Die geschützte Zauneidechse brütet vielleicht am Ehrlichweg. Dumm nur, dass die Stadt dort eine Unterkunft für 321 Asylsuchende bauen will. Der ursprüngliche Zeitplan ist nicht mehr zu halten.

Fasanenhof - Es ist aber auch ein paradiesisches Stückchen Erde. Zerbröselte Teerklumpen liegen zwischen dem festgefahrenen Schotter, die ersten heißen Tage des Jahres haben Risse in die ausgetrockneten Schlammpfützen gezogen, zersägte Bäume liegen im hohen Gras und der Löwenzahn sprießt neben rot angepinselten Holzpflöcken. Hier – auf einer Brache am Ehrlichweg, die mal ein Schulhof war, ehe die halb verfallenen Pavillons vor zwei Jahren abgerissen wurden, würde sich die Zauneidechse wohl fühlen, und das passenderweise auch noch tatsächlich von einem Zaun umgeben. Doch ist eigentlich gar nicht so recht klar, ob die Echse dies auch wirklich tut. Also sich hier wohl zu fühlen. Denn ein Tierökologe hat die langsam zuwuchernde Fläche lediglich als mögliches Habitat des korrekt Lacerta Agilis genannten Reptils ausgemacht – mehr nicht. Dumm nur, dass die Stadt dort ein Flüchtlingswohnheim bauen will.

 

Die Frage, ob die geschützten Tiere den Flüchtlingen weichen müssen, die derzeit in Turnhallen hausen oder noch auf dem Weg nach Deutschland sind, zu Fuß oder in einem Schlauchboot, ist schnell beantwortet: Sie müssen. Aber sie flugs mit dem Bagger plattwalzen, das geht nicht. Stattdessen werden sie umgesiedelt, wenn man sie gefunden hat. Das kann aber noch eine Weile dauern, genauer gesagt bis zum Hochsommer – temperaturbedingt.

Die Stadt legt vorsorglich ein Ersatzhabitat an

Das bedeutet im Klartext, dass mit dem Bau des 321 Plätze großen Wohnheims frühestens im September begonnen werden kann. Die Fertigstellung ist für März 2017 geplant, heißt es von Seiten der Stadt. Ursprünglich, als der Druck ob des Stroms an Menschen, die über die Balkanroute gen Mitteleuropa strebten, besonders hoch war, also vor einem knappen Dreivierteljahr, wollte die Stadt die Unterkunft im Herbst 2016 fertig haben. Zwischenzeitlich war der Zeitplan ein wenig nach hinten verschoben worden, und nun also noch einmal. Das bedeutet im Klartext aber auch, dass die Asylsuchenden, die derzeit in Teilen der Fasanenhofschule untergebracht sind, dort länger bleiben müssen. Sie sollten eigentlich an den Ehrlichweg ziehen.

Wann immer irgendwo gebaut wird, müssen Umweltschutzbelange in Betracht gezogen werden. Lärm-, Artenschutz-, Wasser- oder Luftgutachten können schon mal daumendick sein, während der eigentlich Bauantrag auf ein paar Seiten passt. „Am Ehrlichweg war der Fachmann im Februar vor Ort und hat ein potenzielles Habitat für Zauneidechsen identifiziert“, teilt die Stadt schriftlich mit. „Eine entsprechende Untersuchung, ob tatsächlich Tiere vorhanden sind, wird jetzt durchgeführt, eine wiederholte Untersuchung muss im August/September 2016 erfolgen.“ Das allein bedingt schon eine gehörige Verzögerung. Würden nun tatsächlich Reptilien gefunden, müssten sie vergrämt, also umgesiedelt werden. Die Stadt wappnet sich für diesen Fall und legt dieser Tage schon mal ein Ersatzhabitat an. Das tut sie auf bloßen Verdacht hin, „da es bis September braucht, um anzuwachsen“. Ansonsten wäre ein Baubeginn erst 2017 möglich. Die Kosten kann die Stadt noch nicht beziffern.

Artenschutz macht Bauherren oft einen Strich durch die Rechnung

Ihre neue Heimat sollen die Reptilien nebenan finden, zwischen dem westlichsten Gebäude der geplanten Unterkunft und dem derzeitigen Standort der Jugendrotkreuzler. Auf der Wiese sollen Steine aufgeschüttet und Sandinseln eingebracht werden. Hundsrosen werden gepflanzt oder auch Weißdorn. Das Ganze gleicht dann der Brache nebenan, nur eben künstlich errichtet. Dort können die Zauneidechsen dann ein Sonnenbad nehmen und Spinnen, Käfern und Regenwürmern nachstellen.

Die Stadt macht soviel Aufhebens um das Tier, weil es, anders als etwa die verwandte Waldeidechse, auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten steht. Gelistet ist sie dort in der Kategorie V, was bedeutet, dass sie noch ungefährdet ist, sich das aber in den nächsten zehn Jahren ändern könnte. Der Grund dafür: Zauneidechsen leben gerne auf Brachen, und die werden immer mehr zugebaut. Eben genau wie am Ehrlichweg.

Nun ist es nicht das erste Mal, dass der Artenschutz den Bauherren einen Strich durch die Architektenpläne macht. Die Beispiele reichen von ganz groß bis ganz klein. Der Juchtenkäfer hat es zur Berühmtheit gebracht, weil er im Schlosspark just dort nistet, wo die Bahn den neuen Stuttgarter Bahnhof gräbt. Vor ziemlich genau einem Jahr verzögerte sich der Bau der ersten legalen Downhill-Strecke Stuttgarts im Wald zwischen Sonnenberg und dem Talkessel, weil dort der Specht auf Holz klopft. Und in Weilimdorf müssen Senioren der Altenwohnanlage am Lindenbachsee mit ihren Rollatoren weiterhin auf ein kleines Sträßchen ausweichen, weil der schmale Gehweg nicht verbreitert werden darf. In den dortigen Mauerritzen wurde, man ahnt es bereits, die Zauneidechse gesichtet.

Am Bau des Heims soll festgehalten werden

Es ist übrigens nicht so, dass der Stadt das wechselwarme Tierchen ganz recht käme, um vor Ort unpopuläre Flüchtlingsheime nicht bauen zu müssen. Der Schluss liegt nah, immerhin drängen bislang weniger Menschen nach Deutschland als noch vor einem Jahr. Aber die Gebäude „werden benötigt“, teilt die Verwaltung mit. „Daher sind wir auf die Umsetzung aller beschlossenen Standorte angewiesen, zumal wir eine Vielzahl an befristeten Notunterkünften haben, die im Lauf des Jahres aufgelöst werden sollen.“ Dazu gehören zum Beispiel Turnhallen. Aber auch die Räume in der Fasanenhofschule sollen irgendwann wieder zurückgegeben werden.

Die Umsiedlung der Zauneidechse erfolgt gewaltfrei – vorausgesetzt, sie werden überhaupt gefunden. Im September, wenn die Sonne sticht und die Tiere darob besonders aktiv sind, wird ihr Nistplatz an drei Seiten mit einer Folie umspannt. Die Echsen können dann nur in eine Richtung laufen, nämlich zu den für sie aufgeschütteten und mit Hundsrosen umwachsenen Steinhaufen. Und „je nach Größe des Habitats muss der Vorgang in mehreren Schritten erfolgen“, schreibt die Stadt.