Immer mehr Kreative ziehen aus der Stuttgarter Innenstadt in den einstigen Industrie-Stadtteil Feuerbach. Das Ende des Filmhauses zeigt, wie schwer es die Kultur in der City hat. In Feuerbach entstehen dagegen gleich zwei neue Kultur-Spielwiesen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Will man ein kreatives Projekt vorantreiben, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man kündigt das Vorhaben mit viel Getöse an. Oder man verfährt getreu der schwäbischen Weisheit „nicht schwätzen, sondern schaffen“. Beide Wege sind derzeit in Feuerbach zu bestaunen. Während das Künstlerdorf „Werk 8“ auf dem ehemaligen Gelände der Firma Behr groß angekündigt wurde, sich mittlerweile aber etwas verzögert, sind die Kreativen als Untermieter der Firma Karle Recycling beinahe heimlich, still und leise eingezogen. Unter ihnen Wolfgang Seitz, der an der Friedrich-Scholer-Straße 13/1 seine Kunsthalle Feuerbach eröffnet hat.

 

Sevil Özlük von der Agentur PDT spricht für das Projekt Werk 8, bei dem ein türkischer Investor die ehemalige Behr-Produktionsstätte in Raum für Kreative umwandeln will. „Die Stadt muss dem Strukturwandel Rechnung tragen. Der Schutz eines Industriegebiets ist fragwürdig in Zeiten, in denen Kreative händeringend nach Flächen suchen“, so Özlük. Hintergrund: Für die kreative Bespielung des Areals müsste das Nutzungsrecht geändert werden. Der Bebauungsplan sieht eine industrielle Nutzung des Gebiets vor. Teile des Gemeinderats stehen der Umwandlung skeptisch gegenüber aus Angst, künftig nicht mehr genügend Raum für das produzierende Gewerbe zu haben.

Die Bespielung des Behr-Geländes verzögert sich

Die Folge: Bereits im September hätten auf dem Behr-Gelände die Künstler in Scharen einziehen sollen, dazu wollte man eine Halle mit fast 2000 Quadratmetern Fläche als Veranstaltungsort nutzen. Mittlerweile soll der Großteil der Kreativen erst Ende Dezember einziehen, aus der Veranstaltungsstätte soll nun doch eine größere Atelier- oder Ausstellungsfläche werden. Sevil Özlük hofft, dass die Politik der Nutzungsänderung zustimmt. „Flächen in dieser Größe werden von der Industrie nicht mehr nachgefragt.“

Die Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart sieht stattdessen einen gesteigerten Bedarf an Flächen für Kreative. „Wir hatten in den vergangenen fünf Jahren fast zehn Prozent Wachstum in der Kreativbranche“, sagt Ines Aufrecht, die Leiterin der städtischen Wirtschaftsförderung. „Eine gewisse kulturelle Nutzung des Areals können wir uns durchaus vorstellen.“ Der Bezirksbeirat von Feuerbach scheint das ähnlich zu sehen und hat sich in der vergangenen Woche mit knapper Mehrheit für das Projekt Werk 8 ausgesprochen. Jetzt liegt die Entscheidung wieder beim Gemeinderat.

Einen Schritt weiter als Sevil Özlük ist Stephan Karle von der gleichnamigen Recycling-Firma. Karle kennt sich aus mit kreativer Zwischennutzung. Seit neun Jahren steht er hinter dem erfolgreichen Modell der Wagenhallen am Nordbahnhof, „nicht als Betreiber im eigentlichen Sinne, aber als politischer Gummipuffer“, so Stephan Karle. „Ich habe von der Kulturarbeit inhaltlich keine Ahnung, dafür bin ich ganz gut im Organisieren“, sagt Karle.

Auf dem Karle-Areal tummeln sich 30 Kreative

Nachdem die Firma, die von Stephan Karle in dritter Generation geführt wird, am Nordbahnhof Stuttgart 21 weichen musste, hat er das Areal in Feuerbach als neue Heimat des Unternehmens gekauft. „Auf dem Gelände befinden sich einige Gebäude, die wir derzeit nicht benötigen“, so Karle. „Einen Teil der Gebäude haben wir für Existenzgründer hergerichtet und sie auf zehn Jahre untervermietet“, erklärt Karle. „Da es eine zeitlich begrenzte Nutzung ist, gehen der Stadt auch keine Industrieflächen verloren“, so Karle weiter.

Neben Wolfgang Seitz und seiner Kunsthalle Feuerbach tummeln sich bei Karle mittlerweile rund 30 Gründer. Fotograf Lutz Schelhorn hat hier genauso sein Atelier wie die Künstlerin Susanna Messerschmidt, dazu findet sich hier eine Kaffeerösterei, ein Tonstudio und ein Start-up, das sich auf Umweltmanagement spezialisiert hat. Für Wolfgang Seitz, der in den 90er Jahren auf dem Südmilch-Areal den „Kotzenden Engel“ und zuletzt die Galerie Eigenart am Nordbahnhof betrieben hat, zeichnet sich dieser Teil von Feuerbach durch eine ganz eigene Poesie aus. „Die Industriefläche strahlt herüber, die Züge rattern vorbei. Bei der Eröffnung haben die Gäste immer wieder gesagt, das Areal fühle sich wie Paris, Berlin oder New York an.“

Laut Seitz werde die Kultur in Stuttgart immer weiter von der City in die Peripherie verdrängt. Aktuelles Beispiel sei das Ende des Filmhauses. Die dortigen Kreativen stehen samt Filmbüro und Rocker 33 ab Ende Januar auf der Straße. Mit der Kulturniederlassung Südwest, die von heute an bis September 2014 die Türlenstraße kreativ zwischennutzen wird, geht zwar auch in der Innenstadt wieder eine Off-Location an den Start (siehe nebenstehender Artikel). Ansonsten scheint Feuerbach aber derzeit der City in Sachen Kreativität den Rang abzulaufen. Ganz egal, auf welche Art man das eigene Projekt vorantreibt.