Die CDU hat 2009 alle zehn Direktmandate in der Region Stuttgart gewonnen. Ob sie aus dieser Wahl ähnlich erfolgreich hervorgeht, ist allerdings fraglich.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Auch die Union kann keine Geister beschwören.“ Das hat Stuttgarts legendärer Altoberbürgermeister Manfred Rommel einst seiner Partei ins Stammbuch geschrieben – und damit auf die unwägbaren Entscheidungen des Souveräns, des Volkes, verwiesen. Das ist ein paar Jahre her, doch der Satz passt zur Ausgangslage vor der Bundestagswahl in der Region Stuttgart. Denn die insgesamt zehn Wahlkreise des Ballungsraums am Neckar, die im Norden nach Heilbronn und im Osten gen Ostalbkreis ausfransen, sind zwar fest in christdemokratischer Hand wie in fast ganz Baden-Württemberg. 2009 heimste die CDU auch in der Region alle Direktmandate ein. Ob diese starke Position in der Kernregion des Landes aber verteidigt werden kann, muss sich erst weisen – gerade auch nach dem heftigen politischen Erdbeben bei der Landtagswahl 2011.

 

„Unser Ziel ist es, wieder alle Wahlkreise zu gewinnen“, sagt Matthias Pröfrock, der die Fäden der CDU zwischen Schönbuch, Schwäbischem Wald und Schwäbischer Alb zusammenhält. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Zumindest vor den Toren Stuttgarts, wo es abseits der größeren Städte sehr rasch ländlich wird und ein konservativer Geist weht, gehen die Unionsbewerber durchweg als klare Favoriten an den Start – vom Ex-Turn-Weltmeister Eberhard Gienger in Neckar-Zaber bis hin zu Michael Hennrich in Nürtingen.

In Stuttgart sind die CDU-Kandidaten nicht auf Sieg abonniert

Nur in der Landeshauptstadt haben die CDU-Kandidaten Karin Maag und Stefan Kaufmann keineswegs einen Sieg abonniert. Besonders spannend dürfte es im Wahlkreis Stuttgart I werden, wo der Berlin-Import Cem Özdemir als Bundesvorsitzender der Grünen im zweiten Anlauf das Direktmandat anpeilt. Wo anders als in der Schwabenmetropole, wo der Protest gegen Stuttgart 21 das grüne Urgestein Fritz Kuhn an die Rathausspitze gespült und die Grünen zur Nummer eins im Gemeinderat gemacht hat, müsste das zu schaffen sein? Es wäre der erste derartige Erfolg eines Grünen im ganzen Land. Vor vier Jahren war Özdemir im selben Duell gescheitert. Doch die Erwartungen auch in den eigenen Reihen sind jetzt noch höher, nicht zuletzt durch den Pakt mit der SPD, sich wechselseitig zu unterstützen. Von Leihstimmen der Grünen soll dafür im Wahlkreis II wiederum der sozialdemokratische Neuling Nicolas Schäfstoß profitieren – just in jenen früheren Arbeiterbezirken der Neckarvororte, in denen Ute Kumpf bis Mitte der 2000er gleich drei Mal in Folge reüssierte, und zwar aus eigener Kraft, ganz ohne Absprache.

Ute Kumpf, die lange Jahre mit die Geschäfte der SPD-Bundestagsfraktion führte, hat als (vorerst) Letzte bei einer Bundestagswahl die rote Fahne hochgehalten in der Region. Dabei war speziell Stuttgart in seinen industriell geprägten Quartieren stets ein gutes Pflaster für Sozialdemokraten. Der Eisenbahngewerkschafter Ernst Haar, der Bundestagsvizepräsident Erwin Schoettle oder auch Peter Conradi, der sich durch den Stuttgart-21-Streit von seiner Partei entfremdet hat, schafften mehrfach den Durchmarsch nach Berlin. Draußen in der Region, in einem Milieu des volksstämmigen Patriotismus, wo vielfach das Gebot von Fleiß und Sparsamkeit und Gottgefälligkeit herrscht, taten sich die Genossen hingegen schwerer. Dass in günstigen Momenten nichts unmöglich ist, haben aber manche auch bewiesen: das politische Talent Hans Martin Bury aus Bietigheim, der es in großkoalitionären Zeiten zum Staatsminister brachte, Siegmar Mosdorf, einst Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister, oder auch der frühe Bundesforschungsminister und spätere Verkehrsminister Volker Hauff aus Esslingen. Nur: das ist 15, 20 Jahre her.

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Die SPD tut sich schwer, ihre Stammwähler zu mobilisieren

Und heute? In Böblingen hat die SPD Joachim Rücker ins Rennen gegen den „Platzhirsch“ und CDU-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, geschickt – doch selbst dem populären früheren Sindelfinger Rathauschef und einstigen Sonderbeauftragten der UN für das Kosovo werden kaum Chancen auf das Direktmandat eingeräumt. Dies auch deshalb, weil die Genossen zuletzt in der Region schwer geschwächelt haben. 2009 blieben sie bei der Bundestagswahl sogar unter der 20-Prozent-Marke. „Uns ist es nicht gelungen, die Stammwähler zu mobilisieren“, lautete die Analyse von SPD-Regionalchef Thomas Leipnitz. Das, immerhin, soll diesmal anders werden, zumal das schmähliche Abschneiden im Kontrast dazu stand und steht, dass in manchem Rathaus der Region die SPD den Oberbürgermeister stellt: in Ostfildern und Schorndorf etwa, in Bietigheim-Bissingen und Kirchheim/Teck.

Haucht die Region den Liberalen neues Leben ein?

Und dass die Gegend rund um Stuttgart keineswegs so schwarz ist, wie es auf den ersten Blick scheint, zeigt sich auch am Beispiel der FDP. Der liberale Freigeist passt zu den Schwaben, die kein Wort haben für Untertan und immer wieder gegen die Obrigkeit rebellierten. Nicht ohne Grund also steht die Wiege der Freien Demokratischen Partei in Stuttgart, wo am 18. September 1945 mit dem Kreisverband der DVP ihre Vorläuferorganisation gegründet wurde. Der Anspruch damals: eine „wahre Volkspartei zu sein, ohne in den selbstgerechten und gefährlichen Fehler zu verfallen, alle Menschen umfassen zu wollen“. Diese Gefahr besteht inzwischen gewiss nicht mehr. Und Chronisten müssen schon bis in die 1950er und 1960er Jahre zurück, um jene FDP-Granden aufzuspüren, die den Direkteinzug in den Bundestag schafften – wie Karl Georg Pfleiderer in Waiblingen – oder zumindest regelmäßig über 20 Prozent der Stimmen einheimsten. 2009 jedoch hat sich nach Jahren der Agonie gezeigt, dass die Wähler bei entsprechender politischer Großwetterlage bereit sind, den Liberalen neues Leben einzuhauchen. Zweitstärkste Kraft in etlichen Städten, vor der SPD, vor den Grünen, fünf statt bisher drei Abgeordnete aus der Region im Bundestag – „das ist stark“, hatte der Bundestagsabgeordnete Hartfrid Wolff aus dem Rems-Murr-Kreis staunend konstatiert.

Nach Bayern und angesichts magerer Umfragewerte rechnen selbst die Freien Demokraten nicht damit, dieses Ergebnis zu wiederholen. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb die Region künftig mit großer Wahrscheinlichkeit schwächer in Berlin vertreten sein wird als momentan. Schon in den vergangenen Jahren hat eine der wirtschaftsstärksten Metropolen der Republik in Berlin an Einfluss verloren: anders als früher saß kein Vertreter aus Stuttgart und Umgebung mehr am Kabinettstisch. Doch nun droht auch rein zahlenmäßig weiterer Aderlass: 25 Abgeordnete aus der Region sind aktuell in Berlin aktiv. Das wird nach dem Stand der Dinge diesmal nicht zu erreichen sein – auch weil die Parteien die entsprechenden Bewerber auf den jeweiligen Landeslisten auf Wackelplätze gesetzt oder erst gar nicht abgesichert haben.

Doch nun hat der Souverän das Wort, dem Ex-OB Manfred Rommel stets großen Respekt bezeugte. Wie pflegte er zu sagen? „Die Demokratie misstraut den Regierenden, aber sie vertraut dem Bürger.“