Ministerpräsident Winfried Kretschmann will auch nach der Landtagswahl 2016 noch weiterregieren. Mit dieser Ansage überraschte er Freund und Feind. Bei SPD und CDU ringt man um Fassung, denn man hat ein relativ blasses Spitzenpersonal. Doch ein Wahlerfolg der Grünen ist nicht garantiert.

Stuttgart - Hans-Ulrich Sckerl ist alarmiert. Wachsamkeit gehört zum Betriebsmodus eines parlamentarischen Geschäftsführers: stets auf der Hut sein, Augen und Ohren immer auf den politischen Gegner gerichtet; und als ob das nicht schon genug der Arbeit und der Anspannung wäre, gilt es genauso die eigenen Leute zu hüten wie der Hirte die Lämmer. Auf dass keiner ausschert aus der Reihe. Fisimatenten werden nicht geduldet. Peitschenschwinger und Seelentröster, das ist der Job, den Sckerl zu verrichten hat.

 

Deshalb reagiert der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer nur beim ersten Hinhören etwas merkwürdig, als er auf Winfried Kretschmanns in Brüssel eher beiläufig in die Welt gesetzte Ankündigung angesprochen wird. Auf die Frage, ob er sich denn wie Energiekommissar Günther Oettinger ein Amt auf europäischer Ebene vorstellen könne, hatte der baden-württembergische Ministerpräsident geantwortet, lieber werde er 2016 bei der Landtagswahl erneut antreten und, sofern der Wähler dies wünsche, noch ein wenig weiterregieren.

Dass ein Ministerpräsident zu erkennen gibt, er sei gern Ministerpräsident und wolle dies auch bleiben, mag kaum überraschen. Kretschmann hat Geschmack an seinem Amt gefunden. Das ist das eine. Das andere aber ist, dass es ja in der jüngeren Vergangenheit einige Länderchefs gab – Roland Koch, Ole von Beust, Peter Müller, nicht zuletzt auch Oettinger _ , die umstandslos ihr Ministerpräsidentenamt hinwarfen, um neuen Ufern zuzustreben. Außerdem: so deutlich hat Kretschmann bisher nicht bekundet, dass er sein Projekt „Landesvater“ über die nächste Wahl hinaus fortzusetzen gedenkt.

Nirgends bei den Grünen gibt es eine kritische Stimme

Und was sagt Sckerl, der Fraktionsgeschäftsführer? Dass es „völlig unbestritten“ sei, dass Kretschmann erneut Spitzenkandidat werde, wenn er das wolle und die Gesundheit mitspiele. Es gäbe keinen Anlass, dies infrage zu stellen. Nirgends, wirklich nirgends bei den Grünen gäbe es dazu kritische Stimmen oder auch nur Diskussionen. Sckerl will erkennbar jeden Eindruck verwischen, der Regierungschef habe möglicherweise als Getriebener gehandelt und Fakten schaffen wollen.

Doch in diesem Fall ist Sckerls Misstrauen übertrieben. Sicher, mancher Grüne beäugt nicht ohne Argwohn Kretschmanns in Sprache und Gebaren – wenn auch nicht in den politischen Zielen – christdemokratischen Regierungsstil: das Bodenständige, das Heimatverbundene, das bewusst Christliche, der bürgerliche Habitus. Repräsentativ für die Reaktion der Grünen auf Kretschmanns frohe Botschaft ist indes der Jubelruf von Umweltminister Franz Untersteller: „Ich finde das klasse.“ Nur der Zeitpunkt habe ihn überrascht. Vorsorglich verweist Untersteller auf den neuen US-Außenminister John Kerry, der im 70. Lebensjahr stehe und nicht zögere, demnächst die Welt hauptsächlich vom Flugzeug aus zu betrachten. Kretschmann sei da mit seinen 64 Lenzen relativ jung.

Von den Grünen-Oberbürgermeister ist noch keiner so weit

Tatsächlich liegt das Problem der Grünen woanders. Kretschmanns Ansage provoziert eine Gegenfrage: Wer könnte es denn sonst machen? Es wundert nicht, dass dieser Punkt in den Reihen der CDU Beachtung findet. „Zieht man Kretschmann ab“, sagt der Abgeordnete Bernhard Lasotta mit süffisantem Unterton, „wird es bei den Grünen knapp beim Führungspersonal.“ Gegenwärtig werden keinem der Grünen in Kabinett oder Fraktion vergleichbare Qualitäten zugesprochen, eher noch fällt der Blick auf die Riege der Oberbürgermeister. Doch Boris Palmer in Tübingen polarisiert, Fritz Kuhn beginnt in Stuttgart gerade seine erste Amtszeit. Bleibt Dieter Salomon in Freiburg. Freilich sieht es bei den Christdemokraten nicht besser aus. Für sie gilt: Kretschmann ist der Ministerpräsident, den die CDU gerne hätte. Selbst in den eigenen Reihen gelten weder der Parteichef Thomas Strobl noch der Fraktionschef Peter Hauk als vielversprechende Spitzenkandidaten. Weshalb der Grünen-Abgeordnete Markus Rösler nicht minder genüsslich an Lasotta zurückfunkt, Kretschmanns Bekenntnis sei für die CDU „das Schlimmste, was ihr passieren kann“. Mit dem Bürger Kretschmann hoffen die Grünen noch tiefer ins Bürgertum eindringen zu können, um bei der nächsten Wahl „das hinzuzugewinnen, was die SPD verlieren wird“.

Ach, die SPD. Wie schon in den Jahren der Großen Koalition von 1992 bis 1996 tut sie sich in der Rolle des Juniorpartners schwer. Landeschef Nils Schmid, Vizeministerpräsident wie einst Dieter Spöri, gibt sich gefasst. Entscheidend sei, dass SPD und Grüne bei der nächsten Wahl gemeinsam die Mehrheit verteidigten. „Wer letztlich vorne liegt“, wird man sehen.“ Schmid spricht von den „Sonderfaktoren“ des Frühjahrs 2011, welche die Grünen bei der Landtagswahl begünstigt hätten. Gemeint sind die Atomkatastrophe von Fukushima und der Streit über Stuttgart 21. Aber auch der Faktor Schmid ist für die SPD gegenwärtig nur begrenzt von Vorteil. „Er ist gescheit, kommt aber zu arrogant rüber“, analysiert ein Christdemokrat.

Auch McAllister war populär – und verlor sein Amt

Vorerst zählt nur die Gegenwart. Die Opposition ist gewillt, die Landesregierung in der Schulpolitik anzugreifen. Lehrerabbau kommt nicht gut an, auch wenn die Schülerzahlen sinken und der Etat saniert werden muss. Auch die Energiewende kann der Koalition noch Beschwer bereiten. Und dann wird 2016 sicher eine Rolle spielen, wer zu diesem Zeitpunkt in Berlin regiert. Dass ein beliebter Ministerpräsident keinen Freifahrschein fürs Weiterregieren lösen kann, musste gerade David McAllister in Niedersachsen schmerzlich erfahren.