Autonom fahrende Lastwagen brauchen denkende Bremssysteme. Deshalb ist unter ZF Friedrichshafen und Knorr-Bremse um den schwedischen Bremsenspezialisten Haldex ein Bieterwettkampf entbrannt.

München - Es ist ein erbittertes Ringen um ein technologisches Kernelement autonom fahrender Lkw. Zwei ungleiche Gegner sind dabei angetreten, um den schwedischen Spezialisten für Lkw-Bremsen Haldex zu kaufen: das Münchner Familienunternehmen Knorr-Bremse und der von einer Stiftung kontrollierte Zulieferriese ZF Friedrichshafen. Im Augenblick hat ZF die Nase vorn, nachdem der Haldex-Verwaltungsrat seinen Aktionären empfohlen hat, das Angebot der Friedrichshafener anzunehmen, obwohl Knorr-Bremse mehr Geld bietet. Geschlagen geben sich die Münchner, hinter denen Firmenpatriarch Heinz Hermann Thiele und dessen gut gefüllte Geldschatulle stehen, aber noch lange nicht. „Keine Option ist ausgeschlossen“, heißt es in dessen Umfeld. Primär ist das als Drohung zu verstehen, das eigene Angebot noch einmal aufzustocken.

 

Das Thema prägt auch die Messe IAA Nutzfahrzeuge in Hannover, bei der ZF und Knorr-Bremse am Mittwoch im Halbstundentakt zu Pressekonferenzen eingeladen haben. Derzeit bietet Knorr-Bremse 580 Millionen Euro für die relativ kleine schwedische Technologieperle mit einer halben Milliarde Euro Jahresumsatz und gut 2000 Beschäftigten. ZF glaubt, dass auch 554 Millionen Euro reichen. Die Friedrichshafener haben sogar schon alle Kartellfreigaben für die potenzielle Firmenehe und damit einen wichtigen Trumpf in der Hand.

Knorr-Bremse würde auch Geschäftsanteile abgeben

Knorr-Bremse als Weltmarktführer bei Zug- und Lkw-Bremsen glaubt zwar, die kartellrechtlichen Hürden auch umschiffen zu können. „Wir sind da sehr optimistisch“, behauptet Konzernchef Klaus Deller hartnäckig. Schwarz auf weiß belegen, wie der Konkurrent ZF, kann er das aber nicht. „Wir sind auch zu Zugeständnissen bereit“, betont ein Sprecher von Knorr-Bremse mit Blick auf die Kartellbehörden. Notfalls wollen die Münchner also Geschäftsteile abgeben, um die Schweden an Land zu ziehen. Das hat gute Gründe.

Während ZF noch keine Lkw-Bremsen im Portfolio hat und mit Haldex einen weißen Fleck mit Leben füllen könnte, ist Knorr-Bremse, wie es der Name sagt, bei allem was bremst bereits eine Macht. Bei fast allem. Bei Bremsen für Zugmaschinen kann den Münchnern niemand etwas vormachen. Anders ist das bei Bremsen für Anhänger, wo Haldex stark ist. Autonom fahrende Lastwagen erfordern aber ein denkendes Gesamtsystem über das gesamte Gespann hinweg, erklären Insider. Auch Knorr-Bremse braucht also Haldex.

Welches Potenzial dahinter steckt, wird bei der am Donnerstag in Hannover beginnenden IAA Nutzfahrzeuge deutlich werden, wo autonom fahrende Lkw im Zentrum stehen. Die Zukunft kommt rasch, sagen Unternehmensberater von McKinsey in einer Studie voraus. Jedes dritte in Europa verkaufte Nutzfahrzeug wird demnach schon 2025 in bestimmten Fahrsituationen wie auf der Autobahn vollautonom fahren können. „Damit verändern sich Stück für Stück die Spielregeln der Branche“, erklärt McKinsey-Experte Matthias Kässer. Heute machten Brummifahrer noch große Teile der Gesamtkosten von Nutzfahrzeugen aus. Bei schweren Lkw liege der Anteil zwischen 30 und 40 Prozent, bei leichten Lieferfahrzeugen sogar um die 60 Prozent. Selbstfahrende Nutzfahrzeuge könnten diese Kostenanteile jeweils halbieren, bei gleichzeitig sinkenden Standzeiten und höherer Auslastung. Weltweit haben die McKinsey-Experten daraus für die Logistik ein Sparpotenzial von jährlich bis zu 100 Milliarden Euro errechnet.

Amerikanisch-belgische Wabco ist ein großer Wettbewerber

Das erklärt, warum Haldex so begehrt ist. Autonom fahrende Lkw brauchen zwingend denkende Bremssysteme und diese Technologie ist rar. Neben Knorr-Bremse und Haldex gilt nur noch die amerikanisch-belgische Wabco als großer Wettbewerber auf diesem Gebiet oder eben ZF, falls die Friedrichshafener Haldex kaufen können.

Wohin die Reise geht, weiß man Ende September. Am 26. des Monats will Knorr-Bremse ein endgültiges Angebot vorlegen. Es wäre ein guter Zeitpunkt die Offerte nochmals aufzustocken, weil sich viele Aktionäre bei Übernahmeangeboten erfahrungsgemäß erst am Ende entscheiden. Vier Tage später läuft das schlechter dotierte ZF-Angebot aus. Gut 22 Prozent haben die Friedrichshafener bereits an Haldex-Anteilen eingesammelt. Knorr-Bremse kommt etwa auf halb so viele. Am Ende könnte eine Situation entstehen, wo zwei große Aktionäre sich gegenseitig blockieren. Davon will derzeit aber noch keiner der beiden Rivalen etwas wissen. Beide spielen voll auf Sieg.