Vor dem Pokalspiel gegen Köln spricht der VfB-Präsident Gerd Mäuser über den Stand der Verhandlungen mit dem Trainer Bruno Labbadia – und über die Perspektive insgesamt.

Stuttgart – Mit dem Pokalspiel am Mittwoch gegen Köln endet für den VfB Stuttgart ein ereignisreiches Jahr. Zeit, um mit dem Präsidenten Gerd Mäuser eine Bilanz zu ziehen.
Herr Mäuser, welche Note vergibt der Chef für die sportlichen Leistungen des VfB im zu Ende gehenden Jahr?
Eine Zwei plus.

Klingt, als wären Sie zufrieden.
Es war kein überragendes, aber ein gutes Jahr. Wir haben in der Liga den Anschluss an die internationalen Plätze hergestellt und Luft nach unten. Wir sind noch in der Europa League dabei und kommen hoffentlich auch gegen Köln im Pokal weiter. Und was mich besonders freut, ist, dass in Raphael Holzhauser und Antonio Rüdiger zwei unserer jungen Spieler inzwischen sehr nah an der ersten Mannschaft dran sind. Die Jungen Wilden leben also. Das ergibt eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.

Trotzdem hat man den Eindruck, dass viele Fans unzufrieden sind, dass der sportliche Aufwärtstrend, den Sie beschreiben, nicht so recht zur allgemeinen Stimmungslage passt.
In meinen eineinhalb Jahren als Präsident war ich bis auf zwei Ausnahmen bei jedem Auswärtsspiel dabei. Und ich habe es in keinem anderen Stadion erlebt, dass die eigene Mannschaft nach zwei, drei Fehlpässen ausgepfiffen wurde, wie es bei uns manchmal der Fall ist. Das finde ich schade, weil das diese Mannschaft nicht verdient hat.

Was schließen Sie daraus?
Die Anspruchshaltung ist vielleicht nirgendwo so hoch, die Einstellung des Publikums nirgendwo so kritisch wie in Stuttgart. Die Schwaben haben extreme Erwartungen an uns, die schwer zu erfüllen sind.

Haben Sie eine Erklärung?
Vielleicht liegt es an der Mentalität, dass die Menschen so schnell am Bruddeln sind.

Könnte es auch daran liegen, dass die Region sehr erfolgreich ist und sich die Leute daher auch im Fußball nicht mit gehobenem Mittelmaß zufrieden geben wollen?
Von Mittelmaß kann keine Rede sein, wir waren in den letzten zehn Jahren achtmal international vertreten. Vielleicht erwarten die Leute deshalb automatisch, dass wir dauerhaft unter den Top Five spielen.

Muss es nicht der Anspruch des VfB sein, jedes Jahr oben mitzuspielen?
Das können wir nicht jedes Jahr garantieren, da sind keine Roboter am Werk. Wir haben leider keine unbegrenzten finanziellen Mittel wie andere Vereine. Wir können zwar durchaus stolz darauf sein, von niemandem abhängig zu sein. Aber das macht die Arbeit nicht leichter.

Auch der Trainer vermisst die Wertschätzung des Publikums. Verstehen Sie das?
In gewisser Weise schon. In anderen Städten wären die Leute glücklich mit der Arbeit dieses Trainers. Hier musste er sich auch schon auspfeifen lassen, weil er einen jungen Spieler auswechselt, der angeschlagen ist und nicht mehr kann.

Verstehen Sie auch, dass er sich seine Zukunft offen lässt und bisher nicht daran gedacht hat, seinen Vertrag zu verlängern?
Absolut. Es ist doch so: Bruno Labbadia hat eines der intensivsten Jahre als Trainer hinter sich. Dass er nach dem Köln-Spiel erst einmal die Drehzahl runterfahren, sich zu Hause in Hamburg sortieren und darüber nachdenken möchte, wie es weitergeht – das würde ich an seiner Stelle genauso machen. Er hat sich ein schönes Weihnachtsfest mit seiner Familie verdient. Dann wird er beim Joggen, im Gespräch mit seiner Frau oder bei einer Flasche Wein über seine Zukunft nachdenken.

Haben Sie sich schon mit dem Gedanken befasst, dass seine Entscheidung gegen den VfB ausfallen könnte?
Wir wären schlecht beraten, wenn wir für diesen unwahrscheinlichen Fall keinen Plan B in der Schublade hätten. Aber ich gehe davon aus, dass wir Anfang des neuen Jahres eine Einigung erzielen.

Was macht Sie so sicher?
Unser Trainer weiß genau, dass er mit dem VfB einen sehr verlässlichen Partner hat, der an Kontinuität interessiert ist und mit seiner ganzen Infrastruktur gute Voraussetzungen bietet. Er kann hier noch viele Jahre arbeiten – solange er bereit ist, unseren Weg mitzugehen. Unsere Maxime gilt nach wie vor: Wir tun alles für den Erfolg – werden dafür aber nicht die Existenz des Vereins gefährden. Den VfB muss es und wird es auch noch in 50 Jahren geben. Wir können daher nicht alles auf eine Karte setzen. Es wird ganz vernünftig weitergehen.

Haben Sie das auch dem Trainer gesagt?
Er weiß, was wir können – und was nicht.

Trotzdem hat Bruno Labbadia die Vereinsführung öffentlich dazu aufgefordert, mehr Risikobereitschaft zu zeigen.
Das ist aus seiner Sicht als Trainer doch auch legitim. Aber irgendwann muss die Diskussion beendet sein. Und dann muss er sich entscheiden, ob er weiter Bestandteil unseres Wegs sein will oder eben nicht. Im Übrigen sind wir diesen Forderungen bereits nachgekommen: Wir werden dieses Jahr erstmals seit Jahren mit einem Verlust abschließen. Wäre ich hart gewesen und hätte auf die schwarze Null bestanden, hätten wir im Sommer weitere Substanz im Kader verkaufen müssen. Insofern haben wir investiert, indem wir den Verlust akzeptiert haben. Und das ist abgestimmt mit allen Gremien.

Jetzt wünscht sich der Trainer Verstärkungen in der Winterpause. Bekommt er sie?
Es ist doch klar, dass die sportliche Leitung sagt: wir müssen etwas tun, wir müssen neue Leute holen. Ich sage: wir tun nichts um jeden Preis. Es muss vernünftig und im Rahmen unserer Möglichkeiten sein. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, dann kann unser Manager Fredi Bobic auch handeln. Das ist zwischen uns klar abgesprochen. Wir werden aber keine Megatransfers machen können, auch nicht im Sommer.

Teilen Sie Labbadias Sorge, dass die Kluft zu Vereinen, die viel investieren, weiter wächst?
Solange wir im Gegensatz zu anderen Vereinen keinen Weißen Ritter haben, der die Hand über uns hält und uns mit Geld versorgt, müssen wir das akzeptieren. Deshalb darf man die Flinte aber nicht ins Korn werfen. Die Kluft, die möglicherweise entsteht, müssen wir etwa durch eine noch bessere Jugendarbeit kompensieren. Das ist aktuell der einzig mögliche Weg.

Was heißt das konkret?
Wir werden zum Beispiel den Schwerpunkt noch stärker auf die Nachwuchsförderung setzen. Auch dafür bin ich gewählt worden, und das verfolge ich auch konsequent. Das ist derzeit langfristig gesehen unsere einzige Möglichkeit, die Einnahmen zu erhöhen, indem wir selbst ausgebildete Spieler in unseren Kader integrieren können oder weiterverkaufen. Wir müssen der beste Ausbildungsbetrieb in Deutschland sein. Anders geht es für uns nicht.

Glauben Sie, dass sich die Fans damit zufrieden geben, wenn der VfB in der Europa League spielt und jedes Jahr die besten Spieler nach München oder Dortmund verkauft? Müsste es nicht das Ziel sein, diese Spieler zu halten und um den Einzug in die Champions League zu kämpfen?
Natürlich ist das auch ein Ziel von uns. Mit etwas Glück können wir uns irgendwann vielleicht auch wieder für die Champions League qualifizieren. Dann hätten wir mit einem Schlag plötzlich ganz andere Einnahmen, die wir in die Mannschaft investieren könnten. Aber bis dahin gilt: wir können nur das essen, was wir auch bezahlen können. Und dazu gehört dann auch, dass man manchmal neidisch auf die Teller der anderen schaut.

Der frühere VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder sagt immer, ein Bundesligaclub müsse anders geführt werden als ein Wirtschaftsunternehmen.
Das stimmt, und das tun wir ja auch. Sonst wären wir nicht abgewichen von unserem Vorhaben, keinen Verlust zu machen. In der Wirtschaft bekäme ich mit so einem Kurs Schwierigkeiten. Noch mehr kann ich aber nicht ins Risiko gehen. Der Verein steht über allem.

Warum nicht?
Ins Risiko gehen, hieße in diesem Falle: ich will mir etwas kaufen mit Geld, das ich nicht habe. Ich kann das Geld nicht stehlen, und es gibt derzeit auch keinen, der es uns schenkt. Also müsste ich zur Bank gehen und es mir leihen. Dann kommt erst einmal die Frage nach den Sicherheiten – und dazu muss ich irgendwann das Geld dummerweise zurückzahlen. Wenn ich das dann nicht kann, weil sich zum Beispiel der Spieler, den ich für zehn Millionen Euro geholt habe, am Kreuzband verletzt hat – dann bin ich der Totengräber des VfB. Es gibt im Profifußball genügend Beispiele für solche Fälle. Mit mir ist das nicht zu machen. Dazu liegt mir der Verein zu sehr am Herzen.