Der Gottesdienst an Heiligabend kann trotz Sicherheitsbedenken stattfinden. Die Bahn beteuert, man habe niemanden verärgern wollen. Bei der Evangelischen Kirche ist die Erleichterung groß.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Rolle rückwärts kam umgehend: Nachdem am Montag bekannt wurde, dass die Bahn die Weihnachtsandacht an Heiligabend im Hauptbahnhof nicht mehr genehmigt, ruderte der Schienenkonzern am Dienstagvormittag zurück. Der von Posaunenbläsern der Evangelischen Jugend Stuttgart (ejus) umrahmte Gottesdienst kann auch im 65. Jahr stattfinden. „Unsere Überlegung war in keiner Weise von der Frage geprägt: Wie können wir die ärgern?“, sagt Werner Graf, Sprecher der Deutschen Bahn in Stuttgart.

 

Sicherheitsbedenken beim Hausherrn des Hauptbahnhofs hätten zur vorübergehenden Absage des besinnlichen Zusammenseins geführt. Graf verweist auf die sich geänderten Passantenströme im Bonatz-Bau. Weil der Abgang von den Fernbahngleisen zur S-Bahn den Bauarbeiten für Stuttgart  21 zum Opfer gefallen ist, müssen sich Umsteiger ihren Weg durch die Kopfbahnsteighalle suchen. Dies gelte eben auch im Bereich der Gleise 10 bis 16, wo bisher die traditionelle Feier stattgefunden habe. „Wir müssen dafür sorgen, dass Flucht- und Sicherheitswege frei bleiben“, sagt Werner Graf. Daher habe Nikolaus Hebding, Leiter Bahnhofsmanagement Stuttgart, entschieden, keine Veranstaltungen mehr im Bahnhof zuzulassen.

Wenig Reisende am späten Heiligen Abend

Eine Entscheidung und Sichtweise, mit der sich die Evangelische Gesellschaft (eva) als Organisatorin der Andacht nicht abfinden wollte. Eva-Vorsitzender Heinz Gerstlauer und der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig gaben in einem Brief an die Bahn zu bedenken: „Wie Sie selbst vielleicht wissen, ist am Heiligen Abend in aller Regel im und um den Bahnhof nur wenig Publikumsverkehr, so dass Ihre Befürchtung, Reisende könnten nicht zu ihren Zügen gelangen, eher nicht zum Tragen kommt.“ Die beiden Protestanten verweisen auch noch darauf, dass der Gottesdienst in den vergangenen Jahren „sehr diszipliniert“ und unter den wachen Augen des „Sicherheitsdienstes der Bahn ruhig und besonnen“ verlaufen sei.

Das Wort der beiden Gottesmänner hat die Bahn nach einem kurzen Moment der Besinnung zur Umkehr bewogen. Man habe mit Vertretern der evangelischen Kirche einen Ortstermin vereinbart, um eine neue Fläche für die Andacht zu finden, erklärt Werner Graf das weitere Prozedere. „Das Schönste im Leben ist der Kompromiss.“

Außergewöhnliche Akustik des Bonatzbaus

Groß ist die Erleichterung bei Hans Holzwarth, Musikreferent der Evangelischen Jugend Stuttgart und seit 37 Jahren Leiter des Posaunenchors im Hauptbahnhof. Er verweist darauf, dass die Musiker seines Ensembles sich ad hoc im Bahnhof einfinden, „und dafür den Weihnachtsabend im Kreis ihrer Familien verlassen“. Holzwarth weiß bis kurz vor Beginn der Feier nicht, wie viele Musiker mit ihm spielen. Nun freut er sich, einmal mehr an Heiligabend die außergewöhnliche Akustik des Bonatz-Baus genießen zu dürfen.