Der jüngste Neuzugang der Wilhelma ist einmalig in Europas Aquarien und ein echter Hingucker: Die Fetzenseenadel zählt zu der Familie der Röhrenmünder.

Bad Cannstatt - Der jüngste Neuzugang der Wilhelma ist einmalig in Europas Aquarien und ein echter Hingucker: Man muss sehr genau hinschauen, um ihn auszumachen. Selbst dann stellt sich noch die Frage: Was bewegt sich da denn überhaupt im Wasserbecken – Pflanze oder Tier? Das feingliederige Wesen, das in der Strömung zu schweben scheint, ist ein wahrer Meister der Tarnung. Mit krautig aussehenden Fortsätzen an seinem extrem langgestreckten Körper wirkt der Verwandte der Seepferdchen selbst wie eine Wasserpflanze und taucht optisch zwischen den Kriechsprossalgen schnell einmal unter. Das Phänomen, wenn Tiere ihrem Lebensumfeld nach Form und Farbe so ähneln, dass sie vor dem Hintergrund zu verschwinden scheinen, nennt sich Mimese. Es schützt die Tiere vor Fressfeinden.

 

Dabei ist die faszinierende Fetzenseenadel genau genommen selbst ein Raubfisch, weil der etwa 30 Zentimeter lange Haliichthys taeniophorus andere Tiere frisst, allerkleinste Tierchen. Die Fetzenseenadel zählt zu der Familie der Röhrenmünder und saugt im Plankton Kleinkrebse und Schwebegarnelen, die ihr nah genug kommen, ein. Der nadelfeine, mehrere Zentimeter lange Tunnel ihrer pipettenartigen Schnauze entfaltet einen punktuell kräftigen Sog. Sie tragen keine Schuppen, sondern knöcherne Ringe geben ihrem Körper Halt und Schutz, wie bei Seepferdchen.

Im letzten Becken vor dem Ausgang zu sehen

Damit die Strömung sie nicht fortzieht, hakt sich die Fetzenseenadel mit ihrem Greifschwanz in Wasserpflanzen ein. Sie lebt in tropischen Gewässern zwischen Neuguinea und West- bis Nord-Australien in küstennahen Korallenriffen und Seegraswiesen bis in etwa 15 Meter Tiefe. Ihre Farbe variiert zwischen grüngelb in flachem Wasser und rötlich-braun gefleckt in tieferen Zonen. Die neuen Bewohner der Wilhelma sind Nachzuchten aus dem „Aquarium of the Pacific“ in Long Beach (Kalifornien).

Sehr bemerkenswert ist die Arbeitsteilung der Eltern: Das Muttertier legt Eier, die das Vatertier nach der Befruchtung in einer Bruttasche unter dem Schwanz austrägt. Nach fast zwei Wochen schlüpfen die knapp zwei Zentimeter langen Jungtiere in großer Zahl: pro Wurf bis zu 800. Nicht alle kommen durch. Aber wer aufwächst, kann sechs bis acht Jahre alt werden. Das bizarr geformte Tier, das auf Englisch „Ribboned Seadragon“, also gebänderter Seedrachen, heißt, ist in der Wilhelma im letzten Becken vor dem Ausgang des Aquariums zu beobachten. Das Bassin teilen die Fetzenseenadel sich mit zwei weiteren außergewöhnlichen Arten: Schnepfenmesserfischen, die immer in Gruppen senkrecht mit dem Kopf nach unten schwimmen und den bleistiftdünnen Ohrenfleck-Röhrenaalen. Sie bohren sich mit der Schwanzspitze Wohnröhren in den Sandboden, aus denen sie senkrecht herausschauen – mal mehr mal weniger –, die sie aber nie verlassen.