Jos Luhukay selbst entgeht mit 26 Jahren nur knapp dem Tod. Eigentlich hätte er in dem Flugzeug der Surinam Airways sitzen sollen, das 1989 abgestürzt ist. Sein Verein VVV Venlo gab ihm damals aber nicht die Freigabe für eine Gastspielreise der Kleurrijk Elftal (bunte Mannschaft), in der niederländischen Profis mit Überseewurzeln zusammenspielten. Vielleicht hat dieses Ereignis auch dazu geführt, dass Jos Luhukay gut unterscheiden kann, was wichtig ist und was nicht. „Gelassen war ich aber auch schon als Kind“, sagt er und lächelt mal wieder entspannt.