Fast zehn Monate nach dem mysteriösen Vierfachmord in den französischen Alpen nimmt die britische Polizei am Montag den Bruder eines der Opfer fest. Die beiden Männer waren wohl zerstritten.

Paris/London – Fast zehn Monate nach dem mysteriösen Vierfachmord in den französischen Alpen ist die Polizei offenbar einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Am Montag haben britische Kriminalbeamte in der nahe London gelegenen Grafschaft Surrey den älteren Bruder eines der Opfer verhaftet: den 54-jährigen Zaid al-Hilli. Er sei „verdächtig, ein Mordkomplott geschmiedet zu haben“, teilte die britische Polizei mit. Nach Angaben der französischen Staatsanwaltschaft hat die britische Polizei am Montag außerdem einen Golfplatz durchsucht, den der Verdächtige geleitet hat. Man habe „genügend belastendes Material sichergestellt, um Zaid al-Hilli in Untersuchungshaft zu nehmen“, sagte der Staatsanwalt von Annecy.

 

Ein paar Tage nach der Bluttat war Zaid al-Hilli erstmals ins Visier der Fahnder geraten. Zu den wenigen Gewissheiten, von denen sie nach den tödlichen Schüssen auf den irakisch-stämmigen Briten Saad al-Hilli (50), seine Ehefrau (47), deren Mutter (74) sowie den zufällig am Tatort vorbeikommenden französischen Radfahrer (45) ausgehen durften, zählte nämlich: der Bruder des Familienvaters hatte ein Motiv.

Wenigstens das ist sicher: der Verdächtige hat ein Motiv

Ziad und Saad al-Hilli waren zerstritten. Erbschaftskonflikte hatten die Brüder entzweit. Der Vater hatte den beiden ein Vermögen von mehreren Millionen Euro hinterlassen. Nach dem während des Sommerurlaubs der Familie al-Hilli auf einer Waldlichtung nahe Annecy verübten Überfall entdeckten französische Untersuchungsrichter auf einem Schweizer Bankkonto des Opfers eine Million Euro. Zur Rede gestellt, bestritt der jüngere Bruder freilich, mit dem Verbrechen etwas zu tun zu haben. Und die zu ihm führende Fährte war ja auch nicht die einzige, der die Verfolger nachzugehen hatten.

Da gab es auch noch die Hypothese, die Ermordung des Vaters und seiner Angehörigen könne etwas mit dessen Beruf zu tun gehabt haben. Der 1971 auf der Flucht vor dem damaligen irakischen Diktator Saddam Hussein nach Britannien ausgewanderte al-Hilli war mit Luftfahrtprojekten und dem Bau von Mikrosatelliten befasst. Anders als vermutet, war der Ingenieur allerdings nicht mit heiklen, besonderer Geheimhaltung unterliegenden Projekten befasst. Eine weitere Spur führte in den Irak. Die dort angestellten Recherchen förderten nichts Brauchbares zu Tage. Und so sah es zuletzt so aus, als sollte sich die Polizei damit begnügen müssen, den Tatablauf penibel rekonstruiert zu haben.

Das Verbrechen löste europaweit Entsetzen aus

Am Nachmittag des 5. September war Saad al-Hilli mit Ehefrau, Schwiegermutter sowie den beiden Töchtern Zainab (7) und Zehab (4) demnach im BMW-Kombi der Familie von der Annecy und Chevaline verbindenden Straße abgebogen und hatte den Wagen auf einer Lichtung geparkt. Als der Täter das Feuer eröffnete, standen der Vater und Zainab vor dem Wagen. Der Rest der Familie saß im Innern. Der Schütze eröffnete das Feuer, tötete zunächst den Fahrradfahrer. Mit einer Kugel im Unterleib konnte sich Saad al-Hilli noch hinters Steuer setzen, schaffte es aber nicht mehr, davonzufahren. Während er und die beiden Frauen durch gezielte Kopfschüsse umgebracht wurden, überlebten die Kinder das Massaker auf wundersame Weise. Zainab kam mit einem Schuss in die Schulter und einem schweren Schädeltrauma davon, das ihr der Täter mit dem Kolben seiner Waffe beigebracht hatte, die kleine Schwester blieb unversehrt. Polizisten fanden sie acht Stunden nach dem Überfall unter dem Rock der toten Mutter, wo das Mädchen Schutz gesucht hatte.