Er darf als einer der größten Söhne Stuttgarts gelten, doch zu sehen war in der Stadt davon bisher nichts. Das ist jetzt anders: Seit Montag erinnert die Stadt mit einer Stele an den bedeutenden Nazi-Gegner und Kämpfer für Gerechtigkeit Fritz Bauer.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Die Fritz-Bauer-Gedenkstele in der Wiederholdstraße im Stuttgarter Norden steht. Am Montagnachmittag ist sie unter großem öffentlichen Interesse eingeweiht worden. Ausgangspunkt war eine Anregung von Schülerinnen des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums (Ebelu), der früheren Schule Bauers. Die Initiative hatte in Stuttgart prominente Fürsprecher, wie den früheren Staatssekretär Rezzo Schlauch und Kulturbürgermeister Fabian Mayer, und ist von unserer Zeitung unterstützt worden.

 

Bei der Einweihung fand Mayer lobende Worte für das schulische und bürgerschaftliche Engagement, das zu diesem sichtbaren Zeichen des Erinnerns an den gebürtigen Stuttgarter geführt habe. „Fritz Bauer ist ein leuchtendes Vorbild für Menschenrechte und für Demokratie“, sagte Mayer. „Es ist höchste Zeit, hier in Stuttgart an ihn zu erinnern.“ In einer Zeit, in der die Demokratie wieder fragil erscheine, sei Bauer „von allerhöchster Relevanz für uns alle“.

Katharina Rauschenberger vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt, unterstrich dies. Sie nannte den früheren hessischen Generalstaatsanwalt einen „Juristen aus Freiheitssinn“, für den die Würde des Menschen einen übergeordneten Rechtsbegriff dargestellt habe. Joel Berger, der frühere Landesrabbiner, erinnerte an den bewusst distanzierten Umgang Bauers mit seiner jüdischen Identität. „Das sagt etwas aus über das Klima im Nachkriegsdeutschland.“ Gleichzeitig sei im Ausland sehr positiv wahrgenommen worden, dass der aus einer liberalen jüdischen Familie stammende Jurist zum Generalstaatsanwalt aufsteigen konnte. „Das hat das Bild von Deutschland im Ausland positiv verändert.“ Berger warb darum, Bauer nicht nur auf einer Stele zu verewigen, „sondern auch in die Herzen aufzunehmen, damit Deutschland die Demokratie die bleibt, die es geworden ist“.

„Sorgen von damals sind uns nicht fern“

Die Feierstunde war auch die Stunde von Paula Fröhlich, Leonor Kessler, Katharina Ströker und Eva-Maria Löw. Mit ihren Lehrern Katharina Dargan und Rolf Friedrich Hartkamp hatten sie anlässlich des 120. Geburtstags von Fritz Bauer am 6. Juli 2023, das Erinnerungsprojekt am Ebelu gestartet. In kurzen Beiträgen schilderten die Abiturientinnen bei der Einweihung am Montag, was sie mit Bauer verbindet: „Die Willenskraft, für andere einzustehen“, das „Streben nach Gerechtigkeit“ – und die Befürchtungen um die Demokratie. „Plötzlich sind seine Sorgen von damals uns gar nicht mehr so fern“, stellen sie fest. In Bauer sehen sie ein Vorbild im Kampf für die Demokratie. Von ihm wissen sie auch: „Alles kann wieder Gegenwart werden.“

Bei der Beschäftigung mit Bauer hatten die Schülerinnen festgestellt, dass der ehemalige Ebeluler auf den die Rehabilitierung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, die Ergreifung Adolf Eichmanns und die Auschwitz-Prozesse zurückgingen, im öffentlichen Raum in Stuttgart so gut wie keine Rolle spielte. Die Schüler regten eine Gedenktafel für den 1968 verstorbenen Bauer an und organisierten eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte. Dazu zählte auch eine Stadtführung, die wichtige Stationen in Bauers Stuttgarter Zeit beleuchtete – etwa das Gerichtsviertel, wo er nach dem Jura-Studium in Heidelberg, München und Tübingen bis zu seiner Verhaftung 1933 durch die Nazis als Amtsrichter arbeitete. Ebenso die Wiederholdstraße 10, dem Wohnsitz des heranwachsenden Fritz Bauers zwischen 1912 und 1921.

Durch Recherchen von Bernhard Klar, dem früheren Verwaltungschef des Hauses der Geschichte, und dank des von unserer Zeitung digital zugänglich gemachten Fotobestands „Stuttgart 1942“ des Stadtarchivs, traten zwei weitere wichtige Orte Bauers in Stuttgart anschaulich hervor: sein Elternhaus in der Seestraße 59 unweit der Wiederholdstraße (dort verbrachte er die ersten neun Lebensjahre) und die Silberburgstraße 195. Hier lebte Bauer nach seiner Rückkehr aus KZ-Haft 1933 und der Flucht ins Exil 1936 nach Dänemark. Alle drei „Bauer-Häuser“ – Seestraße 59, Wiederholdstraße 10 und Silberburgstraße 195 – überstanden den Krieg nicht.

Mayer: „Es ist ein besonderer Ort entstanden“

Als Standort für die Gedenkstele entschied die Stadt sich für die Wiederholdstraße. Sie befindet sich dort auf einer öffentlicher Grünfläche direkt gegenüber dem Ort, wo Bauer einst gewohnt hat. Die Stele enthält Informationen zu Bauer in Deutsch und Englisch. Zu sehen sind ein Porträtfoto und das historische Bildmaterial des Straßenzugs von 1942. Zusätzliche Infos können über einen QR-Code abgerufen werden, der auf das Stadtlexikon führt. „Es ist ein besonderer Ort entstanden, der daran erinnert, dass demokratische Werte keine Selbstverständlichkeit sind“, betonte Mayer.

Die Schülerinnen sind indes noch nicht fertig. Im Amtsgericht Stuttgart, der früheren Wirkungsstätte Bauers, gestalten sie auf Einladung von Amtsgerichtspräsident Till Jakob, der an der Einweihung der Gedenkstele ebenfalls teilnahm, einen nach Fritz Bauer benannten Raum. Am Montagabend diskutierten sie zudem im Hospitalhof mit Katharina Rauschenberger, Rezzo Schlauch, Landgerichtspräsident Hans-Peter Rumler und dem Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Tomas Will, über das Erbe Bauers. Einigkeit herrschte darüber, dass es weitergetragen werden muss – zuvorderst durch Bildung.