Exklusiv Der Grünen-Parteichef Cem Özdemir erwartet gespannt den Bericht des Bundesrechnungshofes zu Stuttgart 21. Eine weitere Kostenexplosion will er nicht hinnehmen.

Stuttgart - Der Bundesvorsitzende der Grünen und Kandidat im Wahlkreis Stuttgart 1, Cem Özdemir, sieht beim Bahnprojekt Stuttgart 21 noch nicht das letzte Wort gesprochen. Beim Redaktionsbesuch der Stuttgarter Zeitung sagte er, dass die „nächste Zäsur“ der nach der Bundestagswahl erwartete Bericht des Bundesrechnungshofes sei. „Wenn die Zahlen dann sagen, was jetzt schon spekuliert wird, dass die Kosten nämlich immer weiter durch die Decke schießen, dann müssen wir uns zusammensetzen, darüber sprechen und überlegen, wie es weitergehen soll. Alternativlosigkeit ist in der Sache ein schlechtes Argument.“ Özdemir sagte, er sei nicht der Ansicht, dass jemand, der „A“ sage, auch „B“ sagen müsse, wenn sich „B“ als falsch herausstelle. Stuttgart 21 sei ein Projekt, für das man viel Geld ausgebe und wenig erhalte. Özdemir wies darauf hin, dass er als möglicher Bundestagsabgeordneter spreche und nicht im Namen der grün-dominierten Landesregierung in Stuttgart, die auf den SPD-Koalitionspartner Rücksicht nehmen müsse, der Stuttgart 21 haben wolle.

 

Özdemir erinnerte daran, dass es beim Volksentscheid zu Stuttgart 21 um den Landeszuschuss gegangen sei. Im übrigen habe er den Eindruck, dass die Meinung bei der SPD differenziert sei: „Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Sozialdemokraten, dass in der SPD mit der geografischen Distanz zu Stuttgart auch das Verständnis für das Bahnprojekt Stuttgart 21 abnimmt. Viele Genossen wollen die Milliarden lieber für die Elektrifizierung von Bahnstrecken oder barrierefreie Bahnhöfe ausgeben.“ Er habe den Eindruck, dass ein Bundeskanzler Peer Steinbrück „keinen Cent zusätzlich für Stuttgart 21 ausgeben wird“. Özdemir sagte, dass ein grüner Verkehrsminister anders handeln werde als Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), „der nur an den Bau von Umgehungsstraßen in Bayern denkt“.

Bei einer grünen Regierungsbeteiligung im Bund werde man dafür plädieren, den Aufsichtsrat der Bahn „mit mehr bahnpolitischem Sachverstand“ zu besetzen und man werde dann auch den Argumenten der Bahn „kritisch auf den Zahn fühlen“.

Man sei keine „Verbotspartei“, sagt der Grünen-Chef

Die Grünen hatten zuletzt mit sinkenden Umfragewerten – derzeit liegen sie bei zehn bis elf Prozent – zu kämpfen. Özdemir begründete dies mit den Attacken der politischen Gegner, die die Grünen so darstellten, als ob bei ihrer Regierungsbeteiligung „die Wirtschaft auswandert“. Auch sei in der Debatte um den Veggie-Day der falsche Eindruck entstanden, die Grünen sei eine „Verbotspartei“. „Wir wollen niemandem das Schnitzel wegnehmen“, sagte Özdemir. Der Grünen-Chef räumte ein, dass die grüne Partei als „Sender“ von Botschaften gelegentlich Dinge „ungeschickt formuliert“ habe, die beim Empfänger, dem Wähler, dann falsch angekommen seien.

Das „Signal“ des kleinen Parteitages in Bamberg sei es gewesen, sich nach der Umverteilungsdebatte wieder auf die Kernthemen Umwelt und Energiewende zu konzentrieren. Man werde eine „Begrünungsbotschaft“ an die anderen Parteien senden. Dass es in Bayern eine Demonstration des Bauernverbandes gegen die Grünen gegeben hat, die gegen die Massentierhaltung eintreten, sieht Özdemir sogar als Beleg dafür, ein wichtiges Thema angepackt zu haben. Özdemir rechnet trotz der Umfragen damit, dass die Grünen am 22. September ein stärkeres Ergebnis als die 10,7 Prozent von der Wahl 2009 erreichen. „Wir wollen die drittstärkste politische Kraft werden.“ 2009 lagen die Grünen hinter den Liberalen und den Linken.