Der Ausgang der Bundestagswahl wird vor allem davon abhängen, wie die Parteien ihre Wähler mobilisieren. Dazu bräuchten sie klare Botschaften, meint der StZ-Autor Winfried Folz. Aber woher nehmen?

Berlin - Die deutsche Wahlforschung hat dokumentiert, dass von einer höheren Wahlbeteiligung zumeist die siegreichen Parteien profitieren, weniger die Wahlverlierer. Das geschah etwa bei der Bundestagswahl 1998, als erstmals der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder antrat – und siegte. Und es geschah bei der Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg, als Grüne und SPD die meisten Stimmen holten. Es ist also eine einfache Schlussfolgerung, dass der Ausgang der Bundestagswahl entscheidend von der Mobilisierungskraft der einzelnen Parteien abhängt.

 

Die strategischen Überlegungen der SPD haben genau diesen Sachverhalt im Blick: Das Ziel der Partei ist, die eigenen Mitglieder dazu zu bewegen, insgesamt fünf Millionen Haushalte zu besuchen und für Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zu werben. Hatte sich die SPD in früheren Wahlkämpfen vor allem auf einen Medienwahlkampf konzentriert, kann man jetzt von einer echten strategischen Neuausrichtung sprechen – zumal ja die SPD das größte Potenzial bei Nichtwählern besitzt. Bei der Partei sind mittlerweile fast drei Millionen Wähler „im Wartesaal“, wie es Kanzlerkandidat Steinbrück formuliert. Würden sie wählen gehen, käme für sie nur die SPD infrage. Aber gehen sie wählen?

Eine klare Botschaft wird benötigt

Voraussetzung dafür, dass die Anhänger mobilisiert werden, ist allerdings eine klare Botschaft, die den Kontrast zur Konkurrenz deutlich macht. Hier beginnt das Problem, und zwar nicht nur für die SPD. Die Sozialdemokraten stecken in dem Dilemma, dass sie auf der einen Seite ganz in der Tradition der Partei die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. Auf der anderen Seite aber kämpft Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gegen den Vorwurf, die umstrittene „Agenda-Politik“ der Schröder-Jahre zu vertreten. Diese brachte seinerzeit „die sozialdemokratische Kernkompetenz in Sachen Gerechtigkeit ins Wanken“, wie der Mainzer Wahlforscher Gerd Mielke analysiert. Auch ist die SPD mit ihren Vorabfestlegungen in der Bredouille: Einerseits will sie ein rot-grünes Bündnis, andererseits lehnt sie die Zusammenarbeit mit der Linken ab. Kein Rezept hat die Partei aber für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass Rot-Grün am Ende bei 40 Prozent landet und nicht regierungsfähig ist.

Eine weitere Große Koalition überhaupt nur zu erwähnen gilt im Willy-Brandt-Haus als Gift für jede Mobilisierungsstrategie. Dass die SPD im Koalitionsspiel auf den Wählerblock der Linkspartei (zwischen sechs und zehn Prozent) verzichtet, macht sie nach Mielkes Worten zu einer Fußballmannschaft, die statt mit elf nur mit neun Spielern auf den Platz geht.

Die Kanzlerin hat den Wahlkampf entpolitisiert

Aber auch die Union hat bei der Mobilisierung erhebliche Probleme. Nachdem die Kanzlerin in ihrer präsidialen Art den Wahlkampf nahezu entpolitisiert hat, versuchen CDU und CSU wenigstens an Parteitraditionen anzuknüpfen. Doch das gelingt nicht, weil die Union sich von einigen ihrer traditionellen Themen verabschiedet hat: mit dem Ausstieg aus der Atomkraft, der Abschaffung der Wehrpflicht, der Abkehr vom klassischen Frauen- und Familienbild, der Annäherung an sozialdemokratische Positionen wie Mindestlohn und Mietpreisbremse. Mobilisierungsversuche ohne aufreizende, polarisierende Politikangebote gehen aber ins Leere.

Der einzige Vorteil für die Union: sie besetzt zentrale Begriffe der Konkurrenten, ohne den Nachweis zu führen, dass sie diese Begriffe auch mit inhaltlicher Substanz füllt. Doch es ist ihr damit gelungen, den Gegner mit stumpf gewordenen begrifflichen Waffen in das politische Gefecht ziehen zu lassen. Und Angela Merkel hält sich durch die programmatische Unschärfe alle Bündnisoptionen offen, die sich unter ihrer Führung anbieten. Doch ein überzeugendes Konzept, wie Nichtwähler für die Wahl interessiert werden können, ist das nicht.