Nach mehr als neunmonatiger Pause tagt am Dienstag mal wieder der Lenkungskreis zu Stuttgart 21. Der Zeitverzug ist typisch für ein Gesamtprojekt, das zwischen Jubel und Blamage pendelt, kommentiert StZ-Redakteur Thomas Durchdenwald.

Stuttgart - Die Bilder und ihre Botschaft könnten kaum unterschiedlicher sein. Hier die fröhliche Jubelgemeinde, die am Freitag bei schönstem Sommerwetter den Anschlag des Steinbühltunnels auf der Schwäbischen Alb feiert; dort der dunkle Theatersaal, in dem am Dienstag die Anhörung zum Grundwassermanagement in einer peinlichen Blamage endet, weil der Sitzungsleiter die nötige Neutralität vermissen lässt. Hier in Hohenstadt werden schon Röhren aus dem Gestein gesprengt, durch die in acht Jahren ICE-Züge rasen sollen; dort in Möhringen bleibt ungeklärt, ob die Bahn überhaupt so viel Wasser aus dem Untergrund pumpen darf, dass sie den Bautrog für den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof ausheben kann.

 

Die beiden Szenen fanden in der vergangenen Woche im Abstand von drei Tagen statt – und an diesem Dienstag wird ein Bild dazu kommen, das den wechselvollen Gesamteindruck noch einmal verstärken wird, den das bis heute umstrittene Projekt Stuttgart 21 mitsamt der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm bietet. Nach mehr als neunmonatiger Pause treffen sich am Dienstag Bahn, Land, Stadt und Region wieder zu einer Sitzung des Lenkungskreises. Genau genommen bedeutet das einen Bruch der vor Jahren geschlossenen Verträge, weil das oberste Gremium der Projektpartner mindestens einmal in sechs Monaten tagen müsste.

Viele versuchen noch immer Profit aus dem Konflikt zu schlagen

Einigkeit ist nicht zu erwarten, wenn sich die Protagonisten zum ersten Mal nach der von der Bahn eingestandenen Kostenexplosion von 4,5 auf 6,8 Milliarden Euro treffen. Im Lenkungskreis, erdacht in Zeiten eines CDU-Oberbürgermeisters und CDU-Ministerpräsidenten zur geräuschlosen Förderung des Projekts, wird längst nicht mehr gelenkt. Und falls es eine Seite doch versucht, bleibt das Manöver wirkungslos. Wenn die Bahn das Steuer in eine Richtung dreht, bewegen Verkehrsminister Hermann und Oberbürgermeister Kuhn von den Grünen ihr Lenkrad in die andere – und umgekehrt. Das Ergebnis ist Orientierungslosigkeit, oft dreht man sich im Kreis, was kein Fortkommen bringt – egal welchen Kurs man bevorzugen würde.

Auch wenn die Massenproteste abgeebbt sind, Stuttgart 21 und die Neubaustrecke taugen nach wie vor für jeden Zwist. Noch immer versuchen die Parteien – seien sie Befürworter oder Gegner – daraus politischen Profit zu schlagen. Wesentlicher Grund für die Blockade im Lenkungskreis ist aber die Drohung der Bahn, das Land und die Stadt per Klage zu zwingen, sich an den Mehrkosten zu beteiligen. Dieses Damoklesschwert jahrelanger rechtlicher Auseinandersetzungen um Beträge, die sich leicht auf mehrere Hundert Millionen Euro summieren können, belastet die ohnehin kaum ausgeprägte Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Da streiten sich die Stadt und das Kommunikationsbüro um 100 000 Euro für die PR-Ausstellung im Bahnhofsturm. Da balgen sich der Umweltminister und das Regierungspräsidium wegen der von der Bahn geforderten, verfrühten Erörterung, die die Landesbehörde peinlich in den Sand setzt. Da reicht die Bahn regelmäßig Unterlagen nach und beklagt andererseits den behördlichen Schwergang, was im Rathaus und in Ministerien nur noch Kopfschütteln auslöst – und auch bei vielen Stuttgartern, die schon den zweiten Sommer den voreilig gestutzten Schlossgarten und wachsende Probleme im Nahverkehr ertragen müssen. So verfestigt sich der Eindruck, dass es den Beteiligten nicht reicht, in jedes Fettnäpfchen zu treten. Sie stellen es sich auch noch selbst vor die Füße.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Dissonanzen und Ungewissheiten die unschöne Begleitmusik des Projekts bleiben werden. Vor allem die Bahn lässt Stadt und Land inzwischen gerne spüren, dass sie glaubt, alle Trümpfe in Händen zu halten. Dies ist keine gute Ausgangslage für einen Jahre dauernden Eingriff im Herzen der Stadt.